In den USA war «American Idol» viele Jahre die mit Abstand erfolgreichste Show im Fernsehen – nun schaffen andere Programme wie «The Voice» ebenso gute Quoten. Auch hierzulande sinkt der Stern von «Deutschland sucht den Superstar». Eine Analyse.
Simon Cowell ist nicht glücklich in diesen Wochen. Der Mann, der in den Vereinigten Staaten als kontroverser Chef-Juror mitverantwortlich für den Erfolg von Talentsendungen ist, muss zusehen, wie in den USA eine neue Castingshow-Zeitrechnung anbricht. Cowells früheres Vorzeige-Format, der Klassiker «American Idol», verliert in seiner derzeitigen Staffel mächtig Quote. Neun Staffeln lang saß Cowell in der Jury dieser Show und trug dazu bei, dass sie lange Zeit mit Abstand das erfolgreichste Programm im US-Fernsehen war. Er selbst hatte schon 2011 mehr keinen Spaß mehr, den Meinungsmacher bei «American Idol» zu spielen – und stieg dort aus, nur um Zugpferd des in den USA neu startenden «The X Factor» zu werden.
Von dieser Show ist er nicht nur der Erfinder, sondern auch ausführender Produzent. Und er wollte den Erfolg, den er als Juror bei «American Idol» gehabt hatte, wiederholen. Wollte die «Idol»-Schwäche nutzen, um ein neues Franchise an der Spitze der Castingshows zu etablieren. Das Ziel: über 20 Millionen Zuschauer in der ersten Staffel. Doch «The X Factor» blieb im Herbst 2011 deutlich hinter den Erwartungen des Senders FOX zurück: Statt der erwarteten 20 Millionen erreichte die neue Castingshow nur etwas mehr als zwölf Millionen im Schnitt. Simon Cowell, der in den USA eine ähnlich polarisierende Figur wie hierzulande Dieter Bohlen als Juror ist, musste damit seit langer Zeit wieder eine Niederlage im Kampf um die Quote einstecken. Denn derzeit nagt ein Format an seinem Castingshow-Thron, das er ausnahmsweise mal nicht mitgestaltet hat: «The Voice».
«The Voice» ist im Vergleich zu den Cowell-Shows ein junges internationales Franchise: 2010 startete die erste Staffel in Holland, im April 2011 die erste in den USA. Der von einer langen Liste an Flops geplagte US-Sender NBC landete mit der amerikanischen Version von «The Voice» einen überraschenden Erfolg mit durchschnittlich mehr als 11,5 Millionen Zuschauern – also fast so vielen, wie «The X Factor» später im zuschauerstärkeren Herbst einfuhr. Derzeit läuft in den USA die zweite Staffel von «The Voice». Die ersten fünf Folgen kamen bisher auf über 20 Millionen Zuschauer – die Show nach dem «Super Bowl» einbezogen. Rechnet man diese fairerweise heraus, ergeben sich aber immer noch starke 16,26 Millionen Durchschnittszuschauer. «The Voice» gewinnt also bisher gegenüber der ersten Staffel fast fünf Millionen Fans hinzu.
Und Simon Cowells einstiger Schützling «American Idol»? Hat derzeit zwar mit durchschnittlich 18,09 Millionen Zuschauern noch die Nase vor «The Voice», muss aber fast in jeder Woche neue Negativrekorde melden: Zuletzt sahen teils weniger als 16 Millionen zu. Beim jungen Publikum sind derzeit manche anderen Programme erfolgreicher oder zumindest ähnlich beliebt – neben «The Voice» sind dies beispielsweise die Comedys «The Big Bang Theory» und «Modern Family». Vor allem im Vergleich zum Vorjahr sinkt der Stern von «American Idol»: Bis zum jetzigen Zeitpunkt hatte die 2011er-Staffel 23,14 Millionen Fans im Schnitt – diesmal sind es knapp ein Viertel oder fünf Millionen weniger. Vielleicht genau die fünf Millionen, die «The Voice» hinzugewonnen hat.
Simon Cowells Juror-Abgang bei «American Idol» dürfte mehr Folge als Ursache des Niedergangs sein. Schon die letzte Staffel mit ihm verlor Quote, sein Ende dürfte den Zuschauerrückgang nur beschleunigt haben. Aber: Die amerikanischen Castingshow-Fans hat Cowell nicht zu seinem neuen Format «The X Factor» hinübernehmen können, wie er gedacht hatte – sie haben stattdessen das Konkurrenzprogramm «The Voice» für sich entdeckt. Dennoch hat Cowell «The X Factor» noch nicht aufgegeben: Anfang Februar kündigte er massive Änderungen im Konzept an, tauschte Moderator und zwei Jurorinnen aus. Im Gespräch sind nun große Namen wie Britney Spears, Avril Lavigne und Beyoncé für eine Nachfolge, was zeigt: Cowell reagiert und agiert nicht mehr; er ist vom gejagten Castingshow-Quotenkönig zum Herausforderer geworden.
Ein ähnliches Bild wie in den Vereinigten Staaten zeigt sich auch in Deutschland, wo «The Voice of Germany» auf Anhieb zum Quotenerfolg wurde und sowohl «Das Supertalent» (ebenfalls eine Erfindung von Cowell) als auch «Deutschland sucht den Superstar» viele Zuschauer kostete. Die Reichweiten letzterer Show sanken gegenüber 2011 um eine Million. In der abgelaufenen Casting- und Recall-Phase hatte RTL einen Verlust von über sechs Prozent Marktanteil in der Zielgruppe zu beklagen. Die Quoten sind trotzdem noch sehr hoch; von einer Absetzung ist das Format hierzulande also weit entfernt. Anders als international: In Australien lief 2009 die letzte Staffel nach Sponsoren- und Quotenverlusten, in Kanada wurde «Idol» schon 2008 beendet, in England bereits 2004. Nur noch die USA bleiben als großer englischsprachiger Fernsehmarkt für das «Idol»-Franchise. Eine Version in Frankreich lief 2010 zum letzten Mal.
Während «Idol» in den meisten TV-Märkten also schon längst eingestellt ist, verliert das Franchise nun auch in Deutschland und den USA an Zugkraft. Für Simon Cowell ist dies zunächst nicht die schlechteste Nachricht: Nach seinem Abgang beim US-«Idol» hat er der Show den Rücken gekehrt und konzentriert sich auf seine eigenen Erfindungen «Got Talent» (in Deutschland bekannt als «Das Supertalent») sowie «The X Factor» – und diese sind auf den großen internationalen Fernsehmärkten weiterhin präsent, anders als «Idol». Dessen fehlende Konkurrenz hat aber eine vielleicht viel größere auf den Plan gerufen: Mit «The Voice» etabliert sich international derzeit ein Casting-Franchise, das Cowells Shows viele Zuschauer stiehlt. Das frischer, innovativer scheint als seine Formate. Das zumindest zeigt: Die weltweite Castingshow-Landschaft ist in Bewegung, aber nicht im generellen Niedergang. Und während «Idol» langsam die große Fernsehbühne verlässt, gesellt sich mit «The Voice» ein neuer Spieler dazu.