Popcorn & Rollenwechsel

Die weltfremde «Traumfabrik» und die brennende Frage, weshalb deutsche Filmkritiker so begriffsstutzig sind

von   |  6 Kommentare

Eine Frage, die endlich gestellt werden muss: Weswegen floriert ein Kulturdiskurs, der einer stilisierten Romanze vorwirft, sie sei nicht lebensnah und gesellschaftskritisch genug?

Was würdet ihr davon halten, wenn jemand im Netz über eine Eisdiele schreibt: "Drecksladen. Serviert nicht einmal Hummer"? Erachtet ihr eine Literaturkritik für hilfreich, deren Fazit lautet: "Ich habe diesen Thriller verschlungen – was für ein Rotz, ich wollte mich beim Lesen viel lieber entspannen"? Ist euch schon einmal eine Videospielkritik untergekommen, in der es heißt: "Ich kann dieses Rennspiel nicht empfehlen: Es hat keine Story und es gibt keine Sidequests, in denen man aus der Egoperspektive auf Tiere schießen kann. Null Punkte!" Und falls ja: Habt ihr in diesem Moment den Verfasser der Kritik für unfähig deklariert?

Bleibt nur eine Frage: Weswegen gibt es, gerade in Deutschland, so viele Filmkritiker, die nichts anderes machen, als genau solche Filmbesprechungen raus zu hauen?

Eine verträumte Schmachtfetzen-Hommage namens «Traumfabrik»


Die deutsche Liebes-Tragikomödie «Traumfabrik» mit Dennis Mojen, Emilia Schüle und Ken Duken tut sich an den hiesigen Kinokassen schwer, was mich kein Stück überrascht. Außerdem bin ich aufgrund von «Traumfabrik» wütend. Doch man mag bitte aus diesen beiden Aussagen nicht den falschen Kausalzusammenhang schließen. Ich bin nicht wütend auf den Film «Traumfabrik», weswegen es mich nicht überrascht, dass der Film offenbar floppt. Nein, ich bin wütend, weil es mich nicht überrascht, dass die warmherzige «Traumfabrik» an den Kinokassen voraussichtlich untergeht.

Denn Martin Schreiers Regiearbeit ist mit denkbar schlechten Grundvoraussetzungen gestraft. Es ist ein Liebesfilm, in einer Medienkonsumära, in der Paare die Möglichkeit haben, eine riesige Auswahl an taufrischen Romanzen und Klassikern des Genres vom heimischen Sofa aus anzuschauen. Bequem, unkompliziert, ungestört – und als monatliche Flatrate. Wer bemüht sich da noch ins Lichtspielhaus, wo man nicht so schmusen kann, wie man gern würde?

Vor allem das junge Publikum lässt sich schwer für «Traumfabrik» gewinnen. Nicht bloß aufgrund der Konkurrenz des Konzepts "Netflix and Chill", sondern auch, weil «Traumfabrik» ein Film ist, der in Erinnerungen an früheres deutsches Kino schwelgt. Das ist dann für jene, die generell Vorurteile über die vermeintlich beständig-staubige deutsche Filmkunst hegen, glatt Langeweile im Quadrat.

Noch dazu hat Drehbuchautor Arend Remmers ein sehr konzeptuelles Drehbuch verfasst: «Traumfabrik» erzählt davon, dass ein Geschichtenerzähler die Geschichte erzählt, wie er während der frühen Stunden der deutsch-deutschen Trennung in den nunmehr als altehrwürdig anerkannten DEFA-Studios einen Film gedreht hat, um eine Tänzerin zu beeindrucken. Als gediegener, in Nostalgie schwelgender Film würde man «Traumfabrik» ein etwas betagteres Kernpublikum zutrauen, dem lässt sich ein Meta-Film jedoch schwer verkaufen. Gute Kritiken würden einem Film wie «Traumfabrik», der mit Vorbehalten ohne Ende zu kämpfen hat, also enorm helfen, sein Publikum zu finden. Aber «Traumfabrik» erhält kaum gute Kritiken. Und das unverdient.

