Filmfacts: «Venom»
- Regie: Ruben Fleischer
- Produktion: Avi Arad, Matt Tolmach, Amy Pascal
- Drehbuch: Jeff Pinkner, Scott Rosenberg, Kelly Marcel
- Darsteller: Tom Hardy, Michelle Williams, Riz Ahmed, Scott Haze, Reid Scott
- Musik: Ludwig Göransson
- Kamera: Matthew Libatique
- Schnitt: Maryann Brandon, Alan Baumgarten
- Laufzeit: 112 Minuten
- FSK: ab 12 Jahren
Kurzum: Die Wochen und Monate, die ins Land gezogen sind, bevor Sony Pictures seine Marvel-Comicadaption «Venom» in die Kinos gebracht hat, muten wie eine Kopie des ganzen Trubels rund um «The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro» an. Kein gutes Vorzeichen, immerhin ließ sich Sony aufgrund der Fan- und Kritikerschelte, die dieser Film erhalten hat, dazu hinreißen, mit den Marvel Studios zusammenzuarbeiten und eine neue, gemeinsame Interpretation Spider-Mans auf die Beine zu stellen. Weshalb Sony dennoch die Hybris hatte, nun mit «Venom» einen Alleingang hinzulegen und ein eigenständiges Universum aufzubauen, das von Schurken, Nebenfiguren und Anti-Helden aus den Spider-Man-Comics erzählt, bleibt ein Rätsel.
Dank der Branchenberichte und der ungeschönten Interviews der «Venom»-Beteiligten ist es indes kein Rätsel, was für ein von Trubel geplagtes Projekt nun ins Kino entlassen wird. Es wurde unentwegt an der Härte der Action gewerkelt. Lange blieb unklar, wie zynisch, düster oder eben doch superheldenalltäglich der Tonfall sein soll. Und die Story wurde im Laufe der Produktion ebenfalls umgemodelt – laut Hauptdarsteller Tom Hardy landeten 30 bis 40 Filmminuten auf dem Boden des Schneideraums. Das klingt zunächst nach schamloser Übertreibung, immerhin hat der fertige Film eine Laufzeit von rund 112 Minuten. Bedenkt man allerdings, dass der eigentliche Film bereits nach 96 Minuten zu Ende erzählt ist, klingen Hardys Aussagen plötzlich viel glaubhafter. Der Rest der Laufzeit besteht nämlich aus einem ungewohnt langsam laufenden Abspann inklusive atypisch geräumig platzierter Credits sowie ausführlichen Bonusszenen.
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Das ist nun, je nach individueller Neigung in Sachen Filmdebakel, eine gute Nachricht oder eine schlechte. «Venom» ist kein Frankensteinmonster aus diversen Ansätzen an ein und denselben Film, sondern hält recht effektiv die Illusion aufrecht, aus einem Guss zu sein. Bloß, dass die Gussform nicht gerade hohen Maßstäben standhält.
Die größte Schwäche von «Venom» ist das Storytelling, bei dem Behauptung stets über Umsetzung geht. Protagonist Eddie Brock (Tom Hardy) wird als taffer, erfolgreicher Reporter eingeführt, als jemand, der die brennenden Fragen stellt und selbst die ganz harten Nüsse knackt. Als er jedoch die Absichten eines angesehenen Konzerns hinterfragt, erlebt er einen Karriereknick – der ihn nicht etwa bloß aus der Form bringt, sondern vollauf ändert. Nun behaupten Expositionsdialoge, dass Eddie gemeinhin ein rückgratloser Verlierer ist, der endlich lernen muss, sich durchzusetzen.
Ähnlich verhält es sich mit der Dynamik zwischen Eddie und der weiblichen Hauptfigur, Anwältin Anne Weying. Das Miteinander der beiden Figuren durchfährt im Laufe von «Venom» große Höhen und Tiefen, die Zwischenschritte sind rätselhaft. Durch Tom Hardys engagiertes Schauspiel, dem in seinen intensiven Blicken und seinem aussagekräftigen Gestus anzumerken ist, dass er sich tatsächlich für dieses Material interessiert hat, und Michelle Williams' Performance kaschiert «Venom» allerdings zumindest im Ansatz, wie löchrig die Erzählung ist. Williams arbeitet mit einem Nichts an Story-Stoff, und dennoch legt sich die mehrfach für den Oscar nominierte Mimin ins Zeug, verkauft ebenso gut Annes Zuneigung zu Eddie wie ihre Wut und Verzweiflung.
