Interview

Enissa Amani: 'Das Fernsehen ist eine riesige Maschinerie'

von   |  5 Kommentare

Adieu, lineares Fernsehen. Hallo, Netflix! Komikerin Enissa Amani blickt stolz und ohne Gram auf ihre TV-Zeit zurück – freut sich aber vor allem, nun bei Netflix angekommen zu sein.

Wer Enissa Amani interviewen will, sollte Zeit mitbringen. Manch andere Promis lassen die Presse warten. Sie dagegen ist pünktlich … und hört einfach nicht auf, zu reden. Enissa Amanis Redeschwall ist so immens, dass uns vor dem Interviewtermin die Agentur angerufen hat, über die das Gespräch organisiert wurde, um "dringlich darum zu bitten, Enissa nach den vereinbarten 15 Minuten zu einem Ende kommen zu lassen". Ein Wunsch, der sich schwer befolgen lässt, denn das, was die Komikerin zu sagen hat, ist zu interessant, als dass man als Interviewer freiwillig die Notbremse zieht. Doch manchmal meldet sich das Gewissen zu Wort, so das wir 20 Minuten nach Interviewbeginn Enissa Amani mit der Bitte der Presseagentur konfrontieren. Ihre amüsierte Antwort: "Ach, ich habe heute Zeit, es steht heute kein Termin mehr an. Also, machen wir weiter im Programm …"

Letzten Endes entwickelte sich aus den geplanten 15 Interviewminuten ein angeregtes, 75-minütiges Gespräch, in dem die Komikerin hochmotiviert über ihr aktuelles Projekt – ein Netflix-Special –, ihre bisherige Karriere, ihren Umgang mit Kritik und ihre Hoffnungen als Künstlerin gesprochen hat. Und dies nahezu ohne Punkt und Komma – doch nie, dass je der Eindruck aufkommt, dass sie sich einfach nur gerne reden hört. Nein, es wirkt eher so, als dass sie sich schlicht über jede Gelegenheit für einen motivierten Gedankenaustausch freut.

Und, was wahrlich nicht für alle Prominente gilt, mit denen wir auch über vergangene Karrierestationen sprechen: Die Deutsch-Iranerin hegt nicht den leisesten Groll, wenn auch mal frühere Quotenrückschläge zur Sprache kommen. "Ach, ich bin niemand, der sich über Journalisten erhebt und meint, vorzuschreiben, worüber sie mit mir sprechen dürfen! Ich sehe dem Thema gelassen entgegen", meint Amani, als wir nachfühlen, ob wir sie fragen dürfen, welchen Einfluss die Quotenachterbahnfahrt von «Studio Amani» auf sie hatte. Sie führt fort: "Ich weiß nicht, was ich zu dem Thema noch sagen soll und ob das heute überhaupt noch von Interesse ist. Aber: Ich bin noch immer stolz darauf, was damals passiert ist. Ich habe mich innerhalb von zwei Jahren vom Niemand zu jemanden mit einer eigenen Sendung hochgearbeitet – das war sehr cool. Wir sind mit einem Quotenrekord gestartet – das Problem daran war, dass es bei manchen Leuten falsche Erwartungen geweckt hat."

Mit beeindruckender Genauigkeit wiederholt sie die Zahlen von «Studio Amani», die sich nach einer kurzen Talfahrt wieder erholten, als die erste (und letztlich einzige) Staffel endete. Und sie rekapituliert: "In Relation gesehen, waren die Quoten ja auch zwischendurch gut, aber Medien, die sich nicht richtig damit befassen, haben die Sendung als reinen Flop dargestellt. Aber wenn die Quoten so schlecht gewesen wären, wie sie dargestellt wurden, hätte mir ProSieben ja nicht eine neue Sendung gegeben, die ja auch wieder toll lief."

Dass der Umstand, dass «Studio Amani» nicht fortgesetzt wurde, Außenstehende verwirren könnte, ist ihr bewusst: "Ich musste noch viel lernen – so habe ich während «Studio Amani» erkannt, wo meine Stärken liegen. Daher wollte ich mich mehr auf mein Können als Stand-Up-Komikerin stützen, auch wenn mir nun bewusst ist, dass Leute, die diesen Entscheidungsprozess nicht verfolgt haben, denken könnten, «Studio Amani» sei abgesetzt worden." Nach dem ihr stärker zugeschnittenen «Nissa» hatte die Komikerin "dann erstmal genug vom Fernsehen. Ich brauchte eine kurze Orientierungsphase – und dann klopfte schon Netflix an." Diese Anfrage löste bei ihr eine Entscheidung aus: Dem Ruf der VOD-Plattform folgen und vorerst nicht ans Fernsehen zu denken. "Das spricht mich gerade nicht an. Ich bin aber nicht bitter. Es war eine riesige Chance für mich und ich bin dafür dankbar. Ich habe da Erfahrungen gesammelt, auch wenn ich damals künstlerisch noch nicht so weit war, in den richtigen Momenten zu sagen: 'Nein, das können wir so nicht machen, das passt nicht zu mir.'"