Gewiss, es lässt sich arg darüber streiten, woran man festmachen möchte, ob ein Film gute Kritiken verdient hat. Meinungspluralität, die Vielzahl an möglichen Herangehensweisen an einen Film und die Komplexität der filmischen Kunstform verhindern ein allgemeingültiges Urteil, ob ein Werk zweifelsohne gut oder missraten ist. Aber: Während es dem Gelegenheitspublikum, das obendrein mit einem knappen finanziellen wie zeitlichen Filmbudget hantieren muss, zu einem gewissen Grad zu verzeihen ist, wenn es einem Film mit Vorbehalten begegnet, so sollte man denken, dass die professionelle Zunft derer, die Filme konsumieren, eben nicht mit tonnenschweren Vorbehalten zu kämpfen hat. Sondern, dass sie Anderen hilft, ihre Vorbehalte aus dem Weg zu räumen.

Aber weit gefehlt. «Traumfabrik» wird in der deutschen Presse als im negativen Sinne artifiziell, kitschig und anspruchslos verrissen, als Film, der blind in Genreklischees stapft und es sich erdreistet, die deutsch-deutsche Trennung inhaltlich anzureißen, sie aber nicht mit ausreichender Schwere zu behandeln. Kurzum: Eine Vielzahl der «Traumfabrik»-Verrisse argumentiert am Film vorbei.

Trenne stets das E und U, schwupp, ein deutscher Kritiker bist du


Um es unmissverständlich festzuhalten: «Traumfabrik» beginnt mit einer Rahmenhandlung, die die Binnenerzählung als romantisierte Erzählung eines Großvaters an seinen Enkel markiert, der Aufmunterung in Liebesdingen braucht. Noch dazu spielt diese Binnenerzählung in den DEFA-Studios, die für ihre märchenhaften, kunstvoll-artifiziellen Erzählungen bekannt sind, und handelt vom Konstruieren einer Geschichte, mit der ein sich als Regisseur ausgebender Kleindarsteller eine vermeintlich unüberwindbare Hürde nehmen will, die seiner unwahrscheinlichen Liebe zu Zeiten der Trennung zwischen West- und Ost-Deutschland im Weg steht. Und um den Nagel mit voller Wucht in die Wand zu schlagen: Einer der ersten visuellen Gags in «Traumfabrik» ist, wie sich eine Panoramaaufnahme der DEFA-Studios als Hintergrundgemälde herausstellt.

Noch deutlicher können Schreier und Remmers dem Publikum kaum entgegen schreien, dass «Traumfabrik» ein bewusst stilisierter Film ist, einer, der sich künstlich überhöht seiner Geschichte nähert. In vielerlei Hinsicht ähnelt «Traumfabrik» Wes Andersons Kritikerliebling und mehrfach prämiertem «Grand Budapest Hotel»: Der Kernplot beider Filme ist eine simple Binnenerzählung in einem Film, der sich durch seine Rahmenhandlung als hoch stilisiertes Werk kennzeichnet. Und in beiden Fällen dienen historische Referenzen auf dunkle Geschichtskapitel bloß als thematisches sowie atmosphärisches Beiwerk, statt als erzählerischer Mittelpunkt. Bei Wes Anderson wird ein Gemäldediebstahl zu Zeiten des Aufkommens des Faschismus in Tonnen von stilistischen, nostalgischen Fingerübungen behandelt, in «Traumfabrik» geht es in der Stilistik alter Schmachtfetzen um zwei Verliebte in einem Filmstudio, während die DDR die Grenzen dicht macht.

Aber während «Grand Budapest Hotel» als Berlinale-Eröffnungsfilm eines anerkannten, US-amerikanischen Indie-Regisseurs für diese Struktur gefeiert wird, und sich kaum den Vorwurf gefallen lassen muss, Formalität über gesellschaftskritischen Inhalt zu stellen, fehlt es Schreier und Remmers an Vorschusslorbeeren. Und ohne überragenden Künstlerruf der Filmschöpfer fällt «Traumfabrik» sofort den alten, deutschen Kritikermechanismen zum Opfer. Kaum sonst wo wird im kulturellen Diskurs so streng, penibel, nahezu wahnhaft zwischen "E und U" getrennt, zwischen Ernst und Unterhaltung. Wo sonst wird zwischen "Kabarett" und "Comedy" unterschieden, wo sonst schämt sich der Feuilleton, wenn eine Komödie zu den erfolgreichsten lokalen Kinoproduktionen des Jahres zählt, statt zu analysieren, welche Aspekte der Komödie so vielen Menschen aus dem Herzen sprechen könnten?

