Popcorn & Rollenwechsel

'Sei nicht immer so negativ!'

von

Unser Filmkritiker und Kolumnist Sidney Schering nennt erneut fünf Sprüche, die ihm aufgrund seines Berufs auffallend oft von Branchenfremden ins Gesicht geschleudert werden.

'Für den echten Journalismus hat es wohl nicht gereicht, oder?'


Zumindest ich kenne keine Filmkritiker, die aus dem 'echten' Journalismus (was Leute meistens als Politik und Wissenschaft definieren) rausgerutscht sind und nun schmollend ihr Dasein im Medienjournalismus fristen. Und, ganz ehrlich: Spannender und gehaltvoller als Lokaljournalismus ist es in diesem Metier allemal! Okay, okay, liebe Kollegen, die über Kleintierzüchtervereine und Schützenfeste berichten: Ich korrigiere mich. Ihr macht einen sehr wichtigen Job. Ich halte mein Metier für wesentlich spannender und gehaltvoller. Besser?

Sehen wir es so: Wir Medienjournalisten und die lieben Lokaljournalisten, wir sollten uns dahingehend einig werden, dass uns eine Sache enorm nervt und verwundert … Mir kam noch nie zu Ohren, dass ein Sportjournalist die obige Frage gestellt bekommen hat. Wieso zum Henker ist es angesehener, über Fußballtransfers zu spekulieren und die Krankenakte von Stürmern breitzutreten, als über Medien und das, was vor der eigenen Haustür passiert, zu berichten? Weshalb? Wieso? Warum ist das so, Sir?

'Mich interessiert die Meinung von Kritikern nicht, mich interessiert die Meinung von echten Leuten!'


Jeder, der mir das sagt, rennt offene Türen bei mir ein – und bekommt dann erst einmal einen Monolog vor den Latz geknallt. Die (relative) Kurzfassung des Ganzen: Selbst wenn ich eines der fiesen, gemeinen Kollegenschweine bin, die zustimmen würden, dass es zumindest eine gute Handvoll Kritiker gibt, die eine, sagen wir mal, übertrieben spezielle Herangehensweise an Filme haben, so sind die meisten von uns eben doch ganz normale, echte Menschen. Nun wird ein «Batman v Superman – Dawn of Justice»-Fan auf meine negative Besprechung des Films zeigen und sagen: "Pah! Snobistischer Kritiker!" Jedoch müssten wir gemeinsam nur in eine Fußgängerzone gehen und Leute anhalten, und es würde nicht lange dauern, bis wir ein paar Nicht-Filmkritiker finden, die meiner Meinung sind.

Es geht in der Filmkritik nicht darum, dass ein einzelner Filmkritiker allen Leuten auf der ganzen Welt vorschreibt, was die richtige Meinung ist. Wir sorgen für einen Meinungsquerschnitt und hoffen, mit unserer Argumentation eine Denkvorlage zu liefern. Wer nach meiner Kritik denkt: "Oh, ich glaube, ich werde genauso über den Film denken" ist ebenso willkommen, wie jemand, der sich sagt: "Nein, ich denke, dass ich ganz anders an den Film herangehen werde." So oder so ist man nach meiner Kritik (hoffentlich) schlauer. Genauso, wie wenn man Wochen nach Kinostart mit einem Freund, der Film X schon gesehen hat, darüber spricht, ob man ihn noch schnell gucken sollte. Nur, dass wir in der Tendenz mehr Filme schauen und daher über mehr Projekte was sagen können, als der Durchschnittsfreund – und dass wir euch diese Einschätzungen schon eine Spur früher geben können.

Oh, und weil wir aus beruflichen Gründen Filme gucken und unsere Gedanken auszuformulieren lernen, können wir vielleicht, hoffentlich, im Idealfall unsere Überlegungen besser verbalisieren als die Leute, die ihr auf einer Party um ein kurzes Statement für den morgen geplanten Kinoabend bittet. Vielleicht verkaufe ich uns nun unter Wert oder klinge unterschwellig arrogant, aber, hey, ich sagte ja: Wir können vielleicht, hoffentlich, im Idealfall mit Sprache besser umgehen tun.

'Sei nicht immer so negativ!'


Ein Spruch, der gekonnt die ganzen positiven Besprechungen ignoriert, die wenigstens der Otto Normalkritiker mit solider bis hoher Frequenz raushaut. Und somit eigentlich keines weiteren Kommentars würdig.

'Wie könnt ihr Kritiken zu Filmen schreiben, die noch nicht erschienen sind? Ihr seid doch alle Lügner!'


Einerseits ist es natürlich vermessen von mir, davon auszugehen, dass Branchenfremde sich mit den Details meiner Arbeit auskennen. Andererseits bin ich sehr wohl davon überrascht, wie oft mir Leute begegnen, die weder jemals von Pressevorführungen gehört haben, noch von alleine auf die Idee kommen, dass es so etwas wohl geben muss. Man muss ja auch kein Nachrichtensprecher sein, um zu wissen, dass Teleprompter existieren … Nun gut. Machen wir es kurz: Wir können vor Filmstart über Filme schreiben, weil wir sie vorab zu sehen bekommen. Cool, oder?

'Hey, wieso schreibst du nur Kritiken zu neuen Filmen?'


Keine unberechtigte Frage, selbst wenn sie meist in einem nervig-vorwurfsvollen Tonfall gestellt wird: Die Filmkritik ist eine sehr aufs Jetzt geeichte Profession – und das, wie mir scheint, in einem zunehmenden Ausmaß. Als der DVD-Markt boomte, hatten Magazine wie die 'Cinema' und die 'Widescreen' noch einen ausführlichen Heimkinoteil, in dem die (Neu-)Veröffentlichungen von Klassikern großen Raum zugeteilt bekommen haben. Solche rückblickenden Kritiken sind allerdings seit längerer Zeit im Rückzug. Mit der Flut an neuen Film-, Fernseh-, Heimkino- und Streamingtiteln liegt der Fokus zunehmend auf Neuveröffentlichungen. Das sind wir Filmkritiker teils selber schuld. Andererseits liegt es auch an unserem Publikum, das alles über neue Filme wissen will und etwas träge dabei ist, Klassikerbesprechungen zu entlohnen.

Generell gilt: Nur, weil ein Kritiker zu einem Film keine Rezension veröffentlicht hat, heißt es nicht, dass er den Film nicht kennt. Spart euch also zumindest diesen Unterton. Und was das Besprechen von Klassikern angeht: Wir bei Quotenmeter.de haben zumindest die Rubrik 'Die glorreichen 6' eingeführt, um dann und wann auch eine Ausrede zu haben, das Augenmerk auf länger zurückliegende Filme zu lenken. Und meine «Avengers | Infinity War»-Kritik zum Beispiel blickt auf «Eine total, total verrückte Welt» sowie «Erdbeben» zurück, weil es sich mir geradezu aufgedrängt hat und ich diesen Gedanken mit euch da draußen teilen wollte. Es ist nur ein kleiner Beitrag, aber immerhin ist es einer.

Allgemein gilt dennoch: Wenn ihr wollt, dass die Filmkritik wieder stärker aufs Vergangene zurückblickt, dann sorgt dafür, dass die Filmkritik davon auch leben kann – es gibt genug Kollegen, die sich abmühen, über Klassiker schreiben und sprechen zu können, dann aber mit Desinteresse gestraft werden. Das entmutigt, Leute …

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