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'Und die Lola geht an ...' - Der deutsche Filmpreis 2015

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Die Quotenmeter.de-Kino-Redakteure Sidney Schering und Antje Wessels wagen sich an eine Prognose des diesjährigen, deutschen Filmpreises, der am Freitag im ZDF ausgestrahlt wird.

Am 19. Juli wird sie zum mittlerweile 64. Mal verliehen: Die Lola – oder offizieller ausgedrückt: Der Deutsche Filmpreis. Und ein Werk thront dieses Jahr über allen anderen: Der in einer einzigen Einstellung gedrehte, 140-minütige Sensationsfilm «Victoria», der auf der Berlinale vor internationalem Fachublikum für Furore sorgte. Ganze sieben Nominierungen sackte die Geschichte einer jungen Spanierin ein, die nach einer Partynacht Bekanntschaft mit vier Jungs macht, die „real Berliner and not Zugezogene“ sind und gemeinsam in miese Machenschaften verwickelt werden. Dass angesichts des euphorischen Pressefeedbacks Sebastian Schippers atemberaubendes Hauptstadt-Porträt in den Sparten für den besten abendfüllenden Film und für die beste Regie hervorragende Chancen hat, wäre noch eine Untertreibung. Genauso sollte der Preis für die beste Kamera nahezu garantiert sein – nicht umsonst wird Sturla Brandth Grøvlen noch vor dem Regisseur im Abspann genannt. Ähnlich wie beim in mehreren langen Takes gedrehten «Birdman», für den Emmanuel Lubezki einen Oscar erhielt, ist hier die logistische Leistung des Kameramanns sowie sein Gespür dafür, wie sehr er sich den Mimen nähern sollte, entscheidend für die Stimmung des Gesamtwerks. Auch die Lolas für die beste weibliche und männliche Hauptrolle könnten herausspringen, wobei sich Laia Costa ein knappes Rennen mit den ebenfalls nominierten Nina Hoss für «Phoenix» und Katharina Marie Schubert für «Ein Geschenk der Götter» liefert. Frederick Lau derweil hat mit Hanno Koffler für «Härte» und Christian Friedel für «Elser – Er hätte die Welt verändert» knallharte Konkurrenz – dazu gleich mehr. In den akustischen Sparten 'beste Filmmusik' und 'beste Tongestaltung' ist derweil ein Sieg für «Victoria» zwar nicht undenkbar, jedoch sehen Branchenstimmen den Film hier eher in einer zweitrangigen Position.

Das bereits angerissene Geschichtsdrama «Elser – Er hätte die Welt verändert» wurde ebenfalls mit sieben Nominierungen bedacht. Diese umfassen jedoch keine Nennung in der Hauptkategorie 'bester programmfüllender Spielfilm', wo die wahre Geschichte des gescheiterten Hitler-Attentäters Georg Elser von «Victoria», «Im Labyrinth des Schweigens», «Wir sind jung, wir sind stark», «Jack», «Who Am I – Kein System ist sicher» und «Zeit der Kannibalen» übervorteilt wurde. Auch eine Regie-Nominierung für Oliver Hirschbiegel war nicht drin. Dafür ist Christian Friedel der wohl verlässlichste Tipp in der Kategorie für die beste männliche Hauptrolle – Kritiker überschlugen sich vor Lob für seine glaubwürdige, berührende und fesselnde Darbietung der Titelfigur. Ob sein Kollege Burghart Klaußner auch als Nebendarsteller ausgezeichnet wird, ist derweil schwerer vorherzusagen, da er gegen recht prominente Performances antritt. Richtig schwer hat es «Elser – Er hätte die Welt verändert» zudem in der Sparte für den besten Schnitt, da dort unter anderem der kinetische «Who Am I – Kein System ist sicher» und die packende Dokumentation «Citizenfour» zu den Mitbewerbern zählen. Beim besten Szenen-, Masken- und Kostümbild steht derweil die Beinahe-Oscarhoffnung «Die geliebten Schwestern» im Weg. Und bei der besten Kamera ist der Sieger wie erwähnt eh äußerst sicher...

