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Wesentlich weniger Geduld hatte der Sender mit «Schmetterlinge im Bauch», «Eine wie keine», «Hand aufs Herz», «Patchwork Family», «Mila», «Meine Klasse – Voll das Leben» oder mit «Alles oder Nichts». Wobei das letztgenannte Format in mehrerlei Hinsicht eine Sonderstellung einnimmt. Denn es sprach von Anfang an viel dafür, dass die für besagte Sendung verantwortlichen Macher nicht einfach nur „anders“ sein wollten – „anders“ waren die von ihren Kollegen realisierten Produktionen schließlich allesamt. Nein, «AoN» war die erste Seifenoper, die – obwohl es nie offiziell bestätigt wurde – offenbar den Anspruch hatte, jenen eine neue werktägliche TV-Heimat zu bieten, die die Absetzung von «Verbotene Liebe» bis heute bedauern. Eine schlichte „Glamour-Soap 2.0“, die natürlich absolut denkbar gewesen wäre, fanden diese allerdings nicht vor, so sie denn überhaupt auf eine der ersten Folgen aufmerksam wurden. Die zuständigen Kreativen gingen bei dieser täglichen Serie einen völlig eigenen Weg.
Flugzeugabstürze gehören – so makaber das im ersten Augenblick auch klingen mag – einfach zum „Soap-Opera-Einmaleins“. Aus dramaturgischer Sicht ist es sogar nachvollziehbar: Auf diese Weise bewahren sich die Drehbuchautoren einen gewissen Spielraum – Person X kann bei diesem Unglück gestorben sein, muss es (dank einer eigentlich verschwindend geringen) Restwahrscheinlichkeit jedoch nicht. So hat man sozusagen immer einen „Joker“ in der Hinterhand beziehungsweise ein Ass im Ärmel. Eine Formulierung wie „Der/Die Verschollene wird für tot erklärt“ besitzt eben ein eingebautes Hintertürchen, mit deren Hilfe man bei Bedarf neuen Schwung in die Handlung bringen kann. Comebacks beliebter Figuren werden von Daily-Fans manchmal über Jahre wieder und wieder ins Spiel gebracht. Wenn ein solcher Zeitraum der Spekulationen länger und länger wird, führt dies meist zu zwei Lagern: Zu dem einen gehören all diejenigen, die jetzt erst recht glauben, dass ihr Favorit/ihre Favoritin definitiv irgendwann zurückkehren wird und zu dem anderen all jene, die die Hoffnung irgendwann schlicht aufgeben – «VL» kann diesbezüglich wohl mit den spektakulärsten Rückholaktionen aufwarten.
Bei «Alles oder Nichts», das in der Hauptstadt spielt, wird im Piloten quasi der „König“ vom Schachbrett genommen, den das Publikum deshalb logischerweise noch gar nicht kennenlernen konnte. Axel Brock, ein „Baulöwe“, der sich – wie sich später herausstellt – sein gesamtes Vermögen selbst hart erarbeitet hat, ereilt das gerade beschriebene Schicksal: Seine Maschine stürzt irgendwo über dem Meer ab, seine Leiche wird zwar nicht gefunden, man geht aber davon aus, dass er dieses Unglück – wie viele andere auch – nicht überlebt hat. Das Originelle an diesem Vorgehen ist nun, dass man nicht nur dieses mit einem weiteren, recht bekannten Genremotiv (der Streit um das Erbe) verbindet, sondern daraus auch den Kern des Formats macht. Schnell zeigt sich allerdings, dass wesentlich mehr Erben existieren, als man im Hause Brock vermutet hatte. Mit der Treue hat es der Geschäftsmann nämlich ganz eindeutig nicht so genau genommen. Zunächst tauchen im Zuge von Beerdigung und Testamentseröffnung drei uneheliche Kinder auf: Jennifer „Jenni“ Neumann (Anna Mennicken), Daniel Wagner (Raphaël Vogt) und Anja Meyer (Franziska Breite).
Von Ersterer erfahren wir direkt am meisten: Sie hat einen (Halb-)Bruder, der Basti(an) (Lennart Borchert) heißt, und ihre Mutter Elke (Anne Brendler) betreibt gemeinsam mit ihrem (Stief-)Vater Mike (Mirco Reseg) einen Imbiss an einer Berliner U-Bahn-Station. Daniel ist obdachlos und lebt einmal hier und einmal dort – doch egal, wo er schläft, einer ist immer bei ihm: sein bester Freund Horst „Hotte“ Wölling (Michael Krabbe). Spätestens, als man erfährt, wie „fit" Daniel in Sachen PC ist, dürfte sich auch die letzte Zuschauerin respektive der letzte Zuschauer fragen, wie dieser Mann auf der Straße gelandet ist. Und schließlich Anja, deren größter Traum es eigentlich ist, Mutter zu werden, und die seit Längerem in einem Nachtclub als Pole-Dancerin arbeitet– immer an ihrer Seite: ihr Partner Rocko Schwarz (Marc Barthel), der stets ein Auge darauf hat, dass kein Mann seine „Angel“ in irgendeiner Form bedrängt. Doch Melissa Brock (Sarah Maria Besgen/ab Episode 46: Tanja Wenzel), die Witwe, ihre Kinder Maria (Josephine Martz) und Jascha (Anno Kaspar Friedrich von Heimburg) sowie ihr Schwager Olaf (Thomas Morris) und dessen Frau Bea (Christina Nicola „Niki“ Finger) staunen nicht schlecht, als plötzlich eine weitere Frau auftaucht und behauptet, eine Erbin zu sein: Ines Fischer aka „Chelsea B.“ (Taynara Wolf) – ihres Zeichens „Influencerin“, die von Beginn an den Eindruck erweckt, dass sie nahezu alles für Klicks tun würde.