Vorwürfe macht sie aber niemandem: "Ich bin nicht so, dass ich da Andere in die Schuld nehme. Ich hätte ja auch selber früher erkennen können, was mir liegt. Das Publikum war da fixer: Bei «Studio Amani» sagten die Kommentare nahezu einhellig, dass mir Stand-Up so viel besser liegt als etwa die Einspielfilmchen. Diese Erkenntnis hatte ich im Produktionsvorlauf noch nicht, und da stehe ich drüber. Denn die kleinen Fehltritte waren Lektionen für mich. Unter anderem habe ich dadurch mehr übers Fernsehmachen gelernt." Ohne Gram in der Stimme, urteilt sie: "Das Fernsehen ist eine riesige Maschinerie, und nachdem die Show erstmal in Gang kam, war es unmöglich, zu sagen: 'Wir müssen das und das an dem Format ändern.' Darum finde ich es so cool, was Netflix macht."

Netflix ist für uns Komiker der Olymp, weil dort unsere ganzen Idole vertreten sind. Und nun verstehe ich auch, wieso es so viele große US-Comedians dorthin zieht – Netflix gibt einem sämtliche Freiheiten, sich zu entfalten.
Enissa Amani
Über Netflix schwärmt sie in den höchsten Tönen: "Netflix ist für uns Komiker der Olymp, weil dort unsere ganzen Idole vertreten sind. Und nun verstehe ich auch, wieso es so viele große US-Comedians dorthin zieht – Netflix gibt einem sämtliche Freiheiten, sich zu entfalten. Die sagen: 'Wir investieren in dich. Wir sind nur die Plattform. Gib uns das, was du als dein Bestes erachtest.'" Diese Ansage hat die Komikerin zunächst überrascht, wie sie bildlich nacherzählt: "Ich hab erstmal nachgefragt, ob Netflix wirklich keine Vorgaben hat. Soll es ein großes Theater sein oder ein kleines? Welches Thema soll ich behandeln? Wie muss das Special inszeniert sein? Als es hieß, dass ich von der Laufzeit abgesehen keine Vorgaben habe, war eine meiner ersten Entscheidungen: Ich will ein Theater, das optisch was hermacht, aber klein genug ist, dass man im Special die Energie des Publikums noch spürt. Und mir war klar: Ich will keinen Klimbim, sondern Stand-Up pur, wie ihn die Amerikaner machen."

Was Amani kennzeichnet, sind nicht nur die ausführlichen Antworten, sondern auch ihr unvergleichliches Können, Sachen zu erzählen, die wie Prahlerei rüberkommen könnten – doch bei ihr klingen sie ganz bescheiden: "Netflix' Anfrage kam für mich zu einem unfassbar coolen Zeitpunkt. Ich spiele seit eineinhalb Jahren nämlich immer wieder Mal auf Englisch. Ich habe vier Mal vor ausverkauftem Haus in London gespielt", sagt sie mit einem freudig-ungläubigen Timbre. Ebenso baff berichtet sie, dass sie Kevin Hart kennengelernt und seinen Manager dafür gewonnen hat, ihre US-Gags zu managen. "Ich spiele nun auch öfters in Hollywood in der Laugh Factory, am selben Abend wie einige der Größten im Comedygeschäft! Gut, ich spiele da nur vor rund 200 Leuten, aber das ist mir viel wert. Ich habe lieber ein kleines Publikum, das auf mich so wirkt, als würde es mich wertschätzen, und erhalte Respekt von Kollegen, die ich feiere, als dass ich Stadien fülle und mit Verkaufsrekorden prahlen kann."

Ich habe lieber ein kleines Publikum, das auf mich so wirkt, als würde es mich wertschätzen, und erhalte Respekt von Kollegen, die ich feiere, als dass ich Stadien fülle und mit Verkaufsrekorden prahlen kann.
Enissa Amani
Generell ist Amani sehr stolz auf ihr Publikum: "Ich habe das Gefühl, ein sehr kluges Publikum zu haben. Und das ist mir auch sehr wichtig. Ich will lieber ein kleines, kluges Publikum, das sich mit meinen Inhalten auseinandersetzt, als eine große, dumme Masse. Und ich will ein eklektisches Publikum. Ich will nicht nur Literaturstudenten, ich will, dass eine Philosophiestudentin neben einem smarten Typen aus dem urbanen Raum sitzt, und der neben einer klugen Großmutter aus der Kleinstadt." Nach eigenem Ermessen hat die Entertainerin ihr Ziel erreicht.

