Interview

Peter Rütten: 'Ein filmgewordener Rüpel, der Leute rumschubst, braucht meinen Schutz nicht'

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Anlässlich der 100. «SchleFaZ»-Folge spricht Peter Rütten mit uns über arrogante Trashfilm-Regisseure und mangelndes Reflexionsvermögen im Internet. Außerdem verrät er, wieso Uwe Boll noch nie geschlefazt wurde.

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Ich würde mich nie in meiner Kunstfigur, die ich in «SchleFaZ» gebe, beschränken. Das fände ich nicht lustig und ich weiß, dass unser Publikum versteht, dass wir da nicht als Privatmenschen Oliver Kalkofe und Peter Rütten auftreten.
Peter Rütten
Gegenüber den Anfängen von «SchleFaZ» achten heute viel mehr Leute hörbar darauf, ob Comedy "korrekt" ist. Manche meinen, dass das den Humor kaputt macht. Beeinflusst so etwas auch «SchleFaZ», überlegen Sie heute zwei Mal, welche Beleidigungen Sie in Ihren Schimpftiraden verwenden?
Nein, da sind wir uns selber treu geblieben. Wir haben ja auch stilistische Kennzeichen, und das gehört zu den Voraussetzungen guter Comedy – zusammen mit der entsprechenden Personality und einem findigen Zugang zu deinem Material. Ricky Gervais schafft es ja auch, in der Zeit von Political Correctness sein Programm durchzuziehen. Selbiges gilt für unser schräges Nischenprogramm. Ich würde mich nie in meiner Kunstfigur, die ich in «SchleFaZ» gebe, beschränken. Das fände ich nicht lustig und ich weiß, dass unser Publikum versteht, dass wir da nicht als Privatmenschen Oliver Kalkofe und Peter Rütten auftreten. Und für die Uneingeweihten gibt es auch genug Brechungen unseres Auftretens, dass klar genug werden sollte, was wir da wollen. Wieso also sich verstellen?

Sie würden also die These "heute kann man nicht mehr lustig sein, weil Leute zu schnell beleidigt sind" nicht unterschreiben?
Nein, die würde ich nicht unterschreiben. Viel eher nervt mich diese Social-Media-Wucht, die quasi jedem seinen eigenen Sender gibt, auf dem er im dreckigsten Tonfall über alles und jeden herziehen kann. Entweder über das, was du machst, oder über die Leute, die das mögen, was du machst, oder über die Leute, die über dich herziehen. (lacht)

Das Internet war mal dafür gedacht, dass intelligente Leute miteinander kommunizieren, und stattdessen ist es ein Hater/Liker-Zirkus geworden, wo man sich gegenseitig die Köpfe einschlägt. Es gibt nur noch "großartig" und "absolut scheiße, hängt die Sau auf", nichts dazwischen.
Peter Rütten
Das Internet war mal dafür gedacht, dass intelligente Leute miteinander kommunizieren, und stattdessen ist es ein Hater/Liker-Zirkus geworden, wo man sich gegenseitig die Köpfe einschlägt. Es gibt nur noch "großartig" und "absolut scheiße, hängt die Sau auf", nichts dazwischen. Das ist der Grund, weshalb ich mich weitestgehend aus dem Social-Media-Zeugs rausgezogen habe. Wenn ich etwa an «Rüttens Bullshit-Universum» denke, was da unter die Clips geschrieben wurde … Ich schau mir die Kommentare eines Ausschnitts an, auf den ich richtig stolz bin, und dann steht da nur sowas wie: "Was will der dumme Wichser?!" Warum sollte ich mich damit auseinandersetzen? Mich ärgert ja nicht, dass ich was gut finde und mir die Leute nicht zustimmen – ich kann aus solchen Kommentaren keine Lehre ziehen, das nervt viel mehr. Was erwarten sich die Leute von diesen reflexartigen Kommentaren? Was ist das für eine Besprechungskultur?!

Eine, in der das Mittelmaß ausstirbt. Ich kenne das: Es kommt vor, dass ich nach durchschnittlichen Filmkritiken gefragt werde: "Ja, aber was denn nun? Ist der gut oder schlecht?"
Ja, das ist traurig. Heute ist den Leuten nichts mehr "egal", sie finden nichts mehr "ausgewogen" und definitiv würde heute kaum wer noch urteilen: "Da kann ich nichts zu sagen", "Da muss ich drüber nachdenken" oder "Tut mir leid, da weiß ich nicht genug drüber." Das ist alles passé. Ich habe mir neulich ein uraltes Fernsehinterview mit Helmut Schmidt angeschaut. Auf die Frage, wann er angefangen hat, die CDU mehr als Gegner denn als fairen Partner zu betrachten, meinte er: "Lassen Sie mich in Ruhe darüber nachdenken". Darauf pafft der sich erst eine, atmet tief ein, denkt vielleicht 1:30 Minuten nach und gibt dann eine wohlüberlegte, schlüssige Antwort. In einer politischen Talkshow!