In Anlehnung an den Titel könnte man folglich einen Großteil der Charaktere gewissermaßen unterteilen: in diejenigen, die vielleicht nicht nichts, jedoch wenig und in diejenigen, die viel „haben“. Ein solches Gefälle bietet selbstredend per se massenhaft Stoff für interessante und ungewöhnliche Geschichten – vor allem weil einige Protagonisten, die an sich letzterer Gruppe zugeordnet werden müssten, plötzlich zu einer Art Bindeglied werden, durch das beide „Welten“ nicht nur temporär, sondern dauerhaft miteinander verknüpft werden. Darüber hinaus verändert sich – wie schon angedeutet – von jetzt auf gleich die Zusammensetzung der Familie Brock. In diesem Kontext darf aber nicht vergessen werden, dass nicht nur die „echten“ und „falschen“ Brocks mit einem Male verwandt sind, sondern die – im wahrsten Sinne des Wortes – „Neureichen“ ebenfalls. Und dieser Umstand wiederum ist gleichbedeutend mit zahlreichen Möglichkeiten, wie man die Handlung auf innovative Weise vorantreiben kann. Nicht unterschätzen sollte man beispielsweise, wer wen wann und wie gut kennenlernt und wer wann mit wem auf welcher Seite steht, und warum. Und für wen Geld, Macht und Einfluss welche Rolle spielen.
Tatsächlich ist es nämlich so, dass man diese Fragen hier und da durchaus erwartbar beantwortet hat, allerdings oftmals eben auch nicht. Und exakt an diesem Punkt muss man deswegen auch ansetzen, wenn man versucht, zu verstehen, warum die Soap letztlich nicht der Erfolg beschieden war, den sich Sat.1 erhofft hatte – bei diesem Versuch werden übrigens bewusst sämtliche externe Faktoren wie Sendeplatz, verspieltes Fan-Vertrauen aufgrund vergangener Daily-Experimente oder Gegenprogramm ausgeklammert. Ausgehend von dem bereits in den letzten Absätzen gelieferten Fakten, bietet es sich an, mit der Cast-Größe zu beginnen: Als eine Art Faustregel gilt, dass eine tägliche fiktionale Produktion auf etwa 20 Figuren setzen sollte. Führt man deutlich mehr ein, ist die Gefahr groß, dass dies – gerade bei einem Neustart – dazu führt, dass das Publikum zu lange braucht, um einen Überblick gewinnen zu können. Außerdem dürfte eine Mehrheit, die berühmt-berüchtigte „Dauer-Verabredung“ mit einem solchen Format nur dann eingehen, wenn sie weiß, auf wen genau sie sich da einlässt. Das setzt jedoch voraus, dass die Zuseherinnen und Zuseher zum einen für sich schon geklärt haben, mit wem sie warum mitfiebern und mit wem warum nicht sowie zum anderen, dass sie zügig, ein Gefühl für das große Ganze bekommen haben.
Erfahren Sie auf der nächsten Seite, inwiefern sich «Alles oder Nichts» von anderen Genrevertretern unterscheidet.
Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
29.01.2020 11:24 Uhr 1
kannst du nicht auch mal was zu "Hinter Gittern" bringen - zwar keine Daily, aber eine Weekly Soap? Bitte ... irgendwas ^^
29.01.2020 18:49 Uhr 2
29.01.2020 21:13 Uhr 3
Naja es ging ja auch schon um WzG und VL - auch alles längst abgesetzt, genau wie AoN auch
Man könnte ja in Zuge dessen auch Block B, Wentworth, Oitnb & Co. beleuchten, quasi die ganze Frauenknast-Thematik und welche Chancen sie in Deutschland noch hat ... davon würde ich mir sogar ne Scripted Reality angucken
29.01.2020 21:28 Uhr 4
Die Soap hatte eine schöne Optik und ich hätte es Sat.1 wirklich gewünscht mit etwas anderem als Scripted Reality erfolgreich zu werden -- aber leider, leider...