Filmfacts «Spider-Man: Far From Home»
- Regie: Jon Watts
- Produktion: Kevin Feige, Amy Pascal
- Drehbuch: Chris McKenna, Erik Sommers
- Darsteller: Tom Holland, Samuel L. Jackson, Zendaya, Cobie Smulders, Jon Favreau, J. B. Smoove, Jacob Batalon, Martin Starr, Marisa Tomei, Tony Revolori, Angourie Rice, Jake Gyllenhaal
- Musik: Michael Giacchino
- Kamera: Matthew J. Lloyd
- Schnitt: Dan Lebental, Leigh Folsom-Boyd
- Laufzeit: 129 Minuten
- FSK: ab 12 Jahren
«Spider-Man: Far From Home» ist eine mit Pointen vollgepackte Teenager-Schulausflugskomödie, die zugleich konsequent und thematisch dicht die Implikationen der Ereignisse aus «Avengers || Endgame» weiterdenkt. Und dennoch ist dieser Superhelden-Actionspaß auch eine auf eigenen Beinen stehende, sehr smarte Erzählung über einen Jugendlichen mit immensen Fähigkeiten und riesiger Verantwortung, der all dem nicht gewachsen ist – und sich daher durch Überlegungen, Impulsentscheidungen und emotionale Wirrungen ackert, die sich vor einem sehr cleveren, konzeptuellen Hintergrund abspielen. Dieser wiederum übt deftige Seitenhiebe auf reale gesellschaftliche Entwicklungen aus.
Aber da Regisseur Jon Watts sich geschmeidig von einem erzählerischen Faden zum nächsten schwingt, und das Drehbuch von Chris McKenna («Ant-Man and the Wasp», «Community») und Erik Sommers («Drawn Together», «The LEGO Batman Movie») durchweg ein fesches Tempo beibehält, wird der Spinnenmann nicht von all dem erdrückt: Spider-Mans jüngstes Abenteuer ist großer, leichtgängiger Kinospaß – und als Film genau so zielgerichtet, wie sein Held fahrig und unfokussiert ist.
Die Geschichte beginnt ein paar Monate nach den Ereignissen von «Avengers || Endgame»: Die Welt muss sich noch immer an die Folgen dessen anpassen, dass die einst ausgelöschte Hälfte der Erdbevölkerung nach fünf Jahren urplötzlich zurückgekehrt ist. So gibt es Wohltätigkeitsaktionen für Menschen, die nunmehr obdachlos sind. Peter Parkers Tante May (Marisa Tomei) organisiert einen dieser Spendenbälle, und auch die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft rührt die Werbetrommel für milde Gaben. So ganz ist Peter alias Spider-Man (Tom Holland) aber nicht bei der Sache: Nach all den turbulenten und erschütternden Ereignissen, die er durchgemacht hat, will der junge Superheld einfach nur endlich sein Leben leben und seinen Schwarm MJ (Zendaya) für sich gewinnen. Ein Schulausflug nach Europa scheint die perfekte Gelegenheit dafür zu sein.
Aber nicht nur, dass sein bester Freund Ned (Jacob Batalon) gerade so gar nicht im 'Wingman'-Modus ist, sondern nur davon träumt, in Europa als heißer amerikanischer Junggeselle auf Schürzenjagd zu gehen. Auch Peters Superhelden-Alter-Ego steht seinem Glück im Weg: Die Top-Agenten Nick Fury (Samuel L. Jackson) und Maria Hill (Cobie Smulders) wollen, dass Spider-Man ihnen und dem neu aufgetauchten Helden Quentin Beck (Jake Gyllenhaal) dabei hilft, Monster zu bezwingen, die die Kräfte der Elemente aufweisen. Aber wie soll ein Teenager das Schicksal der Welt auf seinen Schultern tragen, wenn es ihm an Rückhalt in Form eines geordneten Lebens mangelt ..?