Wir haben an Reflexionsvermögen verloren. [...] Es gibt nur noch ironisches Ironisieren des bereits Ironischen, das platte Entschuldigen von Guilty Pleasures und das maßlose Abfeiern.
Peter Rütten
Das gibt es heute alles nicht mehr.
Wir haben an Reflexionsvermögen verloren. Das sieht man ja auch an der gewandelten leitmedialen Auseinandersetzung mit dem Voyeurismusfernsehen. Es gibt nur noch ironisches Ironisieren des bereits Ironischen, das platte Entschuldigen von Guilty Pleasures und das maßlose Abfeiern. Selbst der 'Spiegel' attestiert RTL mittlerweile eine unfassbare Cleverness für das Dschungel-Camp. Wo sind wir nur hingeraten? Da werden Menschen, die nichts können, Menschen, die mal was konnten und nun alles für ihre mediale Rente tun, und Menschen, die man nur kennt, weil sie dafür bekannt sind, bekannt zu sein, erniedrigt. Wir geilen uns dran auf und das wird mit ein paar Witzchen als ironisch gebrochen verkauft. Da haben wir wieder dieses kalte Kalkulieren. Von einem Medium wie dem 'Spiegel' erwarte ich da eine kritische Auseinandersetzung, eine Erläuterung der Mechanismen dieser und ähnlicher Sendungen oder gerne auch das völlige Kapitulieren des Kritikers. Stattdessen wird das Format geadelt.

Aber vielleicht bin ich zu idealistisch. Ich weiß noch, damals im Fahrwasser der ersten «Big Brother»-Staffel: Wir waren im Autorenteam von «Harald Schmidt» vor Beginn des Ganzen noch neugierig. "John de Mols großes Sozialexperiment", hatten wir gehofft. Die Hoffnung ist schnell gestorben, wir haben das als hohlen Müll erkannt. Dann hatten wir das Angebot, Zlatko und John als Gäste in die Sendung zu holen und ich habe Harald dringend davon abgeraten – das sei nicht seine Welt. Aber Manuel Andrack, der immer ein besseres Gespür dafür hatte, was großen Erfolg bringt, meinte: "Die sind so populär, das können wir uns nicht entgehen lassen." Also haben wir sie eingeladen – für mich war das der Tag, an dem wir unsere Unschuld verloren haben. (lacht)

Ich habe keine Ahnung, wie ich nun flüssig zurück zu «SchleFaZ» überleite …
Gar nicht erst versuchen. (lacht)



Ich war ernüchtert davon, wie «Daniel, der Zauberer» aufgenommen wurde. Ich fand den Film so spektakulär irre, auch auf einer psychischen Ebene.
Peter Rütten
Ich versuch's dennoch: Um bei dem Thema "Diskrepanz" zu bleiben: Gab es «SchleFaZ»-Ausgaben, die schwächer ankamen als Sie gehofft haben?
Ich war ernüchtert davon, wie «Daniel, der Zauberer» aufgenommen wurde. Ich fand den Film so spektakulär irre, auch auf einer psychischen Ebene. Außerdem war es beeindruckend, wie wacker Daniel Küblböck damals während der Ausstrahlung mitgetwittert hat und sich ebenfalls darüber äußerte, wie sehr dieser Film missraten ist. Das hat rückblickend seit Küblböcks Verschwinden oder wohl auch Ableben eine richtig bittere Note … Und wir haben uns bei der Folge so richtig ins Zeug gelegt. «Daniel, der Zauberer» ist ja ein Ulli-Lommel-Film, und es war daher völlig faszinierend, wie so ein deutscher Autorenfilmer einen Mega-Reality-Casting-Star als fast mystische Figur darstellt … Das ist was einzigartiges, ein fassbindersches Autorenfilmverständnis auf Daniel Küblböck anzuwenden! Und dann kam da ein einmaliger Brei von einem Film heraus.

