Kramen wir zu Beginn mal kurz das gute, alte Schubladendenken heraus: Wenn man «Roche & Böhmermann» nur ein Label aufkleben dürfte, was wäre es: „Retro“, „Postmodern“ oder was anderes?
Jan Böhmermann: Unterhaltungsshow für die ganze Familie.
Aufgrund der Aufmachung …
Jan Böhmermann: Eine massenkompatible Unterhaltungsshow für die ganze Familie.
Wie stellen Sie sich den Stammzuschauer von «Roche & Böhmermann» vor?
Charlotte Roche: Ich stelle ihn mir vor als einen intellektuellen 21-Jährigen …
Jan Böhmermann: … anti-llektuellen …
Charlotte Roche: … als einen 21-Jährigen Anti-llektuellen …
Jan Böhmermann: … der gerne die Atzen hört und beim Autoscooter gerne mal eine Runde rückwärts fährt.
Der Stammzuschauer ist also betont männlich?
Jan Böhmermann: Transsexuell!
Charlotte Roche: Ich soll mir ja meinen Zuschauer vorstellen, damit ich gut moderieren kann, und das ist meine Vorstellung. Jan, wie sieht denn dein Zuschauer aus?
Jan Böhmermann: Ein transsexueller 30-Jähriger mit Abitur, aber auch einer gesunden Förderschulausbildung.
Wie intensiv wurde vorab die Verknüpfung des modernen Konzepts und des Retro-Looks der Sendung besprochen?
Charlotte Roche: Unfassbar viel, wir haben unfassbar viel genau darüber gesprochen. Wie man moderne Ideen einbinden kann, in eine alte, hässliche Kulisse. Auch um zu zeigen, dass wir viel provozieren wollen, so wie es auch früher in Talkshows der Fall war.
Gab es aufgrund dieser Provokationen von Gästen nach der Aufzeichnung oder Ausstrahlung auch negative Rückmeldungen?
Charlotte Roche: Ehrlich gesagt, gibt es nach jeder Sendung ein total unangenehmes Gefühl.
Jan Böhmermann: Ja. Immer Scham.
Charlotte Roche: Ich kann in der Sendung ja immer gerne harte Sachen sagen, doch nachher gehe ich immer zu jedem Gast und entschuldige mich für das, was passiert ist.
Jan Böhmermann: Und ich entschuldige mich noch doppelt, nämlich für mich und für Charlotte gleich nochmal mit. Mir tut die Sendung hinterher immer total leid.
Welche Ausgabe war dahingehend die schlimmste?
Jan Böhmermann: Die heutige [Ausstrahlung am 9. September, Anm. d. Red.].
Charlotte Roche: Auf jeden Fall, ganz ohne Quatsch.
Jan Böhmermann: Heute hat uns alles richtig leid getan. Zum einen, dass wir so wahnsinnig schlecht vorbereitet waren, ich wusste bis zum Aufzeichnungsbeginn nicht einmal, wer Max Herre eigentlich ist.
Charlotte Roche: Du fingst an, mit dem Ferris MC zu reden und ich wusste gar nicht, dass er bei Deichkind ist.
Jan Böhmermann [über Jennifer Weist]: Und wer war die rechts neben mir?
Charlotte Roche: Das ist eine Sängerin von einer Punkrockband.
Jan Böhmermann [über Peter Berling]: Auf jeden Fall war es cool, dass Bud Spencer mit am Tisch saß.
Wo holen Sie sich Feedback zur Sendung? Wessen Meinung wird respektiert, wer wird ignoriert?
Jan Böhmermann: Respektiert werden auf jeden Fall Twitter und Facebook, ignoriert werden alle Onlinedienste, die nicht Quotenmeter.de heißen.
Charlotte Roche: Mir ist nur wichtig, was Jan sagt … und Quotenmeter.
Sie wurden seitens der Zuschauer unter anderem als Talkshow-Revoluzzer eingeordnet. Zu einer Revolution gehört definitionsgemäß der Wunsch, das Bestehende zu verändern. Trifft das Etikett „Talkshow-Revoluzzer“ dann überhaupt auf Sie zu?
Jan Böhmermann: Unser erklärtes Ziel ist es, mit Waffengewalt Markus Lanz zu erobern und eine «Roche & Böhmermann»-Fahne in seinen Kopf zu stecken. Dann stehen wir auf seinem Kopf, jublen und haben es geschafft.
Charlotte Roche: Ja … Wirklich. Wir haben uns, als wir angetreten sind, hingesetzt und überlegt, was wir in Talkshows nicht gut finden. Zum Beispiel: Vorgespräche. Vorgespräche sind der Tod der Talkshow.