Irgendwo in der deutschen Seele steckt dieser Dämon, der glaubt, es gäbe Kunst, die etwas zur Erhaltung der Gesellschaft beiträgt, und als "Kunst" fehltitulierte Unterhaltung, die minderwertig und dumm ist, weshalb es gilt, sie niederzuknüppeln, ehe sie sich verbreitet. «Traumfabrik», als Romantikfilm von "Niemanden", muss also reine Unterhaltung sein, und reine Unterhaltung kann ja unmöglich Wertvolles von der deutsch-deutschen Trennung berichten. Daher ist «Grand Budapest Hotel», der in vielleicht dreieinhalb Szenen irgendwas über den Faschismus aussagt, als fremdsprachige Künstlerarbeit zu ehren, während «Traumfabrik» gescholten wird, sich unqualifiziert einer noch immer nicht verheilten, deutsch-deutschen Wunde anzunehmen.

Eine Schande, diese Vorbehalte. Verblenden sie doch die Sinne: Zweifelsohne wendet «Traumfabrik» mehr Laufzeit auf, um von seinem Liebespaar und dem Produzieren eines Filmes zu erzählen, als uns die ewig gleichen Bilder von der Trennung von Ost und West zu liefern, die uns das deutsche Historienkino sowieso alle paar Monate auftischt. Und dennoch: Würde man einem romantisierten Film über das Machen romantisierter Filme zutrauen, Aussagekraft zu haben, man würde glatt erkennen, dass «Traumfabrik» sehr wohl sein Zeitkolorit mit dramatischer Schärfe ausspielt.

In «Traumfabrik» sehen wir willkürliche Polizeikontrollen sowie unprovozierte Polizeigewalt, außerdem erleben wir, wie Träume, Beziehungen und Berufe dadurch zerstört werden, dass sich ein Land auf Wunsch einer engstirnigen Partei vom Rest der Welt abkapselt, indem es die Grenzen dicht macht. Dies wird im Dialog wiederholt als das Verwandeln eines Landes in ein Gefängnis verglichen. Viel treffsicherer kann die Gesellschaftskritik in einem Liebesfilm aus dem Jahr 2019 doch kaum sein, leben wir doch in einem Land, in dem 13 Prozent der Menschen ein Kreuz hinter genau solch einer freiheits- und menschenverachtenden Philosophie machen wollen.

Aber, klar: Schreiben wir doch in unserer Kritik, diese Romanze sage nicht genug über die DDR aus. Denn, hey, «Traumfabrik» hätte ja auch eine erschütternde Tragödie sein können. Jawohl, wieso haben Schreier und Remmers nicht das gedreht? Das wird man ja wohl noch fragen dürfen?

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Familie Tschiep
15.07.2019 21:10 Uhr 1
Ich habe die Traumfabrik nicht gesehen, aber Wes Andersen hat schon einen eigenen optischen Stil, ich weiß nicht, ob da der Film in seiner Filmsprache mithalten kann.

Anspruch und Leichtfüssigkeit schließen sich ja nicht aus, bestes Beispiel der Roman Tschick. Allerdings fehlt mir auch auf, dass bestimmte Filme es schwieriger haben, ganz nach oben in solchen Bestenlisten zu kommen, meistens ist Pixar da etwas unterbewertet.
Sentinel2003
15.07.2019 23:28 Uhr 2
Das Einzige, was mir von diesen Film hängen geblieben ist, was über die Medien kam - ich habe den Film auch nicht gesehen - dass Michael Gwisdeck es wohl sehr cool fand, endlich mal seinen Namen auf einem riesigen Kinoplakat am Berliner Zoopalast zu Sehen....:-)
Familie Tschiep
16.07.2019 01:19 Uhr 3
Ich habe andere Kritiken gelesen. Ich fand sie nachvollziehbar. Hier wurde meines Erachtens nie kritisiert, dass der Film stilisiert, sondern wie er stilisiert, es wurde auch nie kritisiert, dass ein Film nicht leichtfüssig sein darf, sondern dass er die Welt in Babelsberg nicht ernst nimmt, das kann durchaus leichtfüssig geschehen. Wenn man stilisiert, sollte man auch von Realität ausgehen.



