Die Kino-Kritiker

«Die brillante Mademoiselle Neila»: Die wundervolle Kunst der Rhetorik …

von

…, die ihr innewohnende Macht sowie das enttäuschende abschließende Urteil einer filmischen Verneigung vor dem gepflegten Ausdruck.

Filmfacts: «Die brillante Mademoiselle Neila»

  • Regie: Yvan Attal
  • Drehbuch: Yvan Attal, Victor Saint-Macary, Yaël Langmann, Noé Debré
  • Darsteller: Alexandra Strauss, Camélia Jordana, Yasin Houicha, Nozha Khouadra, Nicolas Vaude, Jean-Baptiste Lafarge, Daniel Auteuil
  • Produktion: Dimitri Rassam, Benjamin Elalouf
  • Kamera: Rémy Chevrin
  • Schnitt: Célia Lafitedupont
  • Musik:  Michael Brook
  • Laufzeit: 97 Minuten
  • FSK: ohne Altersbeschränkung
Die französische Bildungskomödie «Die brillante Mademoiselle Neila» kommt mit einer eindrucksvollen Sequenz ins Rollen, die auf charmant-überspitzte Art, aber auch mit wirklichkeitsnaher Beobachtungsgabe ihren Plot sowie ihre grundlegende These vorskizziert: Jurastudentin Neila Salah (Camélia Jordana) kommt zu spät zur Uni. Nachdem sie sich durch das imposante, glatt-elegante Modernität mit altem Bildungsstättenbaustil vereinende Fakultätsgebäude gehetzt hat, platzt sie in die bereits laufende Vorlesung des strengen Dozenten Pierre Mazard (Daniel Auteuil).

Dieser fühlt sich von der durch die Reihen stolpernden Studentin in seinem Vortrag gestört. Als Neila Entschuldigung sagt, bringt sie so versehentlich ein regelrechtes Tribunal gegen sie in Gang. Der auf lehrbuchkonforme, altbewährte sprachliche Gepflogenheiten Wert legende Dozent führt sie vor dem restlichen Studierendenkollegium vor, da man schlicht eine Entschuldigung erbitten könnte, nicht aber einfach so "Entschuldigung" sagen dürfe. Während diese Spitzfindigkeit im Hörsaal teils auf ablehnendes Aufstöhnen, teils auf augenrollendes Gekicker, teils auf zustimmendes Gelächter stößt, wendet sich bald darauf das Blatt.

Neilas Erwiderungen bringen den grau melierten Rhetorikexperten ins Schwadronieren, es folgen rassistische, sexistische sowie sich über die Jugend von heute erhebende Spitzfindigkeiten, Beleidigungen und Unterstellungen. Die Stimmung im Saal kippt, aber Mazard nimmt das Raunen, Gröhlen und Pfeifen nur zum Ansporn, lauter und erzürnter vom Leder zu ziehen – während Smartphones seine Tirade festhalten und eine Gebärdendolmetscherin in aller Seelenruhe seine Aussagen für eine Handvoll Studierende übersetzt.

Regisseur Yvan Attal, der auch Teil des vierköpfigen Gespanns ist, welches das Drehbuch verantwortete, lässt somit auf seine während des Vorspanns laufenden Montage aus Interviewschnipseln zum Thema Kultur und Rhetorik, ein Feuerwerk an Stilmitteln folgen. Die mit erstaunlichem Blick für leinwandfüllende, das Gesagte visuell unterstreichende Bilder eingefangene Hörsaalsequenz ruft Erinnerungen an reale Argumentationsketten wach, die sprachlich penibles Lehrpersonal häufig verwendet. Sie hat Parallelen zu zahllosen anderen Filmen der Gattung "Strenger Lehrer, der Großes bewirkt". Sie ist wirklichkeitsnah strukturiert, dank des überspitzten Schnitts allerdings kinowirksam gewitzt – und dann nimmt sie gesellschaftspolitisch-aktuelle Züge an.

Der alte, weiße Mann aus dem gesetzten Bildungsbürgertum, der die gute, alte Zeit vermisst und in allem, was nicht seinen soziodemografischen Parametern entspricht, einen negativen Einfluss sieht. Und der sich für tolerant hält, weil er ja sagt, dass "die da" nichts dafür können, weil sie halt einfach so sind. Der verbale Übergriffigkeiten gegenüber Studierenden als Witzeleien einschätzt oder als strenge pädagogische Stilmittel. Und der sich dann beim Dekan, mit dem er sich bestens versteht, beklagt, wie ungerecht es doch sei, dass ihn Leute wie Neila mit "den Rechten" zusammenschmeißen. Er sei doch kein Rassist!

