Die Kino-Kritiker

Gute Intentionen, maues komödiantisches Timing: «Solange ich atme»

von

Andy Serkis verfilmt in seinem Regiedebüt die Lebensgeschichte des gelähmten Vaters eines engen Freundes. Das ist allerdings längst nicht so rührselig, wie es vielleicht klingt …

Filmfacts: «Solange ich atme»

  • Regie: Andy Serkis
  • Produktion: Jonathan Cavendish
  • Drehbuch: William Nicholson
  • Darsteller: Andrew Garfield, Claire Foy, Tom Hollander, Hugh Bonneville, Dean-Charles Chapman, Ed Speleers
  • Musik: Nitin Sawhney
  • Kamera: Robert Richardson
  • Schnitt: Masahiro Hirakubo
  • Laufzeit: 117 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Filme über den Umgang mit Behinderungen und/oder schwere Krankheiten fallen üblicherweise in eine von drei Schubladen: Sie sind durch und durch dramatisch, ja, sogar tragisch. Sie sind extrem leichtherzige Filme, die je nach dem Feingefühl der Verantwortlichen, lebensbejahend sind oder respektlos. Oder aber die Filmschaffenden zielen auf den «Ziemlich beste Freunde»-Balanceakt der tragikomischen Bittersüße ab. So auch Andy Serkis. Der 53-Jährige, der den meisten als Gollum aus den «Der Herr der Ringe»-Filmen und Caesar aus der neuen «Planet der Affen»-Trilogie bekannt sein dürfte, nimmt sich in seinem Langfilmregiedebüt der wahren Geschichte eines Mannes an, der den Hürden seiner Zeit trotzte und so sein Leben als jemand, der vom Hals abwärts gelähmt ist, versüßt hat. Dabei sind Serkis' gute Intentionen und seine Passion für das Material durchweg zu spüren – aber das komödiantische Timing seiner Tragikomödie lässt «Solange ich atme» wiederholt ins Schwanken geraten …

In den gehobenen Kreisen des Englands der Fünfzigerjahre verliebt sich der erfolgreiche Handelsmann Robin Cavendish (Andrew Garfield) Hals über Kopf in die hübsche Diane Blacker (Claire Foy), die sich nicht sagen lässt, wo ihr Platz in der Gesellschaft ist. Schon bald darauf heiraten die Schwerverliebten und reisen gemeinsam um die Welt, da Diane den abenteuerlustigen Robin nur zu gern auf seinen Geschäftsreisen begleitet. Im Dezember 1958 kommt jedoch der große Schrecken: Durch eine Polio-Infektion wird Robin im jungen Alter von 28 Jahren vom Hals abwärts gelähmt. Die Heilungsaussichten stehen bei Null. Zu allem Übel erwartet Robin ein Leben ans Krankenhausbett gefesselt – seine Ärzte glauben nicht, dass er außerhalb des Hospitals eine reelle Chance hat. Robin verliert dadurch seinen Lebensmut – bis Diane beschließt, gegen die Konventionen zu verstoßen und ihren Gatten aus dem Krankenhaus zu verfrachten. Robin findet an dieser Form der Rebellion Gefallen und kommt auf immer schwerer zu erfüllende Wünsche …

Wenn heute ein Bahnsteig nur über Treppen erreichbar ist, ist es vollkommen selbstverständlich, wenn eine an den Rollstuhl gefesselte Person sich darüber beklagt. In den schlimmsten Fällen benötigt es riesigen Presserummel, bis sich an der Lage etwas ändert, andere Male wird der Missstand rascher behoben. Dass es ein zu behebendes Problem ist, steht in solchen Fällen allerdings völlig außer Frage. Noch vor 60 Jahren sah es vollkommen anders aus. Und dass jemand, der ans Bett gefesselt ist und ein Beatmungsgerät benötigt, fordert, sich aus dem Krankenhaus bewegen zu können, galt glatt als Miniskandal. Zumindest aber wurden solche 'dreisten' Forderungen mit Unglauben, Lachern und teils auch Wut begrüßt. So ergeht es Robin Cavendish zu Beginn von «Solange ich atme».

Dass Regisseur Andy Serkis mit Produzent Jonathan Cavendish, Robins und Dianes Sohn, eng befreundet ist, ist dieser 15-Millionen-Dollar-Produktion durchweg anzumerken. Mit spürbarer Begeisterung zeigt Serkis, dass die Welt Leute wie Robin und Diane Cavendish sowie ihre Freunde braucht. Leute, die Grenzen nicht einfach hinnehmen, sondern sagen: "Wenn ein normaler Rollstuhl mit angeschlossener Beatmungsmaschine zu schwer zu schieben ist, dann muss halt ein elektrischer Rollstuhl erfunden werden!" Serkis drückt dies mit einer vitalen Inszenierung aus, wann immer die Cavendishs einmal mehr Hindernisse nehmen – muntere Musik tänzelt im Hintergrund, die Bilder erstrahlen satter und die Figuren lächeln auf geradezu unnatürliche Weise.

Doch Serkis setzt zudem mehrmals auf den sogenannten "Gilligan Cut", eine durch «Gilligans Insel» populär gemachte Form audiovisuellen Humors: Eine Figur stellt etwas als unmöglich dar. Schnitt. Als nächstes sehen wir, wie es sehr wohl passiert. Durch Serkis' Timing und die innigliche Betonung, wie froh und munter dies ist, droht «Solange ich atme» gelegentlich, umzukippen. Es steht außer Frage, dass Serkis die persönlichen und ingenieurwissenschaftlichen Fortschritte, die Robin Cavendish genießen konnte, zelebrieren will. Mehrmals mutet es durch die Umsetzung jedoch eher so an, als sollte man in diesen Szenen über die Absurdität lachen, dass da ein Gelähmter gerade dieses oder jenes tut.

Serkis stolpert beim Versuch, seinen Intentionen gerecht zu werden, zudem über die flache Charakterisierung, die William Nicholsons Drehbuch dem zentralen Figurenpaar zukommen lässt. Ein Großteil des Films besteht daraus, wie sie sich gegenseitig anschmachten und mit konventionellen, austauschbaren Liebesbeichten überhäufen. Und weil er Film so sehr damit beschäftigt ist, ständig neue Etappen im Leben der Cavendishs abzuklappern, bleibt kaum Raum für ruhigere Passagen, in denen die Persönlichkeit der Figuren abseits ihres Kampfeswillen tiefer beleuchtet wird.

Dadurch, wie sehr «Solange ich atme» an der Oberfläche bleibt, fällt es auch rätselhaft aus, wann und weshalb Robin und Diane ihre Positionen in Sachen "Wir müssen mehr wagen!" tauschen. Realistisch bleiben die kleinen Widersprüche in ihrer Charakterisierung dennoch, was auch am engagierten Spiel von Andrew Garfield und Claire Foy liegt, die ihren Rollen zwar wenig Profil verleihen können, aber als Paar voller großer Gefühle glaubwürdig sind.

Fazit: Mit guten Intentionen versehen ist diese tragikomische Krankengeschichte für große Anhänger des emotionalen Kinos durchaus einen Blick wert: Hübsch fotografiert und mit Inbrunst gespielt, macht «Solang ich atme» seine dünne Figurenzeichnung weitestgehend vergessen, selbst wenn die launigeren Passagen teils überbetont wirken.

«Solange ich atme» ist ab dem 19. April 2018 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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