«300»-Regisseur Zack Snyder lässt im Fantasy-Actioner «Sucker Punch» die Insassin einer Irrenanstalt von Samurai, Robotern, Drachen und Bordellen träumen.
Der Vorhang öffnet sich und offenbart uns eine stilisiert graue, dezent gotisch angehauchte, albtraumhafte Vision der 50er Jahre. Ein zwanzigjähriges Mädchen (Emily Browning), welches wir nur unter ihrem Spitznamen Baby Doll kennen lernen, muss mit ansehen, wie sich ihr schmieriger Stiefvater an ihrer jüngeren Schwester zu vergreifen versucht. Baby Doll greift zur Feuerwaffe, doch der Schuss verzieht und sie tötet stattdessen ihre kleine Schwester. Der Stiefvater lässt sie in eine Irrenanstalt einweisen, wo er einen Pfleger (Oscar Isaac) besticht, damit er Baby Dolls Krankengeschichte so verfälscht, dass die Polizei bloß nicht auf die richtige Fährte gelangt. Außerdem vereinbaren sie eine Lobotomie, die die praktizierende Ärztin (Carla Gugino) so niemals genehmigt hätte.
Die ersten Minuten von «Sucker Punch» muten an eine düstere Mischung aus «Moulin Rouge» und der Gothic-Rock-Oper «Repo! The Genetic Opera» an. Die hochstilisierten Bilder und die einem Fieberwahn erinnernde Inszenierung präsentiert eine überdeutlich ausgeprägte Filmwelt. Subtil will und soll dieser Anfang gar nicht sein, er möchte stattdessen seinen Betrachter vollkommen absorbieren, was nicht zu letzt dank der albtraumhaft geflüsterten Coverversion von «Sweet Dreams» auch gelingt.
In der sämtliche Klischees bedienenden Nervenheilanstalt angelangt, schaltet Regisseur Zack Snyder mit seinem audiovisuellen Rauschfest «Sucker Punch» zunächst einen Gang herunter, um auch für jeden im Publikum die Situation zu statuieren: In fünf Tagen erwartet Baby Doll eine Lobotomie, die sie geistig vernarben wird. Der Pfleger ist böse, die Ärztin guten Willens, aber nicht so machtvoll, wie sie sein sollte. Im so genannten Theater spielen einige Patientinnen ihre Leidensgeschichte nach, um sich so zu therapieren. Und auch die später an Signifikanz gewinnenden Objekte, mit denen sich Baby Doll die Freiheit erkämpfen will, werden kurz gezeigt. Eine kurze Pflichtexposition, die nicht all zu überdeutlich gestaltet ist, der es aber etwas an Tempo mangelt, was zu Ungeduld bei jenen führen dürfte, die für die im Trailer versprochenen, überbordenden Fantasiewelten ins Kino fanden.
Nicht lange, nachdem sich in den Köpfen vieler Zuschauer diese Klage breit machen dürfte, gewinnt «Sucker Punch» wieder etwas an Leben, wenn Baby Doll aus dem deprimierenden Irrenhaus-Alltag flieht, und sich in ein Edelbordell träumt. Weshalb Baby Doll eine Weltenflucht begeht, bei der sich ihre Situation nur unwesentlich verbessert, darf nach dem Abspann noch ausführlich diskutiert werden; zumindest wenn Interesse daran besteht. Entweder ist es Schwachsinn, oder ein Fingerzeig von Zack Snyder, mit dem er die Objektifizierung des weiblichen Geschlechts kritisiert, oder es soll einfach bloß cool sein. Letzteres scheint die standfesteste These zu sein, denn im zwischen Pomp und Zerfall stehenden Bordell können sich Produktionsdesigner Rick Carter («Avatar») und Regisseur sowie Ideengeber Zack Snyder mehr austoben, als noch in der Nervenheilanstalt. Die reizvoll verfaulten Sets verlieren allerdings durch langweilige Schauplätze wie einen vollkommen unaufregenden Tanzsaal an Donner.
Und dass die Damen in Baby Dolls Vorstellung eines zwielichtigen Etablissements komplett bekleidet im Takt der Musik nur etwas mit ihren Hüften schwingen, und spendable Kunden schon mit einem Nackenkuss um den Atem gebracht werden können, wirkt so, als arbeite Zack Snyder mit angezogener Handbremse. Das tönende, sich selbst als provokativ und verrucht ansehende Drehbuch von ihm und Schreibpartner Steve Shibuya traut sich dann eben doch nicht, in die Vollen zu gehen. Snyders erster eigenständiger Film, seine erste Arbeit, die auf keiner Vorlage basiert, ist auch sein erster Film, der in den USA mit dem kommerziell massentauglichen PG-13-Rating freigegeben wurde. Dabei schreit die Idee von «Sucker Punch» geradezu nach einem reinen Erwachsenenpublikum.