Während sich «Spider-Man: Homecoming» streckenweise als High-School-Komödie tarnt und seine Superheldengeschichte mit pfiffigem Metahumor auflockert, tarnt sich «Spider-Man: Far From Home» als Komödie über amerikanische Jugendliche, die eine Europareise machen. Das bringt typische Elemente mit sich wie einen Helden, der mit Mobbern zu tun hat, Eifersüchteleien, Teenies mit Hormondrang, quietschig-putzige Paare, die ihr Umfeld nerven, und überforderte Lehrer, die ihre Rabaukenbande nicht unter Kontrolle haben.
Obschon der Trip quer durch architektonische Kulturstätten des alten Europas einen Rückstürz ins US-Kino vergangener Jahrzehnte darstellt, hat «Spider-Man: Far From Home» auch ein Ohr am Puls der Zeit und webt sehr organisch moderne Schulausflug-Ärgernisse in den Plotverlauf, wie etwa Mitschüler, die Anderen mit der Handykamera hinterher schnüffeln, und einen Peter Parker, der Panik davor hat, dass hinter seinem Rücken negativ über ihn getextet wird.
Diese von Watts fesch getaktete, vom Cast mit herrlichem Timing und einer gesunden Varianz zwischen Spritzigkeit und trockenem Spaß vermittelte Seite von «Spider-Man: Far From Home» fungiert im allumfassenden MCU-Ablauf wie das große Aufatmen nach dem bombastischen, dramatischen «Avengers || Endgame». Dass dessen Folgen einerseits ernst genommen, statt zur Seite geschoben werden, aber andererseits auch ob ihrer Absurdität durch den Kakao gezogen werden (Mays Rede über ihre Erfahrung rund um Thanos' Schnippser ist skurril und todernst zugleich), untermauert den «Spider-Man: Far From Home»-Status als leichter geratener Epilog zum Crossoverepos. Allerdings ist dieser ganze Spaß, den «Spider-Man: Far From Home» ausmacht, weit mehr als reine Zerstreuung.
- © Sony Pictures
Denn Watts sowie Sommers & McKenna erfüllen nicht einfach ein Marvel- und Sony-Mandat, dass nach «Avengers || Endgame» halt bitte was Lustiges zu kommen hat. Sie denken sich stimmig in Peter Parkers Befinden hinein und lassen das Publikum auf quirlige, aber fesselnde Weise daran teilhaben: Wie fühlt sich ein in sozialen Interaktionen ungelenker, smarter, doch unsicherer Teenager mit beeindruckender Macht, der einerseits quasi (genauso wie die Hälfte der Weltbevölkerung) von den Toten wiederauferstanden ist, andererseits aber seinen Mentor verloren hat und nun der Erwartung gerecht werden soll, dessen Fußstapfen auszufüllen? Ganz genau: Überfordert.
Dieser Überforderung wird «Spider-Man: Far From Home» gerecht, obgleich der Film mit beiden Beinen fest im filmischen Segment der Big-Budget-Sommerkomödie bleibt. Gewiss hätte sich ein existenzielles Drama aus diesem Stoff spinnen lassen (höhö, höhö, spinnen!), aber dies passt nicht zu Tom Hollands Inkarnation des Peter Parker, wie sie in «The First Avenger: Civil War» eingeführt wurde und sich in «Avengers || Endgame» selbst nach ihrer wundersamen Rückkehr ins Leben tapsig, Offensichtlichkeiten stammelnd, vor die Füße ihres Idols schmiss. Dieser Peter Parker zieht zwar in einsamen Momenten oder in emotional aufgeladenen Gesprächen ein zerknautschtes, gedankenverlorenes Gesicht. Aber er will, wie alle in diesem Filmuniversum, am liebsten einfach zum Alltag zurückkehren und zwecks Motivation und emotionalem Rückhalt in Lebensfreude stürzen, ganz gleich, wie laut polternd sich die Gefahr ankündigt.