Während sich mit «Elser» und «Victoria» unter den Favoriten der diesjährigen Filmpreisverleihung, zwei Werke befinden, deren viele Nominierungen angesichts der Innovation respektive des Themas wie selbstverständlich anmuten, gibt es auch ungewöhnlichere Kandidaten. Etwa Baran bo Odars Thriller «Who Am I – Kein System ist sicher». Der namhaft besetzte Film über eine Hackergruppierung, deren Balanceakt zwischen Spaß und illegalem Verhalten vollends aus dem Gleichgewicht gerät, kam bei der deutschen Presse zwar gut an, doch die stylische Variation von David Finchers «Fight Club» besitzt – so möchte man meinen – nicht die thematische Substanz, um ansatzweise Chancen auf wenigstens einen der insgesamt sechs Preise zu haben, für die «Who Am I» nominiert ist. In den Kategorien „Bester Film“, „Beste Regie“, „Beste Kamera/Bildgestaltung“ sowie „Bestes Drehbuch“ geht die bereits auf mehreren internationalen Filmfestivals gezeigte Produktion in direkter Konkurrenz zu Sebastian Schippers Berlin-Epos «Victoria» an den Start, was die Chancen auf einen Preis gen Null sinken lässt, wenn man beachtet, was für Filmkost im Rahmen des Deutschen Filmpreises bevorzugt wird. Zuletzt konnten schwere Dramen wie «Die andere Heimat» von Christian Reitz, «Halt auf freier Strecke» von Andreas Dresen oder Jan-Ole Gersters intellektuelle Charakterstudie «Oh Boy» die Lola in Gold für sich verbuchen. «Who Am I» bietet auf dieser Ebene „nur“ eine faszinierende Geschichte über einen Allerweltstypen, die Baran bo Odar und sein Kameramann Nikolaus Summerer in ganz großen Hollywoodbildern aufbereiten. Damit setzt der preisgekrönte Regisseur von «Das letzte Schweigen» zwar ein Ausrufezeichen hinter das deutsche Genrekino, wird sich von «Victoria» aber dennoch geschlagen geben müssen, denn in Sachen Bildsprache macht selbst «Who Am I» der weltweit gefeierten Berlin-Odyssee nichts vor. Immerhin sieht es in Ermangelung an direkter Konkurrenz in zwei Kategorien sehr gut aus: Vielleicht klappt es ja mit Auszeichnungen für das Beste Szenenbild (Silke Buhr) und die Beste Tongestaltung (Bernhard Joest-Däberitz, Florian Beck, Ansgar Frerich und Daniel Weis)!?

Mit fünf Nominierungen gehört zu guter Letzt auch das Historiendrama «Die geliebten Schwestern» zu den vier Frontrunnern der diesjährigen Verleihung des Deutschen Filmpreises. Der Film des vielfach ausgezeichneten Regisseurs Dominik Graf («Dreileben») machte Anfang des Jahres von sich Reden, als er aus 17 eingereichten Beiträgen als deutscher Kandidat für die Oscar-Verleihung 2015 ausgewählt wurde. Darin erzählt Graf die wahre Geschichte um die Dreiecksbeziehung des deutschen Dichters und Philosophen Friedrich Schillers (Florian Stetter) zu den beiden Frauen Caroline von Beulwitz (Hannah Herzsprung) und Charlotte von Lengefeld (Henriette Confurius). Grafs zweieinhalbstündige Lovestory präsentiert sich in typisch pompösen Geschichtsfilm-Bildern und bietet klassisches Schauspielkino, was sich auch in den Kategorien wiederspiegelt, in welchen das Liebesdrama nominiert ist. Während sich Dominik Graf einem Regie-Duell mit Edward Berger («Jack»), Johannes Naber («Zeit der Kannibalen») und Sebastian Schipper («Victoria») stellen darf, findet sich «Die geliebten Schwestern» vornehmlich in den technischen Kategorien sowie jener in puncto Ausstattung wieder. Der Film kann sich besonders in der Sparte „Bestes Kostümbild“ (Barbara Grupp) auf eine Auszeichnung einstellen, wenngleich er hier in direkter Konkurrenz zu Fatih Akins dreifach nominiertem Historiendrama «The Cut» antritt, dessen authentisches Erscheinungsbild zu den Highlights des ansonsten eher bemühten Filmes gehört. Darüber hinaus ist Claudia Messner als Beste Nebendarstellerin nominiert. Weitere Auszeichnungen könnten für Bestes Maskenbild (Nannie Gebhardt-Seele und Tatjana Krauskopf) und Bestes Szenenbild (Claus Jürgen Pfeiffer) folgen.

