Filmfacts «Doctor Strange»
- Regie: Scott Derrickson
- Produktion: Kevin Feige
- Drehbuch: Scott Derrickson, C. Robert Cargill
- Story: Jon Spaihts, Scott Derrickson, C. Robert Cargill
- Darsteller: Benedict Cumberbatch, Chiwetel Ejiofor, Rachel McAdams, Benedict Wong, Michael Stuhlbarg, Benjamin Bratt, Scott Adkins, Mads Mikkelsen, Tilda Swinton
- Musik: Michael Giacchino
- Kamera: Ben Davis
- Schnitt: Wyatt Smith, Sabrina Plisco
- Laufzeit: 115 Minuten
- FSK: ab 12 Jahren
Unter der Leitung des «Sinister»-Regisseurs Scott Derrickson gestaltet «Doctor Strange» diese schon oft durchgemachte Reise allerdings über die längsten Etappen hinweg neu, aufregend und ungewöhnlich. Es ist quasi so, als wäre Derrickson ein neuer Fahrer, der den üblichen Pendelweg der Marvel-Origin-Story-Fahrgemeinde mittels Schleichwege variiert. Damit begnügt er sich allerdings nicht – er gönnt uns obendrein abgedrehte Sehenswürdigkeiten. Dass Derrickson seinen Mitfahrern zudem psychedelische Drogen in den Morgenkaffee gekippt hat, wäre im Falle, dass diese Zeilen wortwörtlich gemeint sind, zwar ein mieses Verbrechen. Aber da dies nur eine Metapher ist, ist es Derrickson zu verdanken, dass «Doctor Strange» im Marvel-Filmuniversum ein packendes, ästhetisch unvergleichliches Erlebnis darstellt.
Der weltberühmte Neurochirurg Dr. Stephen Strange (Benedict Cumberbatch) ist unbestritten ein Meister seines Fachs: Ihm scheinen selbst die kniffligsten Fälle leicht zu fallen – seinen ruhigen Händen und seinem messerscharfen Verstand sei Dank. Doch dem Workaholic ist schon längst sein Können zu Kopf gestiegen: Er übernimmt nur Patienten, die ihn herausfordern, aber heilbar sind und somit seine perfekte Statistik nicht zerstören. Aller Arroganz zum Trotz gelingt es ihm, eine freundschaftliche Beziehung zu seiner Kollegin Christine Palmer (Rachel McAdams) aufrecht zu halten, statt sich angesichts ihrer einst gescheiterten Liebesaffäre an die Gurgel zu gehen. Das streng geordnete Leben, das Strange sich aufgebaut hat, wird brutal durcheinandergerüttelt, als er bei einem Autounfall schwer verletzt wird. Unter anderem bleibt ein dramatischer Nervenschaden an seinen Händen übrig, was es ihm unmöglich macht, in seinen Beruf zurückzukehren.
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In mancherlei Hinsicht ist «Doctor Strange» eine esoterische Abwandlung des in technologischen Spielereien verwurzelten «Iron Man»: Ein selbstverliebter, sich allein durch sein Ego und seine Arbeit definierender Protagonist hat einen Unfall. Das, was ihm hilft, sein so erzeugtes körperliches Gebrechen zu überkommen, öffnet ihm zugleich Tür und Tor in eine Welt abenteuerlicher Gefahren und großer, heldenhafter Verantwortungen. Dieser familiäre Pfad der Heldenwerdung führt die Titelfigur zwischenzeitlich auch in Versuchung, die ihr gebotenen Möglichkeiten nur für sich selbst zu nutzen, statt zum Wohle der Allgemeinheit. Selbstredend ist es für den sich selbst findenden Helden eine größere Herausforderung, das eigene Ego zu überkommen, statt seine Fähigkeiten zu meistern. Und darüber hinaus gibt es während der mit etwas Situationskomik gespickten Reise auch Rückschläge zu verkraften …
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Gleichwohl gelingt es Derrickson und Cargill, ihren Helden intensiver zu skizzieren als es den Titelfiguren in «Iron Man» oder «Thor» vergönnt ist: Bevor es Strange nach Nepal verschlägt, skizziert der erzählerisch zügig voranschreitende, doch in ruhigen, dramatischen Szenen entfaltete erste Akt den Neurochirurgen in all seiner charakterlichen Bandbreite. Dabei beachtet Derrickson weitestgehend das alte cineastische Mantra „Show, don’t tell“ und führt die Hybris Stranges ebenso vor wie sein zweischneidiges berufliches Erfolgsstreben und seine wenigen Interessen abseits seiner Arbeit. Statt McAdams‘ Christine Palmer in einem starren Monolog explizit ausformulieren zu lassen, wie sie zum wandelnden Musiklexikon Strange steht, wird ihre sympathische, ihrer gemeinsamen Vergangenheit ungeachtet entspannte Dynamik zueinander im Zusammenspiel deutlich. Der sehr, sehr trockene sowie dezent überhebliche Witz, den Cumberbatch in «Sherlock»-Manier rüberbringt, und die Freundschaft zwischen den Ex-Liebhabern sind es auch, die Strange trotz zahlreicher charakterlicher Mängel zu einem angenehmen und runden Protagonisten formen.
