Til Schweiger ist, ganz gleich wie sehr sich seine ärgsten Kritiker darüber auch aufregen mögen, eines der wichtigsten Multitalente des heutigen Kinodeutschlands. Als Schauspieler, Autor, Produzent und Regisseur lockte er mehrere Millionen Menschen ins Kino und prägte mit Farb- und Klangbild seiner Regiearbeiten die Erscheinung der neuen deutschen Romantikkomödie. Dass in Schweiger ein alter Romantiker steckt, hat er mit dem unterschätzten «Barfuss», den enormen Kassenschlagern «Keinohrhasen» und «Zweiohrküken» sowie mit dem überstilisierten «Kokowääh» bereits ausgiebig unter Beweis gestellt.
Seine kernige Seite hat Schweiger in deutschen Filmen dagegen zuletzt sträflich vernachlässigt. Dabei war sein Regiedebüt eine coole Quentin-Tarantino-Hommage und auch seine schauspielerischen Hollywoodausflüge zeigten den künftigen «Tatort»-Kommissar üblicherweise mit grimmigem Gesichtsausdruck und geladener Waffe im Anschlag. Einmal sogar unter der Regie des von ihm verehrten Quentin Tarantino – und wer hätte vor «Inglourious Basterds» schon erwartet, dass Schweiger mal in einer Produktion mitspielt, die sich Hoffnungen auf den Oscar für den besten Film machen kann?
Wer aber dachte, dass Schweiger mit seinem ersten auch seinen letzten Ausflug in Oscar-Höhen getätigt hat, urteilt zu früh. Denn «Schutzengel», Schweigers nunmehr siebte Regiearbeit, befand sich gemeinsam mit sieben anderen Filmen in der Vorauswahl für den deutschen Beitrag im Rennen um den nächsten Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Letztlich setzte sich zwar das DDR-Drama «Barbara» durch, trotzdem ist es nicht zu verachten, dass der seine Filme weiterhin vor der Filmkritik abschottende Schweiger nunmehr einen Spagat zwischen mainstreamigen und preisverdächtigem Kino vollführt. Und selbst, wenn es eine außerordentliche Überraschung gewesen wäre, «Schutzengel» als deutschen Oscar-Beitrag zu erleben, ist dieser Umstand durchaus sehr aussagekräftig. Denn Schweigers Actiondrama steht, trotz gelungener Einzelszenen, etwas verloren im Raum.
Die Geschichte beginnt, als das Waisenmädchen Nina (Luna Schweiger) Zeugin eines schweren Verbrechens wird. Einzig eine Aussage der Teenagerin könnte den skrupellosen Geschäftsmann Thomas Backer (Heiner Lauterbach) hinter Gitter bringen, weshalb sie ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen wird. Aufgrund eines Informationslecks ist die Sicherheit Ninas jedoch alsbald nicht weiter gewährleistet, weshalb der für ihren Schutz beauftragte Ex-KSK-Soldat Max (Til Schweiger) beschließt, sich auf eigene Faust um das Wohl der Vollwaise zu sorgen. Das Verhältnis zwischen den beiden ist zu Beginn allerdings problematisch, da Max ein überzeugter Einzelgänger ist, während sich die vom Schicksal mehrfach geschlagene Nina noch nie einem Erwachsenen anvertraut hat. Auf der Flucht vor den im Auftrag Backers handelnden Killern und der Max misstrauenden Polizei lernen sie sich dennoch besser kennen und fangen an, ehrliche Sympathie füreinander zu empfinden. Die einzigen Vertrauten des Duos sind Max' einziger Freund Rudi (Moritz Bleibtreu), ein sarkastischer Kriegsveteran, und die Staatsanwältin Sara (Karoline Schuch), die ihr bestes tut, Max den Rücken freizuhalten. Doch Backers Männer sind äußerst hartnäckig ...
Til Schweigers Verschmelzung aus kerniger, bleischwerer Action und verletzlichem zwischenmenschlichem Drama stolpert mehrmals über unausgereifte oder übertriebene Randmomente. So etwa greifen Schweiger und seine Co-Autoren auf eines der ältesten und am häufigsten parodierten Action-Klischees zurück, um das Publikum so zu manipulieren, dass es das Ableben einer Nebenfigur zu Herzen nimmt. Stattdessen sorgt dieses Klischee jedoch für ungewollten Humor, während einige Minuten danach ein unnötiger und pointenloser Dialog über Action-Ikone Sylvester Stallone sogar Leerlauf für ausgiebiges Publikumsgelächter lässt, das aber nicht erfolgt. Auch das in «Schutzengel» gezeichnete Bild weiblicher Polizisten könnte die Geduld mancher Zuschauer überstrapazieren – es fällt schwer, eine Großstadtpolizistin, die rumflennt, weil sie eins auf die Nase bekam, nicht als sexistisches Stereotyp aufzufassen. Und sobald eine schwer bewaffnete Mini-Armee in martialischer Formation auf eine Hütte auf offener Wiese zuwandert, könnte man sich genauso gut in der Kinoaufführung einer Action-Parodie vermuten, wodurch die Dramatik des atmosphärischen Finales untergraben wird.
