Filmfacts «Chaos im Netz»
- Regie: Rich Moore, Phil Johnston
- Produktion: Clark Spencer
- Drehbuch: Phil Johnston, Pamela Ribon
- Story: Rich Moore, Phil Johnston, Jim Reardon, Pamela Ribon, Josie Trinidad
- Musik: Henry Jackman
- Kamera: Nathan Detroit Warner, Brian Leach
- Schnitt: Jeremy Milton
- Laufzeit: 112 Minuten
- FSK: ab 6 Jahren
Welche Ufer Anna und Elsa in ihrem nächsten Film ansteuern, ist noch nicht bekannt. Für Vanellope und Ralph geht es derweil in eine Welt, die uns allen bereits gut bekannt ist und die dennoch erst vor wenigen Jahren von der Bundeskanzlerin als Neuland bezeichnet wurde: Das Internet. Als nämlich die Arcade-Maschine beschädigt wird, in der Vanellopes Rennspiel beheimatet ist, sieht der grobschlächtige Randale-Ralph nur einen Ausweg, um das quietschbunte Game namens Sugar Rush zu retten. Er will online gehen und sich das rare Ersatzteil bei eBay sichern, das nötig ist, um den Status quo zu bewahren.
Doch das Internet ist ein viel größerer, verführerischerer und auch gefährlicherer Ort als es sich Ralph und seine Begleiterin Vanellope ausmalen können. Und während eine Hälfte des Duos glaubt, im Netz die Antwort auf tiefergehende Probleme entdeckt zu haben, hat die andere Hälfte mit der Schattenseite des Internets zu kämpfen …
LOL, ROFL, haha: Web-Comedy
Nachdem der frühere «Simpsons»-Regisseur Rich Moore in «Ralph reicht's» zahlreiche Gags und Referenzen auf die Welt der Videospiele abfeuerte, ist es nur eine naheliegende Konsequenz, dass er in der Fortsetzung ebenso sehr Hommagen und Seitenhiebe darauf vollführt, was uns allen im Internet begegnet. Das reicht von spitzzüngig vermittelten Alltagsbeobachtungen wie "Bei eBay wird jede Menge Schrott verkauft" und "Autovervollständigung schlägt absurde Sachen vor" bis hin zu kreativen, unerwarteten Späßchen wie "Was, wenn hinter einem Spam-Fenster ein freundlicher, doch überforderter kleiner Geschäftsmann steckt?" und "Was, wenn sich der Algorithmus einer Videoplattform wie die glamouröse, überdramatische Chefin eines Plattenlabels aufführt?"
Was «Chaos im Netz» hinsichtlich des Comedy-Elements von der (erst später entwickelten, jedoch früher veröffentlichten) Animationsfilm-Katastrophe «Emoji – Der Film» abhebt, ist nicht nur das komödiantische Timing. Es ist auch die Einbindung der Gags in den Erzählfluss: Während «Emoji – Der Film» wahllos stoppt, um einen lahmen Sketch in einer Puzzle-App abzuliefern oder ausführlich Werbung für «Just Dance» zu machen, hält «Chaos im Netz» Scherze, die nicht mit der emotionalen Reise der zentralen Figuren zu tun haben, zurück, nutzt sie zumeist nur als Randbemerkungen. Größere Comedy-Passagen enthüllen sich früher oder später als Sequenzen mit inhaltlicher Relevanz – so lernt Vanellope während eines Besuches auf der Disney-Webseite 'Oh My Disney' nicht nur (fast) alle Disney-Prinzessinnen kennen, sondern auch, sich mehr als bislang um ihr eigenes Wohl zu kümmern. Daher laufen die selbstironischen Seitenhiebe auf Disneys Märchenfilme nicht ins Leere, wohingegen «Emoji – Der Film» aufgrund seiner Ziellosigkeit schnell die Puste ausging.
Darüber hinaus bemüht sich das «Chaos im Netz»-Autorenteam redlich (und, so weit sich das vergleichsweise kurz nach seiner Weltpremiere bereits beurteilen lässt, erfolgreich) darum, nicht auf kurzlebige Trends aufzuspringen. Natürlich werden nicht sämtliche Marken, die im Bildhintergrund zu sehen sind, noch in zwei, zwölf oder gar zwanzig Jahren existieren, das aber wird weder der Komik noch der Thematik des Films Schaden zufügen. Und die Web-Eigenheiten sowie Internet-Clips, die «Chaos im Netz» parodiert, sind zumeist selbsterklärend, so dass sie auch dann witzig sind, wenn sich einem die Referenz verschließt. So hat Colleen Ballinger alias Miranda Sings einen Cameo als Frau, die sich über ihre gekappte Internetverbindung aufregt – und wer den YouTube-Star nicht kennt, bekommt halt schlicht eine Filmfigur zu sehen, die eine sehr alberne wütende Fratze zieht.
- © Disney
Das Internet, die Echo-Kammer des Egos
Vor allem aber punktet «Chaos im Netz» dadurch, dass es eben nicht eine kurz gedachte Trickfilmkomödie über das Internet ist, sondern eine Geschichte über Freundschaft und das Denken an das eigene Wohl, die halt im Internet spielt. Wo «Emoji – Der Film» also mit schief aufgesetzter Baseballcap, Bandshirt und mit Skateboard unter dem Arm uns entgegenbrüllt: "Hey Fellow Kids, wer sind voll tight mit dem Netz, yolo, ist das nicht kewl!?", stellt «Chaos im Netz» seine eigene Geschichte in den Mittelpunkt und garniert sie mit dem Thema Internet – komödiantisch wie auch dramatisch.
Denn die ungleiche Freundschaft zwischen hibbeliger, rotzfrecher Rennfahrerin und gemütlichem Berufsschurkem mit großem Herzen, die in «Ralph reicht's» ihren Anfang nahm, wird von Moore, «Zootopia»-Ko-Autor Phil Johnston (der hier neben Moore auf dem Regiestuhl saß) und Co. mit reizvoller Gravitas weitergedacht: Der Alltag des Duos ist in der Gemütlichkeit angekommen und während sich der einst von all seinen Kollegen verhasste Randale-Ralph in seiner Freundschaft mit Vanellope sonnt, ist sie von der ständigen Routine gelangweilt und sucht nach neuen Herausforderungen. Wie beide die Klippen umschiffen, die bei diesen Gegebenheiten zwangsläufig Teil ihrer Reise sind, und wie das Internet als Hort zahlloser guter wie auch schlechter Möglichkeiten sowohl Lösungen anbietet als auch neue Probleme verursacht, ist mit raffinierter Feder geschrieben und wird geradezu herzzerreißend ausgespielt.
Da lässt sich auch ein etwas zähes, wenngleich visuell ambitioniertes und in eine turbulente Gagparade mündendes Actionfinale leicht verzeihen. Denn sowohl die Regieleistung als auch die mit den Emotionen der Figuren mitgehende Grundästhetik des Films und die ausdrucksstarke Charakteranimation sorgen dafür, dass dieser Konflikt in«Chaos im Netz» nicht einfach so bewältigt wird, sondern emotional nachhallt.
«Chaos im Netz» ist ab dem 24. Januar 2019 in vielen deutschen Kinos zu sehen – in 3D und 2D.
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