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Die Darbietungen des restlichen Casts können nicht ganz mit diesen zwei Schauspielleistungen mithalten, trotzdem hinterlässt das Ensemble einen durchweg positiven Eindruck. McAdams‘ Figur kommt in der Story zwar leider zu kurz, trotzdem zählt sie dank der gelassenen Interaktion mit Cumberbatch zu den besseren weiblichen Anvertrauten eines Marvel-Titelhelden. Chiwetel Ejiofor bringt als Kampfgefährte Stranges einen reizvollen Mix aus moralischer Strenge und Empathie mit und Benedict Wong verwandelt die Randfigur eines übellaunigen Bibliothekars in einen denkwürdigen Sidekick. «Hannibal»-Hauptdarsteller Mads Mikkelsen letztlich hätte zwar zusätzliche Szenen vertragen können, um die Motivation seines Schurken von einer plausiblen Behauptung zu einer nachvollziehbaren Charakteristik emporzuheben. Dessen ungeachtet bleibt auch hier Mikkelsens magnetische Leinwandwirkung bestehen und seine wenigen sarkatischen Dialogwitze sind allesamt Volltreffer.
- © Walt Disney
Dass die Antagonisten in «Doctor Strange» prägnanter sein könnten, gerät angesichts der visuellen Extravaganz dieses 165-Millionen-Dollar-Projekts allerdings rasch in Vergessenheit. Wenn die Helden und ihre Kontrahenten Magie einsetzen, weicht dies selbst bei den simpleren Tricks dank filigran gestalteter Zauberpartikel von den altbekannten Magie-Feuerbällen anderer Filme ab. Diese bereits sehr stylischen Elemente sind aber nur Kinderkram im Vergleich zu dem, was die fähigsten Figuren mit ihrer Magie bewegen: Für sie ist die normale, irdische Wirklichkeit kaum mehr als ein Blatt Papier, das sie wie ein Origami-Meister verformen. Wenn ganze Straßenzüge mehrmals ineinander gefaltet und gespiegelt werden, sich somit in ein surreales Uhrwerk verwandeln, sieht nicht nur eine der ikonischsten «Inception»-Szenen alt aus: Selbst der für seine illusorischen, Logik außer Kraft setzenden Zeichnungen berühmte Grafiker M. C. Escher würde bei diesen verschachtelten Effektkonstrukten ins Schwitzen kommen. Diese surrealen Wunder lassen «Doctor Strange» nicht bloß visuell aus dem restlichen Marvel-Franchise herausstechen, sie ändern auch den Ablauf der Action, da hier Faustkämpfe und Laserschüsse Platz machen für strategische Tricks und weitschweifende Magie.
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Fazit: Marvel entdeckt eine imposante, überwältigende Welt der Magie für sich – und peppt mit ihr eine gewohnte, aber in sich stimmige Narrative auf.
«Doctor Strange» ist ab dem 27. Oktober 2016 in vielen deutschen Kinos zu sehen – in 2D und 3D.
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