Die Kino-Kritiker

«Ralph reichts»

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Ein Videospielschurke will geachtet werden: Disneys neuer Animationsfilm «Ralph reichts» vereint Retro-Gamerspaß mit einer herzlichen Story und tollen Figuren.

Tagein, tagaus die gleiche Masche. Aufstehen, eine Arbeit verrichten, die längst ihren Reiz verlor, nach Feierabend ein Bierchen zischen und dabei über die nervige Arbeit lästern – und dann geht es wieder von vorne los. Wenn man dann auch noch einen Job ausübt, den man zwar wunderbar beherrscht, dem es jedoch an Glanz und Gloria mangelt, und man deshalb für sein Talent belächelt wird, ist diese Monotonie noch schwerer zu verdauen. Wer an Arbeitsfrust leidet, kann sich im Normalfall wenigstens aufs Wochenende freuen und hat Freunde oder Familie um einen moralisch zu unterstützen. Ist man dagegen Videospiel-Bösewicht, ist man völlig aufgeschmissen. Denn selbst wenn man ein nicht unerheblicher Teil des Systems ist, so ist man ja das personifizierte Übel. Und wer will schon das personifizierte Übel auf seine Party einladen?

Randale-Ralph, Schurke eines 8-Bit-Automatenspiels, hat genug davon. Seit nunmehr 30 Jahren zerstört er ein Hochhaus, damit der wieselflinke Strahlemann Fix-It Felix Jr. es, von den Spielern gesteuert, wieder reparieren kann. Ralph macht zwar nur seinen Job, dennoch verabscheut ihn die restliche Bevölkerung seiner Spielheimat für das, was er repräsentiert. Auch der Besuch einer Therapiegruppe für Videospiel-Bösewichter kann Ralph mit seinem Dasein nicht versöhnen – also bricht er mit einem der obersten Gesetze der Spielwelt: Er türmt in den topaktuellen Egoshooter „Hero's Duty“, hoffend, eine Medaille und so endlich auch Anerkennung zu gewinnen. Der grobschlächtige Ralph sorgt dort allerdings nur für Chaos und landet letztlich im zuckersüßen Kart-Rennspiel „Sugar Rush“, wo er die Außenseiterin Vanellope von Schweetz kennenlernt. Das knuffige Mädel mit dem ungezogenen Mundwerk wünscht sich nichts sehnlicher, als einmal Teil des täglich wechselnden Fahrerrasters sein zu dürfen. Jedoch hat sich die gesamte Bevölkerung des Zuckerwarenlands gegen sie verschworen. Vanellope ist nämlich ein Glitch, ein Programmierfehler, und somit nicht gerade ein Aushängeschild für den Funracer. Ralph und Vanellope tun sich alsbald zusammen, nicht wissend, dass Ralph mit seiner Spiel-wechsele-dich-Aktion sowohl seine alte Heimat, als auch „Sugar Rush“ in große Gefahr gebracht hat …

Ein Trip durch die Videospielhistorie


Die drei fiktiven Videospiele, die im Laufe von «Ralph reichts» Besuch vom dickärmigen Rotschopf Randale-Ralph erhalten, sind allesamt einfallsreiche Varianten von archetypischen Titeln aus drei Jahrzehnten Gaming-Geschichte. „Fix-it Felix Jr.“ ist eine liebevolle 8-Bit-Idee, deren Design von Spielen wie „Donkey Kong“ inspiriert ist. Und auch wenn hinter der Glaswand, durch die die Arcadebesucher auf die Spielewelt blicken, keine verpixelten Gestalten herumlaufen, so bewegen sie sich die Bewohner des Games stakkatoartig und sind simpler designet als ihre Kollegen aus neueren Titeln. „Hero's Duty“ ist mit seinen hyperrealen Figuren und der Space-Shooterthematik überdeutlich an die «Halo»-Reihe angelehnt. All zu lang macht der Film in der von Weltall-Killerinsekten bedrohten, mit treibender Hintergrundmusik von Dubstep-Ikone Skrillex untermalten Sci-Fi-Welt jedoch nicht halt.

Die längste Leinwandzeit ist der besonders zuckrigen „Mario Kart“-Kopie „Sugar Rush“ gewidmet, bei der sich das Produktionsdesign geradezu ausgetobt hat. An jeder Ecke warten witzige Einfälle, die aus einer reinen Süßigkeitenparade eine sinnig-funktionierende Cartoonwelt machen, die halt mit Süßwaren bevölkert ist. Von einem Donut-Polizisten hin zu einem Kart-Backwerk – die bunte Heimat der frechen Vanellope lässt selbst das Innere von Willy Wonkas Schokoladenfabrik bodenständig und witzlos aussehen.