Von diesem Auftakt ausgehend, spinnt Attal einen cleveren, eloquenten sowie temporeich strukturierten, trotzdem nicht gehetzten Film über die berückende Komplexität sprachlicher Argumentation. Und dies, ohne ihm den staubigen Geschmack einer Unterrichtsstunde mitzugeben: Mazard und der Dekan planen eine Ablenkungsaktion. Während die Studierenden und weitere Dozierende Mazards Absetzung fordern, unterrichtet er Neila in Rhetorik, damit sie bei einem angesehenen Rhetorikwettbewerb gut dasteht. Das könne für Ablenkung vom Skandal sorgen und seinen Ruf aufpolieren. Neila ist von Mazards plötzlicher Hilfsbereitschaft zunächst genervt, gibt aber nach. Es folgen mit spitzer Feder geschrieben, mit kessem Getus in Szene gesetzte Nachhilfestunden, Übungen und Unterhaltungen zwischen den verschiedenen Generationen, Geschlechtern und Kulturprägungen.

Es mag eine archetypische Erzählung sein, gleichwohl ist sie in «Die brillante Mademoiselle Neila» dank kleiner narrativer Abwandlungen und einer nuancierten Charakterzeichnung eher als erzählerische Stütze zu verstehen, denn als Kreativhindernis. Nie drängt Yvan Attal die Lesart auf, dass aus Gegensätzen unweigerlich beste Freunde werden, und auch das 'Das Beste aus beiden Welten lernen'-Klischee bleibt aus. Neila bleibt sich menschlich selber treu, von der rein studentischen (in den Augen mancher zudem schlechten) Angewohnheit abgesehen, die Diktion ihrer Freunde zu korrigieren. Sie passt sich nur im universitären Frame den äußerlichen Gepflogenheiten an – und das ist glaubwürdig. Mazard wiederum bleibt durchweg eine forsche, streitsüchtige Persönlichkeit, er bremst nur seine übergriffigsten Tendenzen. Yvan Attal geht einen inhaltlich diffizilen, ausdifferenzierten Weg, erzählt ihn aber mit einer verständlichen Leichtigkeit.

Der Film zeichnet Mazard nicht als potentiellen Le-Pen-Wähler, wäre er Deutscher, fände er sicherlich auch jemanden wie Gauland grässlich unkultiviert und in historischen Angelegenheiten ungebildet. Trotzdem ist Mazard ein respektloser Mistkerl, dessen Frauen-, Religions- und Kulturbild in einer Zeit des viel zu engen Fokus stehengeblieben ist. Er wäre sicher politischer Sympathisant von Horst Seehofer – ewiggestrig, problematisch, aber wenigstens nicht antidemokratisch. Mazard fände dabei aber sicher Seehofers Persönlichkeit unerträglich bäuerlich. Mazard wird diesen unsympathischen Aspekten zum Trotz als guter Lehrmeister gezeigt, der belesen und zuweilen auch humorvoll ist – und der für sein Fach förmlich glüht. Bloß ist er erst dann ein guter Lehrmeister, wenn er es sein muss, um seinen Hintern zu retten.

Attal spart nicht mit Kritik an Auswüchsen innerhalb der hochnäsigen Kulturelite, die die Botschaften ihrer eigenen Schriften nicht richtig versteht und mitunter mit hasserfüllter Rhetorik ankommt, sobald sich auch Mitmenschen aus Demografien in ihre Kreise wagen, denen früher solche Möglichkeiten verwehrt blieben. Gleichwohl lässt er Raum für Abstufungen, nutzt Neila als moralischen Kompass – mal lacht sie mit Mazard, mal über ihn, mal geht sie aus gutem Grund wegen ihm an die Decke. Im Gesicht der ausdrucksstarken Camélia Jordana lässt sich die Hoffnung ablesen, dass ihr Dozent vielleicht über sich hinauswächst, sich entseehofert und vielleicht zu wem entwickelt, der "nur" noch ein penibler Miesepeter ist und sich nach einem verdienten Auf-die-Finger-klopfen für seine entgleiste Vorlesung zu bessern weiß.

Attal führt einen der Redegewandtheit seiner Hauptfiguren angemessenen Diskurs und zeichnet in Grautönen vergnügte Szenarien. Und dann nutzt er das abschließende Plädoyer, dem er inszenatorisch und narrativ am meisten Gewicht verleiht, um jegliche vorangegangene Komplexität über den Haufen zu werfen und in simpleren Graden zu messen. Aus einem nuancenreichen, dennoch vergnüglichen Film wird mit einem krachenden letzten Argumentationspunkt ein harmonieverliebtes Wohlfühl-Studentenkomödchen. Aufgrund des starken erzählerischen Vorlaufs, der versiert verfassten Dialoge und der kinotauglichen Umsetzung reicht diese Unschlüssigkeit keinesfalls, um aus einer klaren Sehempfehlung eine versetzungsgefährdende Note zu formen. Aber satten Punktabzug muss es dafür geben.

«Die brillante Mademoiselle Neila» ist ab dem 14. Juni 2018 in einigen deutschen Kinos zu sehen.

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