Die Kino-Kritiker

«The Social Network»

von

Kult-Regisseur David Fincher erzählt in «The Social Network» anhand der Facebook-Gründung eine zeitlose Parabel über Gier und Verrat.

Meine Ex-Freundin ist eine Schlampe mit kleinen Titten, die sich für was Besseres hält.
P.S.: Ich bin besoffen.


Das ist, in kondensierter Form, der Beginn des Sozialnetzwerkdienstes Facebook. Und es benötigt keiner ausgeprägten zynischen Ader um anzumerken, dass sich seither wenig grundlegendes veränderte. Abgesehen von den über 500 Millionen User weltweit, die es Mark Zuckerberg gleichtun können.

Mark Zuckerberg, 19 Jahre alt, frisch gebackener Harvard-Student. Er hält sich aufgrund seiner Bildung für etwas Besseres, was er seine Freundin immer wieder wissen lässt. Ihn kümmert nicht, was sie sagen will, er springt unkonzentriert von Gedanken zu Gedanken. Und wenn sie nicht Schritt hält, dann liegt es nicht an seiner Unfähigkeit eine gepflegte Konversation zu führen, sondern an ihrem beschränkten Intellekt. So seine Sicht der Dinge. Als seine Freundin die Beziehung für beendet erklärt, stürmt Zuckerberg (verkörpert durch den eindrucksvoll in dieser Rolle verschwindenden Jesse Eisenberg) in seine Studentenbude. Dort bloggt er darüber, wie schrecklich seine Ex doch sei. Der Monolog entgleitet ihm hinter dem sicheren Glühen seines Computermonitors, er lamentiert plötzlich darüber, wie hässlich einige Leute doch seien. Parallel zu seiner Hasstirade hackt er sich in die Studentenverzeichnisse Harvards und kreiert ein Programm, mit dem User das Aussehen ihrer Kommilitoninnen bewerten können. Die dazugehörige Website verbreitet sich wie ein Lauffeuer, das Netzwerk in Harvard droht zusammenzubrechen. Zuckerberg hat seine erste erfolgreiche Webanwendung programmiert. Wuterfüllt. Betrunken.

«Der Fall: Mehr als nur «Der Facebook-Film»»
Die laxe Bezeichnung «Der Facebook-Film», die «The Social Network» häufiger zukommt, ist bestenfalls partiell zutreffend. An die Schilderung jener ereignisreichen Nacht schließt keine semidokumentarische Illustration darüber an, wie Facebook den Alltag seiner zahlreichen User radikal veränderte. Facebook als grenz- und generationsüberschreitendes Phänomen, als beziehungsstiftende und -zerstörende virtuelle Visitenkarte – das reißen Drehbuchautor Aaron Sorkin («The West Wing», «Der Krieg des Charlie Wilson») und Regisseur David Fincher («Fight Club», «Der seltsame Fall des Benjamin Button») nur marginal an. Nicht, dass es keine reizvollen Sujets wären, aber sie sind keineswegs cineastisch. Wer sich mit dem sozialen Netzwerk Facebook nicht beschäftigen möchte, der fände einen vornehmlich an Monitor und Tastatur spielenden Film über eben jene Website berechtigterweise reizlos. Und Mitglieder des Web 2.0 ziehen es vor, selbst aktiv zu sein, statt Anderen beim Nachlesen des Beziehungsstatus ihrer Uni-Sitznachbarn und dem Verfassen kurzer Statusnachrichten über die Schulter zu schauen. «The Social Network» erzählt deshalb eine klassische Geschichte über zeitlose Themen, die lediglich am modernen Aufhänger Facebook dargestellt wird.

Als die Story von Zuckerbergs beeindruckender Programmierleistung die Runde über den Campus macht, sehen die Winklevoss-Zwillinge (beide dargestellt von einem effektiv arbeitenden Armie Hammer) in ihm den richtigen Mann für ihr Webprojekt. Die aus wohlbehütetem Haus stammenden, ehrgeizigen Rudersportler wollen ein neumodisches Online-Studentenverzeichnis für Harvard gründen, eine Mischung aus Datingdienst, MySpace und virtueller Studentenverbindung. Zuckerberg sagt ihnen zu, verspricht mit der Programmierarbeit zu beginnen, und zieht zielstrebig zu seinem besten Freund, Eduardo Saverin, der gerade von einer Elite-Verbindung zu einem Treffen eingeladen wurde. Saverin soll seinem von den begehrten Elite-Verbindungen ignorierten Freund das Startkapital für eine neue Online-Plattform geben, er würde dafür im Impressum als Mitbegründer geführt. Die entpuppt sich als erstaunlicher Erfolg, geht sofort als geflügeltes Wort in den Sprachgebrauch der Studenten ein und wächst schließlich über die Grenzen Harvards hinaus. Die Winklevoss-Zwillinge fühlen sich betrogen – und, wie die aus zwei parallel laufenden Prozessen bestehende Rahmenhandlung zeigt, auch zwischen Saverin und Zuckerberg wird noch böses Blut entstehen.