Das haben wir gewürdigt, in dem wir in diesem Stil nachgedreht haben. Ich fand, unsere Folge hatte etwas kafkaeskes – da war ich richtig stolz drauf. Meine Lieblingsstelle ist, wenn Olli einen kleinen Jungen im Matrosenanzug spielt und ich den Zauberer aus dem Film nachmache – inklusive mal fehlendem, mal vorhandenem Arm. Ich habe in der Szene dann letztlich Olli in Anlehnung an Kafka in eine Kakerlake verwandelt. Das fand ich alles sehr toll – und die Folge hat leider keinerlei Fahrt beim Publikum aufgenommen. Die Quote lag unter zwei Prozent in der Kernzielgruppe von Tele 5, was ich bei dem Film und der Bearbeitung schon schwach fand. Der hatte mehr verdient. Überraschend positive Bestätigung gab es derweil bei «Die Todesgöttin des Liebescamps», diesem seltsamen Film mit Christian Anders. Das ist meine Lieblingsfolge und die Leute haben sehr engagiert mitgelitten und ihm mit irgendwas über sechs Prozent auch eine der besten Quoten in der Kernzielgruppe beschert.

Seine Filme haben nichts interessantes an sich. Die sind einfach nur schlecht. Ich könnte da keinen Hebel für «SchleFaZ» finden, wie man sie aufmacht. [...] Das sind schlanke, seelenlose Trashstücke.
Peter Rütten über Uwe Boll
Eine Frage noch bezüglich der «SchleFaZ»-Zukunft: Wird Uwe Boll jemals in die Reihe Einzug halten?
Nein. Seine Filme haben nichts interessantes an sich. Die sind einfach nur schlecht. Ich könnte da keinen Hebel für «SchleFaZ» finden, wie man sie aufmacht. Ich könnte niemals wie bei «Daniel, der Zauberer» in eine Rolle schlüpfen, in der ich mir völlig verblendet auf den verborgenen Anspruch des Films einen abwedele, während Olli mich entgeistert anguckt. Ich könnte genauso wenig über Uwe Bolls Filme abkotzen, weil die keine Emotionen bei mir auslösen. Das sind schlanke, seelenlose Trashstücke. Und die darf Boll gerne machen, aber für «SchleFaZ» sind die nicht zu gebrauchen. Daher haben wir ihm auch sehr höflich abgesagt, als er uns eine aktive Anfrage gestellt hat, ob wir nicht endlich was von ihm präsentieren wollen. Können Sie diese Entscheidung verstehen?

Völlig – ich stolpere gerade nur darüber, dass Boll darum gebeten hat, bei «SchleFaZ» vorzukommen. Schließlich hat er doch auch einst ein Dankesvideo veröffentlicht, dafür, dass Tele 5 seine Arbeiten nicht als schlecht einordnet.
Das ist schon komisch, welche Salti der schlägt.

So etwas ist symptomatisch für die heutige Zeit: Ohne Restwürde herum trampeln, Hauptsache, man bemerkt mich.
Peter Rütten über Uwe Boll
Er hat ja auch jahrelang jeden angegriffen, der seine Filme mies fand.
Ich glaube, bei dem ist alles ein Konstrukt. Erst dieses "Ich bin ein verkanntes Genie". Dann sieht er, dass das nicht – oder nicht mehr – zieht. Also nun diese Hoffnung, dass man ihn mit Ed Wood vergleicht und als famos-schlechten Filmemacher feiert. Er will für etwas stehen, wofür ist egal. Aber so geht das nicht. Bei Ed Wood passierte das aus einer Unschuld heraus. Er hatte Ideen und Träume, aber weder das Geld, noch die richtigen Kontakte und womöglich auch gar kein Talent, um sie zu verwirklichen. Aber er hatte wenigstens ehrliche Ambition. Das gibt ihm und seinem Schaffen eine rührende Tragikomik.

Aber jemand so kalkulierendes wie Uwe Boll, der mit marktschreierischen Mitteln darauf hinweist, wie er betrachtet werden will ... Nein, sowas möchte ich nicht. So etwas ist symptomatisch für die heutige Zeit: Ohne Restwürde herum trampeln, Hauptsache, man bemerkt mich. Das löst bei uns aber das Gegenteilige aus: Wir haben Boll nie thematisiert, nie auf ihn angespielt. Und dann, ich glaube während der dritten Staffel, als die Marke «SchleFaZ» langsam bekannter wurde, wollte er von uns Beachtung geschenkt bekommen. Unsere Entscheidung war, ihn einfach zu ignorieren.

Uwe Boll wird es ärgern – ich dagegen danke für das Gespräch!

Die 100. Ausgabe «SchleFaZ» ist am 11. Oktober 2019 ab 22.05 Uhr auf Tele 5 zu sehen.

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