Hintergrund

Serientheorie: Die Sitcom-Erfolgs-Variablen

von   |  4 Kommentare

«Two and a Half Men», «How I Met Your Mother» und «The Big Bang Theory» sind fast identisch, und die Serien hängen auf relativ simple Art zusammen.

Die amerikanische Sitcom «Two and a half Men», die Chuck Lorre («Dharma & Greg») und Lee Aronsohn («Murphy Brown») für den TV-Sender CBS produzierten, dreht sich um die beiden Brüder Charlie und Alan Harper, die zusammen in Charlies Strandhaus in Malibu wohnen. Im Mittelpunkt der Warner-Bros.-Produktion steht allerdings nicht – wie viele Menschen glauben – der erfolgreiche Werbejingle- und Kinderlieder-Autor Charlie, sondern sein Bruder Alan.

Nach dem Ausstieg von Charlie Sheen nach der achten Staffel erkannten das auch die Produzenten. Zwar war Charlie Sheen der Hauptdarsteller der Serie, seine Figur fungierte allerdings aus erzählerischer Sicht mehr wie eine Nebenfigur und war sogar die eheste aus der Main-Besetzung, die man leicht ersetzen konnte. Wie sähe das Leben in der Strandhausvilla ohne Charlie aus? Jake und Alan würden weiterhin Steilvorlagen für eine verzwickte Vater-Sohn-Beziehung geben, der Familiensprössling würde sich immer noch lieber für seinen Gameboy statt für einen Ausflug mit seinem Vater interessieren. Alan ist die Identitätsfigur der Serie, mit der jeder Zuschauer warm wird. Mehr Menschen dürften in einem Beruf feststecken, der von der Familie als langweilig angesehen wird, als wie Charlie Harper ein abgehalftertes, finanziell sorgenfreies Playboy-Leben zu führen.

Trennungen und Scheidungen waren zum Start der Serie im Jahr 2003 schon normal. Alans Ex-Frau Judy, die zum Beginn der Serie vor die Tür gesetzt wird, ist über viele Jahre hinweg die „Prinzessin“, die Alan zurückerobern möchte. Nicht etwa die Beziehungen zu Charlies Frauen stehen im Vordergrund: das sind nämlich meist stereotype, klischeehaft entworfene Party-Mädels aus dem Großraum Los Angeles. Die ersten neun Staffeln der Serie spinnen sich um Alan und seine Ex-Frau, gepaart mit Jake als Sidekick. Die Figurenkonstellation änderte sich mit dem Start der neunten Staffel, als Walden Schmidt das Strandhaus kaufte: Auf einmal waren die Frauen um den Milliardär interessante Figuren. Zeitgleich verwandelte sich Alan von der langweiligen Identifikationsfigur zu einem merkwürdigen Hybriden aus Genie und Wahnsinnigem.

Ähnlich wie Alan als Bindeglied zwischen dem übrigen Cast und der Prinzessin fungierte, wurde diese Rolle in «The Big Bang Theory» von Leonard verkörpert. Der Wissenschaftler ist der „Normale“ der Bande, die aus den vier Jungs – und der Prinzessin Penny – bestand. Gerade diese Erfolgssitcom hat vollkommen flache stereotypische Sitcom-Figuren – vermutlich machte die Rollenverteilung das Format so erfolgreich. Sheldon Cooper ist das Genie, ähnlich wie Charlie Harper in «Two and a Half Men» dem Rest des Figurenorchestors finanziell überlegen war, während Howard («The Big Bang Theory») die Vorlagen als Sidekick wie Jake («Two and a half Men») gab. Penny ist das Pendant zu Judith, während die verrückte Rose eine weibliche Version von Raj ist.

Wir erinnern uns: Charlie hatte einmal mit seiner Nachbarin Rose geschlafen, seither stalkte sie ihn und stieg des Öfteren auf seinem Anwesen ab. Raj kann zu Beginn von «The Big Bang Theory» nur unter Alkoholeinfluss mit Frauen sprechen. Als Raj dieses Problem nach einigen Jahren endlich behoben hatte, mussten die seltsamen Aspekte der Rolle aber auf andere Weise fortgeführt werden, damit die Figur noch funktionierte. Aus diesem Grund bekam er einen Yorkshire Terrier namens Cinnamon geschenkt, den er wie Paris Hilton und andere B-Promis aus den USA fürsorglich pflegte und zu ihm eine sonderbare zwischenmenschliche Beziehung aufbaute.

Werfen wir einen Blick auf eine weitere Erfolgssitcom der 2010er Jahre: «How I Met Your Mother». Im Mittelpunkt steht Ted Mosby, ein hoffnungsloser Romantiker, der seinen Kindern die Geschichte erzählt, wie er ihre Mutter kennengelernt hatte. Zu Beginn der Serie trifft er allerdings auf die Nachrichtensprecherin Robin, mit der er ein romantisches Abenteuer begann. Auch hier ist Ted das Bindeglied zwischen der Gruppe (erneut vier Personen) und der Prinzessin. Die Geschichte wiederholt sich: Ted ist die Identifikationsfigur, Barney tritt als Genie auf, Marshall ist der Sidekick und Lily wird im Lauf der Staffeln zunehmend zur Verrücktesten im Bunde.