Trotz der extra für den Film erdachten Spielewelten verschließt «Ralph reichts» nicht die Augen vor tatsächlich existierenden Videospielen. In Ralphs Therapiegruppe tummeln sich Mario-Erzrivale Bowser, M. Bison aus „Street Fighter II“ und zahlreiche andere Nostalgie-Favoriten, in der Game Central Station (dem Ort, der alle Spiele miteinander verbindet) können Adleraugen weitere Cameoauftritte entdecken und auch im späteren Handlungsverlauf werden erfahrene (Retro-)Zocker einige pointierte Anspielungen mitbekommen. Für Videospiel-Fans entwickelt «Ralph reichts» durch diese passionierten Randanspielungen zusätzlichen Witz und Charme. Aber da diese Gags und Gastauftritte meistens selbsterklärend sind und darüber hinaus noch weniger im Fokus stehen als die Zeichentrick-Anspielungen in «Falsches Spiel mit Roger Rabbit», werden Laien nicht überfordert – womöglich aber auf den Geschmack gebracht.

Beseelte Videospielhelden (und -schurken)


Auch wenn «Ralph reichts» zu den wenigen Kinofilmen gehört, die den Reiz von Videospielen begreifen und ihnen in bester «Toy Story»-Manier noch zusätzlichen Zauber andichtet, handelt es sich bei dieser Disney-Produktion um keinen reinen Gamer-Film. Den Autoren sowie Originalsprecher John C. Reilly (sowie mit leichten Abstrichen auch dem deutschen Synchronsprecher Christian Ulmen) ist mit Randale-Ralph eine liebenswürdige Identifikationsfigur gelungen, deren Arbeitsfrust nachvollziehbar ist und der man ihren Ausbruch aus dem Spielgefüge vom Herzen gönnt. Gleichwohl tappen die Autoren nicht in die Falle, die Ralph abweisenden Bewohner von „Fix-It Felix Jr.“ als verkappte Fieslinge darzustellen. Auch wenn ihre Haltung gegenüber Ralph unfreundlich ist, bleibt es stets verständlich, wo ihre irrtümliche Einschätzung herrührt. Mit Fix-It Felix Jr. ist Ralphs direkter „Konkurrent“ sogar ein sympathischer Gutmensch mit vergnüglichen kleinen charakterlichen Eigenheiten. Sein Zusammenspiel mit Sci-Fi-Sergeant Tamora Jean Calhoun, einer raubeinigen Befehlshaberin aus „Hero's Duty“, gehört sogar zu den komödiantischen Highlights des Films.

Die aufgeweckte Göre Vanellope von Schweetz (Sarah Silverman im Original, Anna Fischer in der deutschen Fassung) wiederum ist die perfekte Ergänzung für den sanften Riesen Ralph. Die ebenfalls ausgestoßene Spielfigur dient als Identifikationsfigur für das jüngere Publikum, liefert freche Sprüche ab und ist in ihrer goldig-gemeinen Art für das ältere Publikum ein erfrischender Hauch Zynismus in ihrer Zucker-Rennwelt. Vor allem aber ist die Freundschaft zwischen ihr und dem Titelhelden glaubwürdig und mit Herz geschrieben, und nicht etwa eine Standard-Kumpeldynamik wie man sie aus zahlreichen Animationsfilmen kennt. Die unvermeidlichen Höhen und Tiefen in ihrem Miteinander werden nicht durch künstlich konstruierte, unglaubwürdige Zwischenfälle ausgelöst, sondern entstehen aus emotional mitnehmenden Dilemmata.

In einem Jahr, in dem Pixar sich mit «Merida» an einer eigenständigen Spielweise typischen Disney-Stoffes versuchte, und dabei in tonales Ungleichgewicht fiel, rast Disney (mit Ex-«Simpsons»-Regisseur Rich Moore am Steuer) an seinem jüngeren Schwesternstudio vorbei und liefert in Form des audiovisuell abwechslungsreichen «Ralph reichts» den stärksten Computeranimationsfilm des Jahres ab. Die Prämisse, die man eher Pixar zugetraut hätte, wird mit einem ehrlichen Disney-Herz beseelt und zu einem spaßigen, figurengesteuerten Videospielabenteuer für Jung, Alt, Gamer und Trickfan.

Im Vorfeld des energiereichen Mix aus Originellem und Familiärem läuft übrigens der fantastische Kurzfilm «Paperman», der auf technisch bahnbrechende Weise Computernimation und konventionellen Zeichentrick verschmilzt, um eine süße, kleine Geschichte zu erzählen. Pünktlich im Kino zu sitzen ist also Pflicht!

«Ralph reichts» startet am 6. Dezember 2012 in den deutschen Kinos. Wahlweise auch in 3D.

Kurz-URL: qmde.de/60736
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