360 Grad

Wer ist hier respektlos?

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Der Umgang weiter Teile der deutschen Presse mit Lena Meyer-Landrut ist erschütternd. Julian Miller liest Bild und Meedia die Leviten.

Egal, was Lena auch tut, sie landet in den Schlagzeilen. Für das unverblümte Auge mag es überraschend sein, dass sich ihre Medienpräsenz hauptsächlich in den Editorials von Miesmachern abspielt. Jüngstes Beispiel: Das mittlerweile viel zitierte Interview bei Frank Elstner.

Elstner mag der Gott der deutschen Unterhaltung sein, doch er hatte in diesem Gespräch keine Ahnung, wovon er überhaupt redete. Nicht einmal den Namen dieses kleinen europäischen Musikfestivals, das sich da am Samstag in Düsseldorf abspielte, brachte er zusammen. Oder dass Lena gerade mal ein wenig länger als ein Jahr im Showgeschäft ist und keine zwei. Sie korrigierte ihn. Wie sie das so oft in dem Interview tun musste, um eine allzu große Desinformation der deutschen Fernsehzuschauer zu verhindern. Eigentlich ist das nur legitim. Schließlich wird eins und eins auch nicht drei, auch wenn Herr Elstner das so sagen würde. Und niemand wäre wohl allzu sehr entrüstet, wenn man ihn an dieser Stelle verbesserte.

Ganz anders sahen das allzu viele Leitartikelschreiber, allen voran die der Bild und des Branchen-Informationsdienstes Meedia. Dass Lena auf Elstners belanglose bis dümmliche Fragen stets kurz und knapp antwortete, legte man ihr als „pampig“ und „respektlos“ aus. Insbesondere auch, dass sie Elstner bei seinen falschen Behauptungen berichtigte. Laut Stefan Winterbauer von Meedia hätte Lena nämlich die Situation erdulden sollen, Elstner quasseln lassen und schön brav auf die Fragen antworten – so der Tonus des Artikels. Mit anderen Worten: sich dem Medienspiel ergeben; unreflektiert das tun, was von ihr erwartet wird. Auch in einem anderen Bericht desselben Medienportals lässt sich diese Sichtweise erkennen: Lena wäre in den Tagen vor dem ESC in einem „Elfenbeinturm“ gewesen, schrieb Christine Lübbers, und wäre von den Pressevertretern abgeschirmt worden. Auf Thomas Lückeraths (Chefredakteur des Medienmagazins DWDL.de) Einwurf in den Kommentarspalten des Artikels, in dem er ihn als den Unsinn offenbarte, der er war, wurde von der Verfasserin bisher nicht reagiert – es folgte lediglich eine pampige Stellungnahme von Meedias Chefredakteur. Ein Branchendienst, der Bild-esque Züge zu zeigen beginnt.

Für Deutschlands größte Boulevardzeitung ist Lena unterdessen jetzt natürlich wieder „unsere“ Lena. Hat sie toll gemacht in Düsseldorf, das mit dem zehnten Platz. Haben wir ja gleich gesagt, dass die's drauf hat. Wer auf bild.de jedoch die Editorials von vor einigen Wochen nachschlägt, bekommt ein ganz anderes Bild zu sehen. Denn da war sie noch die Dummbratze, die ihnen keine Interviews gibt und den ESC mit ihrer Titelverteidigungs-Scheißidee blockierte. Nämlich für jemanden, der sein Privatleben vom Axel-Springer-Verlag sicherlich gerne ausschlachten ließe. Zusammen mit Stefan Raab, diesem großkotzigen Metzgerssohn. Es ist immer wieder erstaunlich und verstörend, wie einfach und brutal Berichterstattung funktionieren kann. Das mag „Dog bites man“ sein, ist aber deswegen nicht weniger entsetzlich.

Denn die Bild lebt davon, dass Personen der Öffentlichkeit mit Peinlichkeiten in den Schlagzeilen stehen. Es handelt sich um eine Zeitung, die von Sensationsmedeldungen lebt.

Lena ist dagegen jemand, die das nicht bietet. Sie braucht kein Mitleid und schadenfroh kann man über sie ob ihres anhaltenden Erfolges auch nicht sein. Es kommt einem ein wenig vor, wie Franz Kafka es in seiner Parabel „Auf der Galerie“ beschrieb: „Wenn irgendeine hinfällige, lungensüchtige Kunstreiterin in der Manege auf schwankendem Pferd vor einem unermüdlichen Publikum vom peitschenschwingenden erbarmungslosen Chef monatelang ohne Unterbrechung im Kreise rundum getrieben würde, auf dem Pferde schwirrend, Küsse werfend, in der Taille sich wiegend, und wenn dieses Spiel unter dem nichtaussetzenden Brausen des Orchesters und der Ventilatoren in die immerfort weiter sich öffnende graue Zukunft sich fortsetzte, begleitet vom vergehenden und neu anschwellenden Beifallsklatschen der Hände, die eigentlich Dampfhämmer sind — vielleicht eilte dann ein junger Galeriebesucher die lange Treppe durch alle Ränge hinab, stürzte in die Manege, riefe das: Halt! durch die Fanfaren des immer sich anpassenden Orchesters.“ So sieht die Bild gerne die Leute, über die sie berichtet. Sie tut dann meist so, als wäre sie der junge Galeriebesucher, der Halt! schreit. Aber in Wirklichkeit ist sie der Dampfhammer.

Noch schlimmer wird es allerdings, wenn man sich einmal die Kommentarspalten bei einigen YouTube-Videos ansieht, beispielsweise die des eingangs erwähnten Interviews von Frank Elstner.

Ich war erschüttert.

Denn dort fordert die Lena-Hasser-Fraktion schon einmal Heckenschützen im Publikum. Den Vogel abgeschossen hat folgender Kommentar (Orthographie und Satzzeichen des Verständnisses halber angepasst): „Nach bin Laden können sich die USA ja jetzt um Lena kümmern.“ Und sich dann über angeblich mangelnden Respekt gegenüber Frank Elstner beklagen, wenn man selbst schon mit Artikel 1 des Grundgesetzes so seine Schwierigkeiten hat. In irgendeiner Weise – gleich wie polemisch oder ironisch – einer Künstlerin ein Killerkommando an den Hals zu hetzen, verstößt wohl selbstredend dagegen.

Es tritt das ein, was leider immer wieder eintritt. Krampfhaft versuchen einige Presseorgane, eine Künstlerin zu demontieren, die sich von ihnen nicht ausschlachten lässt, die kein Interesse an einem boulevardesquen Bündnisspielchen hat. Dabei müsste man vor ihr eigentlich den Hut ziehen.

Mit 360 Grad schließt sich auch nächsten Freitag wieder der Kreis.

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