Die Kino-Kritiker

«Türkisch für Anfänger»

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«Türkisch für Anfänger – Der Film» tauscht Berlin gegen Palmenstrand und charmant-inkorrekte Persiflage gegen Holzhammer-Humor.

Lose Adaption, Reboot, Reimagining – es gibt viele solcher Begriffe, doch sie alle beschreiben nahezu das Gleiche: Eine Geschichte, die in ihrem Ursprungsmedium auf eine lange Tradition zurückblicken kann, wird beim Sprung ins Kino umgestaltet. Damit geht auch stets ein inhaltliches Zurücksetzen der Kontinuität auf Null einher. Dies hat insbesondere bei Verfilmungen von Superheldencomics Tradition, die den Werdegang ihres Protagonisten im Kino mit unterschiedlich starken Freiheiten gegenüber der Comicfassung neu erzählen. Doch auch literarische Gestalten finden regelmäßig uminterpretiert ihren Weg auf die große Leinwand. Aus den letzten Jahren seien als Beispiele nur «Robin Hood» und «Sherlock Holmes» genannt, die zudem auch in gänzlich anderer Form die Fernsehbildschirme eroberten.

Während die meisten Comicfans die Angst vor einem mit der ursprünglichen Kontinuität brechenden Kinofilm verloren haben, ging ein Aufschrei durch die Fangemeinde von «Türkisch für Anfänger», als das alles auf den Kopf stellende Kino-Spin-Off angekündigt wurde. Vorab konnte man diese Reaktion vielleicht als überempfindlich beschreiben, sie damit begründen, dass Fans deutscher TV-Serien im Gegensatz zu Comicfans noch nicht an Reboots fürs Kino gewöhnt sind. Im Nachhinein bestätigen sich jedoch die Befürchtungen der Fans. Denn der mit dem «Türkisch für Anfänger»-Film geschaffene Präzedenzfall macht ein auffallendes Argument gegen die Praktik, Fernsehserien im Kino völlig neu zu erfinden.

Lena Schneider (Josefine Preuß) ist 19 Jahre alt und Opfer des antiautoritären Erziehungsstils ihrer Mutter Doris (Anna Stieblich). Die sich penetrant jugendlich gebende Psychotherapeutin predigt freie Liebe, Drogennutzung und frühen Sex, weshalb Lena in die exakte Gegenrichtung schlägt und sich beispielsweise schon davor ekelt, jemanden zu küssen. Auf die gemeinsame Urlaubsreise hat Lena wegen der schrillen Art ihrer Mutter überhaupt keinen Bock, ein Ausweg lässt sich aber nicht finden. Ihre üble Laune steigert sich letztlich um ein Vielfaches, als sie im Flugzeug das machohafte Gebaren ihres Altersgenossen Cem Öztürk (Elyas M'Barek), einem jugendlichen Deutschtürken mit Rapper-Ambitionen, zu ertragen hat. Doch alles kommt noch viel schlimmer: Ihre Boeing gerät in Turbulenzen und muss notwassern. Die Passagiere können rasch und ohne größere Blessuren geborgen werden, nur mit Lena und Cem meint es das Schicksal besonders schlecht. Diese stranden zusammen mit dem stotternden Griechen Costa (Arnel Taci) und Cems streng gläubiger Schwester Yagmur (Pegah Ferydoni) fernab des Flugzeugs auf einer einsamen Südseeinsel ...

Manche Figuren lassen sich aus ihrem gewohnten Umfeld reißen und funktionieren danach tadellos. So beweist etwa der BBC-«Sherlock Holmes», dass Sir Arthur Conan Doyles Detektiv auch im 21. Jahrhundert eine großartige literarische Schöpfung ist. Lena und Cem wechseln im «Türkisch für Anfänger»-Kinofilm dagegen nicht die Ära, sondern den Handlungsort ihrer sich gemächlich entwickelnden Beziehung. Wie nach wenigen Filmminuten überdeutlich klar wird, lassen sich die Berliner Jugendlichen jedoch keineswegs schadensfrei an weiße Strände mit Palmen und türkisfarbenem Meer verpflanzen. Vor dem Hintergrund des tückischen Inselparadieses mutieren die im Original pointiert überzeichneten Figuren zu uncharmanten Karikaturen. Die neurotische Deutsche und der prollige Deutschtürke passen in der Filmversion beim besten Willen nicht zusammen und rennen zudem unentwegt in Slapstickmomente, statt sich in den gepfefferten Dialogduellen der preisgekrönten Serie zu versuchen.