Ich habe mir den Trailer angeschaut, die Bilder kommen nicht an Wes Andersen eigenwilliger Bildgestaltung heran. Ich fand Grand Budapest Hotel nicht so gut, ich mochte lieber Die Insel der Hunde.
Quotermain
16.07.2019 06:59 Uhr 4
Der Film geht unter, weil er aalglatt ist.

Noch schlimmer als Babylon Berlin.





Haben hier zum Jahrestag Harry&Sally gesehen.

So gehen echte Romanzen.
Neo
16.07.2019 14:11 Uhr 5
Wow, da hat aber jemand einen Rochus. :D

Kleine Kritik: Es hätte dem Artikel echt geholfen, wenn man die Kritiker zitiert hätte. Ich finde solche Repliken ansich nachvollziehbar, habe aber keine solcher Kritiken, auf die Du (Sid) Bezug nimmst, gelesen. Deshalb wären manche Verweise von Vorteil. Wer sind denn diese Kritiker, die in dieser Form darüber schrieben und die alle so toll finden?



Ist natürlich wieder blöd über einen Film zu schreiben, den ich nicht gesehen habe und nie sehen werde, weil ich mir auch recht sicher bin, dass ich den nicht mag, weil halt nicht mein Genre und der Trailer auch so "Gemacht" daherkam. Das schaut halt aus wie Hollywood spielen und alles zusammenklöppeln, was irgendwie groß ist und Eindruck schinden soll und da mich so ein Liebes-Kitsch-Zeug nur selten catcht, gibts keinen Grund den anzusehen. Die deutsch-deutsche Geschichte scheint nur Mittel zum Zweck zu sein und das finde ich auch okay und nicht wirklich kritikwürdig.



Weshalb du mit Wes Anderson und seinem Grand Budapest Hotel um die Ecke kommst, erschließt sich mir nicht. Klar, kannst darauf hinweisen, dass die Kritiken in deinen Augen viel zu gut waren und man sich da nicht an mit einem anderem Maß misst, aber der Vergleich scheint mir in so so vielen Dingen einfach wahnsinnig schief zu sein. Mal davon abgesehen, dass Anderson einer von wenigen Regisseuren ist, die ihren ganz eigenen Stil prägen und man da wirklich keine Vergleiche zu anderen ziehen kann.

Grand Budapest Hotel war ein derartiges Feuerwerk und auf so vielen Ebenen perfekt. Diese unglaubliche Bildgewalt, Detailliebe, Konseqeunz in der Umsetzung, die unfassbar genial ge- und überzeichneten Charaktere, dem perfekten Timing und ja, auch der Geschichte, die gänzlich auf den Baukasten verzichtet. Viel zu viel kann und muss man als Kritiker gut finden. Da ist doch jegliche Kritik an einer Vertiefung von Geschichte obsolet, weil es das nicht braucht und auch nicht passt. Traumfabrik hingegen scheint eben etwas blank dazustehen. Wieso nicht eine andere Romanze aufführen, die gelobt wurde und sich deiner Meinung nach nicht großartig von Traumfabrik unterscheidet?





btw: Liest sich jetzt so, als ob Grand Budapest Hotel für mich das non plus ultra wäre, aber nein, definitiv nicht.
Nr27
16.07.2019 17:04 Uhr 6
Ich kann zwar nicht beurteilen, wie treffend deine Kritik (an der Kritik) in diesem Fall ist, Sid, aber ich finde jedenfalls die Leidenschaft erfrischend, mit der du argumentierst und kann deine Argumente auch größtenteils nachvollziehen (sofern das geht, ohne den Film gesehen zu haben).



Für mich ist "Traumfabrik" übrigens definitiv einer der interessanteren deutschen Kinofilme der letzten Zeit, gerade weil ich das Setting sehr spannend finde - aber ich muß zugeben, daß mich die sehr gemischten Kritiken dann doch verunsichert haben. Trotzdem hätte ich ihn letzte Woche fast angeschaut, als ich mit einer Freundin ins Kino ging, aber ihr war an dem Abend mehr nach Lachen als nach Romanze und so haben wir uns für "Long Shot" entschieden (und das nicht bereut) - wobei der ja leider auch jeden zusätzlichen Zuschauer dringend nötig hat ...



Mal schauen, ob ich es noch alleine in "Traumfabrik" schaffe, aber dummerweise bin ich momentan sowieso ziemlich im Rückstand (heute immerhin endlich "Rocketman" geschafft).
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