Die Sitcom «Modern Family» besteht derweil aus drei (ineinander verwobenen) Familien, von denen die Dunphys am ehesten dem bekannten Muster folgen: Die Identifikationsfigur ist Mutter Claire, die als Vorbild für die Zuschauer gilt. Sie ist der Ansprechpartner für die Prinzessin Haley. Claires Ehemann Phil darf den Verrückten spielen, die Tochter Alex ist das Genie. Das jüngste Mitglied der Familie, Luke, ist hier der Sidekick.

Das mag erschreckend simpel klingen. Doch wenn das Schreiben einer Sitcom so einfach wäre, dann müsste es derart gestrickte Serien zuhauf geben. Tatsächlich ist dieses Konstrukt aber nur ein Teil des Erfolgsrezeptes, das ohne kreative Autoren schnell in sich zusammenfällt. Chuck Lorre hatte als Erfolgsautor schon bei vielen Serien den richtigen Riecher. Auch er hat sich einen attraktiven Netflix-Deal gesichert und möchte – wie viele Produzenten, etwa die von «Friends» oder «Frasier» – seine Serien nun in der Nische produzieren. Kleine Sender und Streamingdienste geben den Verantwortlichen viele Freiheiten und nehmen zudem Druck, eine standardmäßige Erfolgsserie zu produzieren.

Die meisten Produzenten möchten auch Serien abseits der üblichen Standardware herstellen. Dennoch sind die erfolgreichsten Stoffe meist beliebige Formate. «Two and a half Men», «The Big Bang Theory» und «How I Met Your Mother» sind keine bahnbrechenden Ideen, sondern standardisierte Werke, die vielleicht gerade aufgrund ihrer Einfachheit und ihrer klaren Strukur eine so breite Zuschauerschaft ansprechen.

Bei diesen Formaten gibt es kaum eine weitreichende Figurenentwicklung. Charlie Harper benötigte über 100 Episoden, um zu erkennen, dass er mit dem ständigen Wechseln seiner Partnerinnen nicht glücklich wird. Der Raj-kann-mit-Frauen-nur-mit-Alkohol-Witz wurde bis zum Unerträglichen ausgequetscht, und die Andeutungen einer Hochzeit bei «How I Met Your Mother» wurden knapp vier Jahre im Vorfeld gestreut. Aus Charlie Harper wird kein Walter White, stattdessen bekamen die Zuschauer jahrelang alten Wein in neuen Schläuchen – den sie jedoch begierig tranken.

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Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
Familie Tschiep
12.07.2020 16:55 Uhr 1
Ist es so simpel?
AlphaOrange
12.07.2020 20:52 Uhr 2
Mir wird hier auch ein bisschen zu viel simplifiziert. Im Kern ist das alles richtig, es gibt diese Stereotypen, es gibt diese typischen Rollenverteilungen. Klischees gibt es weil sie funktionieren und in der Comedy ganz besonders. Aber nicht alles, was hier gleich gemacht wird ist es auch.

Besonders Modern Family passt so gar nicht in die Aufzählung, denn das hat eben überhaupt nicht die typische Konstellation. Die Serie hat keine fixe Identifikationsfigur, sondern verteilt diese Aspekte über alle Figuren hinweg und variiert dann Identifikation und Sidekick über die Geschichten hinweg immer wieder. Das ist das wesentliche Erfolgsgeheimnis der Show. Das Beziehungsgeflecht ist komplett anders aufgebaut als in den anderen genannten Serien. Claire ist kein Fixpunkt für den Zuschauer. Phil bei weitem nicht der einzige Bekloppte. Und Haley mag man als Prinzessin bezeichnen, aber nun wirklich nicht in dem Sinne, wie der Artikel die Prinzessinnen-Rolle definiert, nämlich als Love Interest außerhalb der Gruppe. Was auch schon bei HIMYM nicht mehr stimmt, weil sie hier (im Gegensatz zu Penny in HIMYM) Teil der Vierer-Gruppe ist.

Ganz so einfach ist es dann eben doch nicht.
kauai
13.07.2020 08:55 Uhr 3
Für meinen Geschmack wird das Ganze hier auch zu sehr vereinfacht. Wenn es ein derart simples Erfolgsrezept gäbe, wären deutlich mehr gute Sitcoms auf dem Markt. Und ehrlich: Modern Family mit den anderen in einen Topf werfen? Das sehe ich überhaupt nicht!
Torsten.Schaub
09.08.2020 13:18 Uhr 4
Ähm, ich verstehe den Bericht nicht. Ich finde nicht, dass T&AHM genauso wie TBBT ist. Da gibt es doch zu viele Unterschiede. Wenn man, so wie in diesen Bericht, das Ganze zerstückelt, würde man alle Serien/Sitcoms über einen kam scherren können. Daher: So Simpel ist es nicht.

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