Da die Migrationsmetropole Berlin nicht weiter die Bühne für Vorurteile, Stereotypen, Alltagssituationen und deren Brechungen bieten kann, zicken sich Cem und Lena nun vor einer Traumkulisse an, die ihnen aber keine Anlässe für frechen oder beißenden Integrationshumor liefert. Gelegentlich versucht sich «Türkisch für Anfänger» sogar als raues Inselabenteuer über mangelnde Vorräte, abgeschnittene Kommunikation zur Außenwelt und die Bedrohung durch Kannibalen. Das sorgt aber weder für Spannung, noch ist es ein gelungenerer Rahmen für die beiden Hauptfiguren: Lena wird in diesen Phasen nur als hilflose, motzige Emanze und Cem als ein für so eine lebensbedrohliche Situation dienlicher, aber ungehobelter Macho gezeichnet. In der Theorie könnten sie ein ungleiches Duo ergeben, das sich ernsthaft durch ein Abenteuer zu schlagen versucht. Aber schon wenige Minuten später verliert diese Bedrohung wieder jegliche Fallhöhe, da sich die Figuren auf einem Niveau ankeifen, das man eher am Hotelpool, als auf einer unzivilisierten, abgeschiedenen Insel verorten würde. Wenn die Helden ihre Situation nicht ernst nehmen, wenn das Drehbuch die Brisanz regelmäßig untergräbt, wieso sollte man dann als Zuschauer um das Wohl der Figuren bangen?

Die verborgenen Tiefen der Kinoversion von Cem und Lena, die aus den eindimensionalen Karikaturen immerhin zweidimensionale Figuren machen, kommen äußerst sporadisch sowie ungleichmäßig zum Vorschein. Es ist fast so, als wäre bei den Dreharbeiten in der Südsee zwischen zwei, drei Tropencocktails die Szenenreihenfolge durcheinander geraten: Kaum öffnet sich eine Hälfte des ungleichen Paars, ist diese kurz darauf verschlossener denn je, nur um dann urplötzlich für ein oder zwei Sequenzen kurz vor der Vollendung einer Charakterwandlung zu stehen. Kohärenz sieht anders aus.

Aufgrund des ständigen Flik-Flaks der Figurenentwicklung hat dieses Insel-Liebesabenteuer auch gleich mehrere Momente zu bieten, die sich dazu eignen würden, einen runden Abschluss einzuläuten. Da diese potentiellen Enden in den Wind geschlagen werden, um weitere Komplikationen folgen zu lassen, zieht sich der Film im letzten Akt wie Kaugummi. Einziger Trost für Fans von «Türkisch für Anfänger» und den Schöpfer der Kultserie: Der bislang nur als Autor tätige Bora Dagtekin empfiehlt sich mit seinem Regiedebüt als Newcomer im deutschen Kino, den die hiesigen Produktionshäuser im Auge behalten sollten. Denn selbst wenn Dagtekin inhaltlich mit der Umgestaltung seiner Fernsehserie ins Stolpern geriet, so beweist er mit pointierten Stilwechseln innerhalb des Films inszenatorisches Können sowie Wandlungsfähigkeit. Ob ein Sextraum im Stil des «Baader-Meinhof-Komplex», ein (bewusst) sexistisches Rapmusikvideo oder ein durchaus dramatischer Flugzeugabsturz: Das Regieführen für Anfänger beherrscht Dagtekin. Hoffentlich zeigt er bei seinem zweiten Kinofilm auch (wieder) als Geschichtenerzähler größeres Geschick.

Fazit: Der TV-Geheimtipp «Türkisch für Anfänger» verliert beim Ausflug auf die große Leinwand nahezu jeglichen Charme. Aus der liebenswert-inkorrekten, scharfsinnigen Integrations-Persiflage wird ein für deutsche Komödienverhältnisse gut aussehendes, aber ebenso lautes sowie ungehobeltes Kinoabenteuer mit zähem Aufbau und Charakterisierungen, die sich wie Fähnchen im Wind drehen.

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