"Das erfüllt mich voller Stolz. Weil ich denke, dass ich am Publikum ablesen kann, dass mich Deutschland nicht weiter in eine Schublade steckt. Das war das, was mich vor ein paar Jahren noch gestört hat – das Gefühl, wegen meines Auftretens verkannt zu werden." Gegen Kritik habe sie nichts, "doch es ist schlimm, wenn Leute einen als etwas abtun, was du nicht bist", urteilt Amani. Sie unterstreicht dies mit einem spontanen Beispiel: "Wenn mich einer nicht mag, ist das sein Recht. Aber wenn jemand sagt: 'Ich mag die nicht, weil die gerne Birnen isst', denke ich mir: 'Hä? Wie kommst du auf die Idee? Ich hasse Birnen! Das sage ich auch andauernd!'"

Nicht nur das Publikum habe sie eingangs verkannt, "auch in der Branche gab es Zeiten, wo ich eine Ellenbogenmentalität verspürt habe, weil die Leute mich vorschnell wegen meiner Optik abgetan haben. Doch im Laufe meiner Fernsehpräsenz hat sich das schleichend verändert. Und Social Media hat in der Hinsicht enorm geholfen, weil es viel leichter ist, jemanden über diesem Weg zu zeigen, wofür man steht und welchen Humor man vertritt." Mittlerweile genießt Amani großen Respekt von Branchenkollegen, wie sie mit einem Mix aus Stolz und Verwunderung berichtet: "Ich arbeite jetzt viel als Autorin, was mir sehr gefällt. Es schmeichelt mir enorm, wenn Kollegen zu mir kommen und sagen: 'Hey, Enissa, ich brauche für einen Fernsehauftritt ein Fünf-Minuten-Set zu dem und dem Thema, du bist da die Beste drin, hilf mal!' Das ist so cool, sowas zu hören."

Ich hoffe, dass ich künftig auch für andere Comedians produzieren kann.
Enissa Amani
Aufs Schreiben für andere Komikerinnen und Komiker wird es Enissa Amani womöglich aber nicht beruhen lassen. Ihr Netflix-Special hat sie selber produziert, und diese Erfahrung will sie teilen: "Beim Produktionsprozess meines Netflix-Specials habe ich sehr viel gelernt. Sowohl übers Produzieren generell als auch darüber, wie man ein Comedyspecial technisch anpackt und welche Leute in den technischen Bereichen willens sind, es mal auf anderem Wege zu versuchen als hier in Deutschland üblich. Ich hoffe, dass ich künftig auch für andere Comedians produzieren kann." Amani malt sich aus, als Mentorin für neue Komikerinnen und Komiker tätig zu werden – und vielleicht bewahrt sie so Andere davor, dass ihnen zu Karrierebeginn so viel reingeredet wird wie ihr: "Wer weiß. Vielleicht kann ich anderen Comedians helfen, sich von den alten Strukturen des Fernsehens zu lösen." Wenn dem so ist, kann sich niemand beklagen. Die alten Fernsehstrukturen haben ihre Kriegserklärung frühzeitig erhalten – mit einem freundlichen Lächeln und in einem friedfertigem Tonfall.

«Enissa Amani: Ehrenwort» ist ab dem 26. April bei Netflix zu sehen.

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Es gibt 5 Kommentare zum Artikel
Gnutzhasi
26.04.2018 08:40 Uhr 1
Was das Mädel für eine Leuchte ist das hat sie ja kürzlich in einer Talk-Show bewiesen. Die Zukunft der Comedy ist sie mit unmotiviert schreien und provozieren sicher nicht.
Vittel
27.04.2018 08:56 Uhr 2
Ich kann mit ihrem Humor auch nur bedingt was anfangen, das Konzept an sich (Produktion in einem kleinen Theater statt TV Studio, kein großes Rahmenprogramm, kein Druck durch wöchentlich feste Sendetermine sondern "Specials", etc) finde ich sehr gut.
Sentinel2003
27.04.2018 20:09 Uhr 3
Ich finde Sie ganz ok....nur, nach "Hart aber fair", wo Sie letztens gewesen ist, hat Sie auf Facebook einen Haß erfahren, was mich unfassbar macht....ja, und, genau darum ging es, daß schon massig Menschen es nicht verstehen konnten, daß Sie redet ohne Pause!! Und, so einen Menschen NUR deswegen mit Haß zu überschütten ist typisch deutsch finde ich.
Kunstbanause
28.04.2018 02:16 Uhr 4
Dass ich mal einen Post von Senti unterschreiben muss...
Quotermain
28.04.2018 07:17 Uhr 5


Hart aber Fair..und danach Facebooktrolle bei einer (den meisten) unbekannten Komikerin(?) ?

Das klingt eher nach einer Medieninszenierung, nur mein Eindruck.

Was kostet es mich wohl bei einer dieser ominösen Agenturen, wenn ich bei denen einen griffigen Shitstorm auf FB buche, um danach vielleicht im Frühstücksfernsehen über diesen zu weinen?

PRmäßig wäre ich danach auf jeden Fall bekannter als vorher.



Natürlich kann man Menschen ohne Redepause kritisieren und genau nur deswegen.

Ohne Redepause bleibt nämlich kein Platz fürs Denken, weder das des Redners, noch des Zuhörers.
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