Nach den vier meistnominierten und von uns daher ausführlich besprochenen Produktionen folgen in diesem Jahr noch insgesamt 17 weitere Filme, die hierzulande teilweise große Beachtung fanden. So wurde die Edward-Snowden-Dokumentation «Citizenfour» im Rahmen ihres Oscar-Gewinns nicht nur im frei empfangbaren Fernsehen ausgestrahlt, sondern darüber hinaus vielfach erneut in deutsche Lichtspielhäuser aufgenommen. Auf der anderen Seite fristeten auch in diesem Jahr viele der nominierten Filme ein Nischendasein in den hiesigen Kinos. Fatih Akins «The Cut» feierte wie viele andere nominierte Produktionen der diesjährigen Verleihung seine Weltpremiere auf einem internationalen Festival. Bei den 71. Filmfestspielen in Venedig wurde sein logistisch äußerst aufwendig produziertes Drama über den 1915 begangenen Völkermord der Türken an den Armeniern gefeiert. In Deutschland wurden nicht einmal 100 Kopien an die Kinos ausgeliefert (Zum Vergleich: Til Schweigers «Honig im Kopf» spielte 2014 durchschnittlich in knapp 800 Lichtspielhäusern]]). Ähnlich erging es auch der mit insgesamt vier Nominierungen gesegneten NS-Studie «Im Labyrinth des Schweigens». Die auch in der Sparte „Bester Film“ nominierte Produktion des italienischen Kurzfilm-Regisseurs Giulio Ricciarelli erzählt darin die Vorgeschichte der Frankfurter Ausschwitzprozesse und bereitet diese in Form eines elegant gefilmten Thrillerdramas auf. Schon bei seiner Premiere in Toronto zeigte sich die internationale Presse angetan. Auch hierzulande statteten viele Filmjournalisten das Drama mit dem Prädikat „sehr gut“ aus. Thematisch und inszenatorisch sieht es für «Im Labyrinth des Schweigens» gut aus; der Film gehört zur schärfsten Konkurrenz für «Elser» sowie «Victoria» und könnte in den Kategorien „Bester Film“ und „Bestes Drehbuch“ am ehesten für eine Überraschung sorgen.

Unter den lediglich einmal nominierten Award-Anwärtern sei an dieser Stelle noch der Psychothriller «Stereo» hervorgehoben, dessen formidable Schnittarbeit von Sven Budelmann immerhin mit einer Nominierung gewürdigt würde. Der Schnitt ist hauptverantwortlich für die beklemmende Atmosphäre in dem paranoiden Verwirrspiel um Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu; eine Lola ist also nicht ausgeschlossen. Doch auch die ekstatische Arbeit von Jörg Hauschild an «Als wir träumten» sollte nicht unerwähnt bleiben. Das melancholische, in der Wendezeit angesiedelte Coming-of-Age-Drama von Andreas Dresen, das die Redaktion von Quotenmeter.de liebend gern öfter nominiert gesehen hätte, übt eine psychedelische Faszination auf den Zuschauer aus, deren technische Aufbereitung auf internationalem Niveau daherkommt. Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Clemens Meyer erzählt «Als wir träumten» mithilfe überwältigender Emotionen von den Träumen einer verlorenen Generation. Ganz großes Kino, das – wenn auch auf anderer Ebene – auch von Neele Leana Vollmers «Rico, Oskar und die Tieferschatten» geboten wird. Mit nur einem direkten Konkurrenten namens «Quatsch» möchte sich die Redaktion an dieser Stelle festlegen: Wenn ein Film seinen Preis bereits sicher hat, dann ist es dieser in der Sparte „Bester Kinderfilm“!

Das ZDF zeigt die Verleihung des Deutschen Fernsehpreises am Freitag, den 19. Juni um 22:45 Uhr,

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