Dies konsequent vor Augen haltend, verfolgen die «Spider-Man: Far From Home»-Filmschaffenden eine hibbelige Erzählstruktur: In diesem 160-Millionen-Dollar-Blockbuster kämpft Peter Parker, der unbedingt eine Schultrip-Romantikkomödie erleben möchte, quasi unentwegt mit dem Pflichtbewusstsein seines Alter Egos. Und dank des Erzählstränge stets scharf zurechtstutzenden Schnitts der Cutter Dan Lebental & Leigh Folsom-Boyd darf man sich hin- und hergerissen fühlen: Kaum schraubt sich die liebenswürdig-unbeholfen gespielte und Liebelei zwischen Peter und MJ zum nächsten Wendepunkt, bricht das Superheldenspektakel herein.
Kaum hat man sich wieder akklimatisiert und auf (in einer atemberaubenden Sequenz surreale, höchst kreative Formen annehmende) Effektgewitter, fesche Sprüche und einen genüsslich-markig übertreibenden Jake Gyllenhaal als fesch lächelnder Umhangträger eingestellt, nimmt Spider-Man wieder Reißaus und stürmt zurück in die Urlaubskomödie.
So fühlt man sich unweigerlich wie der Protagonist selbst, unentschlossen und orientierungslos. Nur, dass wir auf unseren bequemen Kinosesseln Spaß daran haben dürfen, wie sich Vergnügungssucht und Weltenrettung im Kampf um die Übermacht in diesem Kinoerlebnis duellieren, während Peter Parker immer mehr ins Schwitzen gerät. Uns ist, selbst wenn sich «Spider-Man: Far From Home» in packende narrative Zwickmühlen steuert, mehr von der vitalisierenden Zerstreuung vergönnt, nach der sich Peter Parker sehnt – wenngleich an unerwarteten Stellen Spannungsspitzen lauern. Michael Giacchinos wandelbarer Score, der energetisch zwischen staksig-kindlich und heroisch-bombastisch chargiert und dennoch eine klare, stilistische Linie beibehält, spielt zweifelsohne eine große Rolle darin, Peter Parkers Stolpern durch zwei filmische Welten unter einen cineastisch kurzweiligen Hut zu bringen.
Das Genialste an «Spider-Man: Far From Home» ist allerdings ein Aspekt, der sicherlich im unvermeidbaren, kommenden Diskurs untergehen wird: Er entwaffnet all jene bösen Zungen, die sich über den weitestgehend unbeschwerten Tonfall aufregen werden, mit dem er die weltbewegenden Geschehnisse aus «Avengers || Endgame» weiterdenkt, Peter Parkers Sinnkrise anpackt und sukzessive seine Realweltkritik vorbereitet. "Peter Parker hat traumatische Ereignisse durchgemacht, seine Welt steuert sich mit riesigen, blinkenden Warnleuchten und dröhnenden Signalhörnern in die nächste Katastrophe, und alles, was ihn interessiert, ist, ob ein Schulkamerad Lügen über ihn textet? Hat der Typ sie noch alle?", wird es sinngemäß heißen.
Aber an diese Stelle bitten wir einfach um folgendes: Mögen all jene, die sich wegen «Spider-Man: Far From Home» die Haare raufen und anschließend wütende Texte ins Internet hämmern, wie unrealistisch es sei, dass Menschen in einer Welt, die vor dem Abgrund steht, nichts Wichtigeres zu tun haben, als sich über Lappalien den Kopf zu zerbrechen, kurz einen Schritt zurück machen und über ihre eigene Wirklichkeit nachdenken. Vielen Dank auch.
Fazit: «Spider-Man: Far From Home» ist geballter Superheldenspaß mit vergnüglichen Performances, einigen einfallsreichen Actionmomenten und einem fokussierten thematischen Unterbau, der sich mit faszinierender Konsequenz durch sämtlichen Belange dieser Popcorn-Story zieht. Da sind auch ein, zwei lahme Gags oder eine frühe, etwas überdehnte Kampfszene sofort verziehen. Und, was sich eh von selbst verstehen sollte, hier aber so wichtig ist, wie schon lange nicht mehr bei Marvel: Unbedingt bis ganz zum Schluss sitzen bleiben!
«Spider-Man: Far From Home» ist ab sofort in vielen deutschen Kinos zu sehen – in 2D und 3D.
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