«Der Angeklagte: Der sozial inkompetente Schöpfer einer Sozialplattform»
Durch diesen doppelten Rahmen sichern sich Fincher und Sorkin ab. Wenn sie in «The Social Network» den Aufstieg Facebooks zeigen, dann schildern sie keine Tatsachen, sondern bebildern die emotionalisierten und stark subjektiven Erzählungen der Prozessteilnehmer. Filmdramaturgische Freiheiten und inakkurate Details sind somit leichter verziehen. Noch entscheidender ist, dass dem Zuschauer so wirkungsvoll impliziert wird, wo die thematischen Schwerpunkte von «The Social Network» liegen: Nicht bei HTML-Codes oder Einsen und Nullen, sondern bei Menschen und ihren Makeln. Mark Zuckerberg ist ein Pendant, der im Gespräch stets die Grammatik seines Gegenübers korrigiert, ein Egozentriker, dem die Gefühle seines sozialen Umfelds gleichgültig sind. Er denkt schnell und viel, fast zu viel möchte man meinen. Viel zu selten aber kreisen seine Gedanken um menschliche Werte. Ihm mangelt es an dem, was der Manager von Welt heute „social skills“ nennt. Doch er wird nicht als komplettes Monster dargestellt, das wäre einem David Fincher zu simpel gestrickt. Zuckerbergs Darstellung wird durch einen trockenen Humor angereichert, der ihm die Lacher des Kinopublikums sichert. Darüber hinaus gibt es diese gewissen lichte Momente, in denen deutlich wird, dass Zuckerberg nicht aus Überzeugung solch ein Ekel ist. Er ist schlichtweg ein Soziallegastheniker, der sich seiner Inkompetenzen und Dreistigkeiten nicht bewusst ist, ihnen womöglich nicht bewusst sein kann. Manchmal gleicht er einer vom Licht geblendeten Motte. Etwa wenn Napster-Gründer Sean Parker ins Leben der Facebook-Gründer tritt. Der von Justin Timberlake denkwürdig als selbst inszenierter Messias der Jungspundunternehmer dargestellte Parker wickelt mit seinem gleisnerischen Lebensstil den einsiedlerischen Zuckerberg vollkommen ein. Was kaum jemanden wundern dürfte, vollkommen gleich, wie verwerflich Zuckerbergs Handeln aus moralischer Sicht ist. Parkers Verführungen sind gleichermaßen wahnsinnig, wie einleuchtend. Das liegt an Timberlakes Spiel, an Finchers schneller, niemals zu hastiger, Inszenierung, an Sorkins rasiermesserscharfen Dialogen. Die lockeren Sprüche in «The Social Network» sitzen besser als in den meisten Komödien, Hinterlist trifft schwer und die wenigen Triumphe euphorisieren. Selbst der zunächst abrupt wirkende Schluss ist nach kurzer Wirkungszeit in seiner Konsequenz äußerst willkommen.

«Die Kläger: Der menschliche Bezugspunkt und Schnösel der alten Elite»
Als menschlichen Bezugspunkt in diesem unaufhaltsamen Drama hat das smarte sowie erstaunlich kurzweilige Drehbuch Eduardo Saverin auserkoren. Dessen Darsteller Andrew Garfield wird bei vielen der berechtigen Lobeshymnen über «The Social Network» ärgerlicherweise übergangen. Garfield nimmt mit seinem natürlichen Spiel als bodenständigste Hauptperson das Publikum an der Hand, lässt die Geschichte unmittelbarer wirken. Außerdem zeigt sich an der Leinwandversion von Facebook-Mitgründer Eduardo Saverin, dass «The Social Network» nicht der Anti-Sozialnetzwerk- oder Anti-Nerd-Film ist, den manche Kritiker in ihm sehen wollen. Auch Saverin ist ein helles Köpfchen, er passt nicht völlig in die populäre Elite hinein, aber er hat sich ein soziales Taktgefühl bewahrt. Zuckerbergs fehlerhafte Entscheidungen werden aufgezeigt, im Gegenzug werden jedoch die Winklevoss-Zwillinge als Witzfiguren skizziert. Sie sind eitle Schnösel mit veralteten Elite-Vorstellungen. Sie stoßen mit ihrem Weltverständnis schnell an ihre Grenzen. Wie deplatziert sie in der neuen, digitalen Welt sind, zeigt der mit großer Expertise arbeitende Regisseur Fincher in den Szenen, die ganz dieser früheren Welt gehören. Einen Ruderwettbewerb inszeniert er als das absolute Kuriosum von «The Social Network», Programmierwettbewerbe dagegen ähneln den angesagten Megafeiern, wie sie in Hollywoods archetypischen Teeniekomödien vorkommen. Egal, was man davon halten mag: Ein Nerd stellte mit einer Website ein uraltes Sozialsystem auf den Kopf. Mit all seinen Schattenseiten und Glanzlichtern. «The Social Network» zeigt den Weg dorthin: Sowohl mit Daten-, als auch mit Ideenraub, mit Verrat … und mit einer anfangs bescheidenen Vision, die ambitioniert weiterverfolgt wurde.

Fazit: Fincher erzählt seine Parabel über Freundschaft, Ehrgeiz und Betrug nahezu makellos. Die Dialoge sind messerscharf geschrieben, die schauspielerischen Leistungen spitze und das Erzähltempo astrein. Was möglicherweise schwerwiegender ist und letzten Endes den enormen Reiz von «The Social Network» ausmacht, ist das nebenher gezeichnete Portrait einer Ära, in der ein soziales Netzwerk nicht länger zwangsweise mit althergebrachten sozialen Kompetenzen gleichzusetzen ist. Letztlich ist dem Regisseur, sei es auch nur aus Versehen, dann doch ein treffender Facebook-Film gelungen. Und zwar der denkbar cineastischste.

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