Jan Böhmermann: Und übermäßige Vorbereitung. Die finden wir auch nicht gut, weil es auch übermäßig Zeit kostet.
Vor Ausstrahlung der ersten Staffel versprachen Sie zum Beispiel bei «TV total», dass es in «Roche & Böhmermann» keine Werbung für Produkte der Talkgäste geben wird - es sei denn, Sie sind Fan des Produkts. Schlussendlich hat dann aber doch nahezu jeder Gast sein Buch, sein Magazin, seine CD oder seine Initiative vorgestellt …
Jan Böhmermann: Weil wir die Produkte auch mochten!
Charlotte Roche: Wir stehen dahinter.
Jan Böhmermann: Genau, wir stehen hinter den Produkten, die wir vorstellen.
Charlotte Roche: Und wir haben entdeckt, dass wir ein großes Herz für Promo haben.
Jan Böhmermann: Ein großes Herz … aus Stein!
Es gibt also keine Versuche, das in der neuen Staffel einzudämmen?
Jan Böhmermann: Doch!
Charlotte Roche: Wir nehmen das als Kritik an.
Eines der Herausstellungsmerkmale der Sendung sind die Verfremdungseffekte – vom Zensurknopf hin zu von Ausgabe zu Ausgabe wechselnden Elementen wie dem vermeintlichen Rückspulen des Bands. Welcher Zweck steckt hinter diesen Inszenierungselementen?
Charlotte Roche: Wir möchten unsere Gäste am Tisch total verwirren, so dass sie sich danach ganz schlimm verplappern und intimes ausplaudern. Und das hat bis jetzt bisher immer geklappt.
Wie kommt man auf die Ideen für diese verschiedenen Inszenierungseffekte?
Jan Böhmermann: Viel Brainstorming, wenig Alkohol und ganz viel Liebe zum Detail. Wir sind eine Fernsehmanufaktur, wir machen alle unsere Sachen noch mit Hand.
Sind diese Spielereien für das Profil der Sendung wichtiger als die Gästeauswahl oder Gesprächsführung?
Jan Böhmermann: Ich wusste nicht einmal, dass wir eine Gästeauswahl oder Form der Gesprächsführung haben, aber … ja, das klingt gut. Haben wir auch, ja. Sind auch sehr wichtig!
Charlotte Roche: Im Prinzip ist dir das total egal, wer am Tisch sitzt, Jan, ganz ehrlich. Mir nicht!
Jan Böhmermann: Nein, das stimmt nicht. Mir ist es nicht egal. Ich möchte immer, dass ich da sitze.
Charlotte Roche: Klar sitzen wir da …
Jan Böhmermann: Ach so, wer da sonst noch sitzt? Ja, die sind mir egal!
Wie viel Vorausplanung ist denn nun notwendig, um eine derart spontan wirkende Show zu ermöglichen und sie dennoch unterhaltsam zu machen?
Charlotte Roche: War das jetzt eine versteckte Beleidigung?
Nein, das war so nicht gemeint …
Jan Böhmermann: Also, ganz im Ernst, das Geheimnis der Sendung ist, dass sie komplett geskriptet ist. Alle Sachen werden vorher durchgesprochen, auswendig gelernt und vorgetragen. Und das bedeutet monatelange Vorbereitungszeit. Wir hatten deswegen so eine lange Sommerpause. Also, alles, was so spontan rüberkommt, ist bei mir zumindest harte Arbeit. Ich habe nicht die Gabe von Charlotte, sondern bin ein Arbeiter.
Die Frage rührte daher, dass es zwei Schulen gibt: Einerseits behaupten viele, um spontan zu sein, müsse man umso mehr vorausplanen, andererseits heißt es, man könne Spontaneität nicht vortäuschen und darf keinesfalls planen.
Jan Böhmermann: Nein, nein, ich bin ein ganz klarer Planer, Charlotte dagegen ist mehr ein impulsiver Mensch, sie trägt ihr Herz auf der Zunge und sagt, was immer ihr in den Kopf kommt.
Charlotte Roche: Bei mir kommt alles aus der Gebärmutter.
Jan Böhmermann: Und ich bin ein Planer!
Herr Böhmermann, werden Sie auch in der Sky-Auflage der «Harald Schmidt Show» zu sehen sein?
Jan Böhmermann: Sky ist für mich einfach eine Nummer zu groß, zu mainstreamig. Ich möchte gerne meine Kante weiterhin bei ZDFkultur zeigen, auch, weil wir da mehr Zuschauer haben.
Kommt Kollege Schmidt vielleicht auch mal zum ungezwungenen Plausch bei «Roche & Böhmermann» vorbei?
Jan Böhmermann: Zum Plausch ja, aber ungezwungen wird er bestimmt nicht!
Vielen Dank für das Gespräch.