Genauso, wie «Schutzengel» durch solche Patzer hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt, schafft Multitalent Schweiger allerdings auch einige sehr starke Filmmomente. Mit seiner älteren Tochter Luna steht dem Regie führenden Hauptdarsteller sein schauspielerisch talentierterer Spross gegenüber, weshalb statt klebriger Vater-Tochter-Gespräche der Marke «Kokowääh» stimmige Dialoge entstehen, in denen sich Schützling und Beschützer vorsichtig ausfragen und ihre Verletzlichkeit zeigen. Auch darf man seinen Hut davor ziehen, wie Schweiger schwere Themen, wie die Vernachlässigung von Kriegsveteranen oder deren Probleme, in den Alltag zurückzufinden, zwecks Vertiefung seines Unterhaltungsfilms anschneidet, ohne ihnen ungerecht zu werden. «Schutzengel» will kein sozialkritisches Soldatendrama sein, behandelt diese Ansätze aber mit Respekt, statt sie zu dümmlichen Anekdoten verkommen zu lassen. Vor allem Moritz Bleibtreus charismatischer Spaßvogel Rudi profitiert von diesen ernsten Zwischentönen, wird so aus der Comic-Relief-Kumpelrolle eine denk- und liebenswürdige Filmfigur, die einem leicht ans Herz wächst. Und auch als Actionregisseur weiß Schweiger zu überzeugen, selbst wenn er die Glaubwürdigkeit und Dramatik des Actionfinales durch besagte Übermacht der Schurkenseite untergräbt. Der Überfall auf die Wohnung des Zeugenschutzprogramms trifft mit voller Wucht und anders als in diversen Hollywoodfilmen wird sogar ausgiebig nachgeladen, was Schweiger als spannungsförderndes Mittel nutzt.
Visuell ist «Schutzengel», wie bereits die vorherigen Regiearbeiten des einstigen «Lindenstraße»-Darstellers, weit über dem Durchschnittsniveau deutscher Kinoproduktionen angesiedelt. Und selbst wenn man dem Actiondrama durch den intensiven Gebrauch von Farbfiltern und dem gedämpften Licht anmerkt, dass es vom «Keinohrhasen»-Mann stammt, übernimmt Schweiger die Optik seiner Romantikkomödien glücklicherweise nicht 1:1, sondern wählt eine andere, dunklere Farbpalette, was nicht nur zur Stimmung des Films passt, sondern «Schutzengel» auch davor bewahrt, in den Aufbackbrötchen-Werbespot-Look abzurutschen, den «Kokowääh» mitunter aufgezeigt hat.
Dass «Schutzengel» trotz des überzeugenden dramatischen Unterbaus, einer angemessen kargen Atmosphäre und ansehnlicher Action nicht zum alleinigen Retter des deutschen Spannungskinos aufsteigt, liegt derweil nicht nur an den zuvor erwähnten Schnitzern und mancher zu dick aufgetragener Dialogzeile, sondern auch am zu besonnenen Tonfall der meisten Darsteller. Dass Schweigers Filmfiguren längere Monologe in einem Flüsterton darbieten, ist der Kinogänger bereits gewohnt und passt in diesem Fall auch zur Charakterisierung der Schweiger-Rolle. Doch wenn Lauterbachs Waffenmagnat im monotonen Kammerton Mordaufträge erteilt oder sich über unangenehme Reporterfragen beschwert, ist dies nicht einschüchternd, sondern schwach und hölzern, wodurch seine Bedrohlichkeit in Mitleidenschaft gezogen wird. Auch viele Randdarsteller, etwa nahezu jede Polizistenfigur und einige von Backers Gefolgsleuten, scheinen sich ganz beiläufig durch ihre Zeilen zu lesen.
Wird «Schutzengel» ein Kassenschlager wie Schweigers Romantikkomödien? Wohl kaum. Vielen «Keinohrhasen»-Fans wird der Film zu rau sein, Freunde schwerer deutscher Kinokost dürften ihn derweil nicht tiefgängig genug finden. Hätte «Schutzengel» dessen ungeachtet ein Publikum von vier bis sechs Millionen Kinogängern verdient? Nicht unbedingt. Aber nicht jeder Film muss ein Überblockbuster werden, selbst dann nicht, wenn Deutschlands Kino-Erfolgsmann ihn verantwortete. Für einen Achtungserfolg sollte es aber genügen. Denn «Schutzengel» ist, ungeachtet mancher Schwächen, ein richtiger Schritt für das deutsche Mainstreamkino, das sonst nur aus Geschichtsverarbeitung und Komödien zu bestehen scheint.