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Denn während Schlagwörter im Dialog einen markigen Charakterbogen suggerieren, stellt sich angesichts der Szenen zwischen den diversen Wendepunkten zumeist die Frage: Und wie kam nun dieser Sinneswandel zustande? Wenigstens macht Hardy bei all dem eine solide Figur – auch wenn er zum Spielball der etwas unentschlossenen Regieführung wird: Hardy beweist mehrmals großartiges Slapstick-Timing, während Lichtdramaturgie, Schnittfolge und Sounddesign eine dramatische bis horrorähnliche Sprache sprechen. Und Hardy guckt öfters beängstigend kränklich aus der Wäsche, wenn «Zombieland»-Regisseur Ruben Fleischer gerade den Tonfall lockert. Dadurch, dass «Venom» ästhetisch aber kohärent und funktional-solide inszeniert daherkommt, bleiben solche heftigen, stilistischen Brüche wie in «Justice League» oder «Suicide Squad» jedoch aus.
Und mitten in diesem unentschlossenen, löchrigen Film kommt es dann urplötzlich zu einer Verfolgungsjagd, die sich so richtig gewaschen hat und beispielsweise mit allem, was die «Deadpool»-Filme oder das DC-Filmuniversum in Sachen Action zu bieten haben, mühelos den Boden aufwischt. Eddie Brock flieht auf seinem Motorrad vor Handlangern des undurchsichtigen Firmenmagnaten Carlton Drake, was Ruben Fleischer als robust scheppernde Actionpassage voller haptischer Stunts und Effekte einfängt: Im nächtlich-atmosphärischen San Francisco krachen Autos mit Wucht in andere Autos, Straßenlaternen und weitere Hindernisse, und Eddie Brock springt und kurvt auf seinem Zweirad spektakulär durch das hügelige Großstadtterrain.
Dabei wird die reale Stuntarbeit einfallsreich durch Venoms digital verwirklichte Superfähigkeiten ergänzt: Venom wird zum übergroßen Schutzschild, krallt sich an Masten oder Laternen, um engere Kurven zu ermöglichen, oder wird zum Katapult, um mit noch mehr Tempo über die Straßen zu rasen … Die Gimmicks sind so hoch getaktet, dass dies unverwechselbar zu einer «Venom»-Verfolgungsjagd wird, die noch dazu die Handlung stützt, indem sie das sonst so unklare Zusammenspiel zwischen Eddie und dem Symbionten vorantreibt, gleichzeitig zurückhaltend genug, dass das Augenmerk weiter auf den Stunts liegt. Ein weiterer, konstanter, Pluspunkt ist der Score von Ludwig Göransson. Der Komponist, der schon mit seiner Filmmusik zu «Black Panther» begeisterte, untermalt «Venom» mit einer lauten, krachenden, losgelösten und teils atonalen Hintergrundmusik, die in ihrer Power und kühlen Unberechenbarkeit so klingt, als wäre der metallische Soundtrack zu «The Return of the First Avenger» von Horror- und Sci-Fi-Legende John Carpenter besessen.
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Fazit: «Venom» ist zügig erzählt und hat selbst als offensichtlich zerstückelter Film noch immer mehr erzählerischen Zusammenhang als solche Desaster wie «Justice League» oder «Der dunkle Turm». Gewiss, das ist keine Hürde, an der man seinen 100-Millionen-Dollar-Franchisebeginn messen möchte, aber es dürfte wenigstens Fans der Comicvorlage und/oder Tom Hardy beruhigen, dass «Venom» szenenweise unterhält.
«Venom» ist ab sofort in vielen deutschen Kinos zu sehen – in 2D und matschigem 3D.
Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
03.10.2018 10:56 Uhr 1
Ansonsten doch noch eine recht versöhnliche Review.
03.10.2018 19:54 Uhr 2
Ich habe bei Tom Hardy mal gehofft, dass der nach Inception und The Dark Knight Returns noch einen mega Durchstarter bekommt, aber irgendwie haben mich seine Filme danach nicht so überzeugt. Auch, dass er sich jetzt für so eine mittelmäßige Figur hergibt, finde ich schade...