Die von Snyder, dem Regisseur von «300» und «Watchmen», so ungewohnte Zurückhaltung schlägt sich insbesondere auf die Actionsequenzen nieder. Wenn Baby Doll in der Bordell-Traumwelt tanzt, träumt sie sich in wechselnde Fantasiewelten, wo sie gemeinsam mit ihren neuen Freundinnen und Mit-Prostituierten (Abbie Cornish, Jena Malone, Vanessa Hudgens und Jamie Chung) einer fünfköpfigen Kampfschwadron angehört. Diese Sequenzen sind mit Computereffekten schwankender Qualität und Farbfiltern übersättigt, platzen geradezu vor Ideen, die Snyder in sie hineinquetschen musste. Baby Doll kämpft einmal im Schnee mit einem Katana gegen überdimensionale Samurai-Statuen, ein anderes Mal träumt sie sich in eine Steampunk-Variation des Weltkriegs, dann sollen sie und ihre Kolleginnen eine futuristische Stadt vor bösen Robotern und deren Zeitbombe beschützen. An visuellen Themen soll es wirklich nicht mangeln, doch was diesen Actionsequenzen den Boden unter den Füßen wegzieht, ist ihre emotionale Wucht. Snyder könnte mit Gewaltspitzen einige Publikumsreaktionen provozieren, und «Sucker Punch» wäre ein idealer Film für diesen Kunstgriff. Stattdessen vertröstet er sein nach knallharter Action gierendes Publikum mit CGI-Schusswechseln zwischen aufgedonnerten, jungen Frauen und schlecht zielenden Orks, Robotern und Steampunk-Fußsoldaten.
Das wäre nicht weiter von Belang, erzeuge Snyder anderweitig Interesse an den Actionsequenzen. Doch wenn nach den ersten zwei Minuten der Neuheitsfaktor einer frisch eingeführten Traumwelt abgenutzt ist, bleibt nicht mehr viel zu bestaunen. Da die Figuren vollkommen austauschbar sind und selbst für eine stilisierte Schlachtplatte zu wenig ausgearbeitet wurden, fällt es schwer, in den Kämpfen mitzufiebern. Statt Baby Doll anzufeuern, wartet man lieber auf die nächste stylische Kamerafahrt durch die jüngste CGI-Fantasiewelt oder ein unerwartetes Element. Welche rar gesät sind. Aber, das muss man Snyder lassen, in der zweiten Filmhälfte mischt er seine zuvor monoton gewordenen Kampfsequenzen wieder verstärkt auf. Fesselnd ist «Sucker Punch» dann noch immer nicht, jedoch fällt es wenigstens wieder etwas leichter, sich auf das Leinwandgetöse zu konzentrieren.
Mit einer weniger beeindruckenden Kampfchoreographie als in «300» und einer längst nicht mit der Tiefe von «Watchmen» mithaltenden Geschichte, bleibt «Sucker Punch» allein die Attraktivität der Reizüberflutung. Eine wahre Sogwirkung wie noch zu Beginn des Films, stellt sich im weiteren Verlauf nur sporadisch ein. Etwa, wenn der übergewichtige, selbstgefällig grinsende Bürgermeister das Bordell betritt und ein wundervoll anachronistischer Remix aus Queens «I Want It All» und «We Will Rock You» aus den Kinoboxen dröhnt. Die Kamera klebt auf seinem widerlichen Erscheinungsbild, Musik und Schnitt überbetonen kunstvoll, für welch tollen Hecht er sich hält. Hier erreicht «Sucker Punch» wieder diese Anti-Subtilität und die Fieberwahnhaftigkeit, die offensichtlich den ganzen Film ausmachen sollte, was allerdings durch ausbremsend aufgebaute Dialogsequenzen oder überflüssige Exposition vor den Actionsequenzen misslingt. Baby Dolls Kampffantasien gehorchen eh ihren eigenen Gesetzen, wieso also nicht überflüssige Einführungen raus streichen und den Zuschauer unvorbereitet ins Getümmel schmeißen?
«Sucker Punch» ist letztlich ein Film, der sichtbar von seinem eigenen Ideenreichtum um nicht zu sagen „von seinem Dasein als Grabbelkiste für Männerfantasien“, begeistert ist. So sehr, dass hinter seinen Grundkonzepten wie „Mädchen fantasiert sich eine farbenfrohere, abgedrehte Welt zusammen“, „Mädel gegen Samurai-Statuen“, „Was passiert, wenn fünf junge Frauen mit Bomben und Pistolen gegen Orks antreten?“ nicht viel übrig bleibt. Kaum Charakterisierung, kaum Kampfdramaturgie und, was in dieser Art Film besonders schmerzt, kaum coole Sprüche. Der kritische Leser mag nun einwerfen, dass Filmkritiker ihre dummen, lauten, unterhaltsamen Actionkracher ja eh lieber hochanspruchsvoll, still und überdramatisch haben, und dass «Sucker Punch» deswegen wohl halb so wild sein wird. Aber es sei deshalb etwas klarer gewarnt: Hier beschwert sich der Freier nicht, dass seine Hure nicht fähig ist, Shakespeare zu zitieren. Hier beschwert sich der Freier, dass seine Hure zwar enorm aufgedonnert ist, es im Bett jedoch nicht wirklich bringt.
Da «Sucker Punch» praktisch gesehen den ultrahochkonzentrierten Vorgeschmack auf mehrere zusammen gewürfelte Filme bietet, kann man für den unentschlossenen Kinogänger folgendes Fazit ziehen: Wer die «Sucker Punch»-Trailer liebt, wird den Film bei abgekühlter Erwartungshaltung mögen. Wer schon «300» mies fand, sollte sich ganz genau überlegen, ob er «300» besser fände, würde man die ausgetüftelte Kampfchoreographie durch abwechslungsreichere Gegner austauschen. Und wer den von Warner Bros. online gestellten Prolog vollkommen uninteressant findet, kann guten Gewissens zu Hause bleiben.
«Sucker Punch» ist seit dem 31. März in vielen deutschen Kinos zu sehen.