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Eine der Lektionen, die wir mit den Batman-Filmen gemacht haben, ist: Wenn man eine so ikonische Figur behandelt, ist es wichtig, den Kanon zu respektieren. Aber man muss auch einige heilige Kühe schlachten, um frisch zu bleiben.
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David S. Goyer über das Uminterpretieren Supermans
Also musste ein Reboot her. Zum Glück für Warner Bros. und DC Comics spielten Christopher Nolan und David Goyer während der Arbeit am Drehbuch zu «The Dark Knight Rises» in Gedanken durch, wie sie den Sohn von Krypton fürs Kino umwandeln würden. Die Verantwortlichen hinter der modernen, realistisch-düsteren Batman-Trilogie trugen ihr Konzept vor und erhielten den Zuschlag. «Da Vinci's Demons»-Serienschöpfer Goyer zwängte sein und Nolans Konzept in ein Drehbuch, der «The Dark Knight»-Regisseur dagegen sollte als Produzent sicherstellen, dass Superman in bestmöglicher Form über die Kinoleinwände düst. Die Regiepflichten hingegen gaben sie an Zack Snyder ab, der sich mit «300» und «Watchmen» als Mann für stylische Comicverfilmungen empfahl und mit «Sucker Punch» die Geister schied.
225 Millionen Dollar verschlang Snyders Umsetzung der Storyidee Goyers und Nolans, und dieses stolze Budget sieht man «Man of Steel» ebenso gut an, wie die Handschrift seiner Schöpfer. Auch wenn «Man of Steel» schwer mit dem bodenständigen Filmuniversum der Nolan-Batman-Trilogie zu vereinen ist, so atmet dieses Superheldenepos ein sehr ähnliches Verständnis dessen, was plausibel ist, und betrachtet das Heldentum aus einem vergleichbar kargen, dreckigen Winkel. Regisseur Zack Snyder wiederum verzichtet in diesem 143-minütigen Bombastfilm zwar auf seine geliebten Superzeitlupen, doch er bleibt seinem Hang zu verwaschenen Farben, stilisierter Zerstörungswut sowie doppelbödigem Pathos treu. Leichtfüßigkeit darf man bei diesem Zusammentreffen großer Filmschaffenden, von sehr wenigen spritzigen Sprüchen abgesehen, natürlich nicht erwarten. Dafür schafft «Man of Steel» mit großen Gesten, dichter Atmosphäre und pompöser Action ein in sich stimmiges, wohl aber sich stilistisch stets wandelndes Stück Bombastkino.
«Man of Steel» eröffnet bereits mit einer überdimensionalen Darstellung der letzten Stunden des Planeten Krypton, auf dem Wissenschaftler Jor-El (Russel Crowe) beschließen, sich gegen den despotischen General Zod (Michael Shannon) aufzulehnen. Kurz vor seinem Tod und der Implosion des technisch weit fortgeschrittenen Planeten entsendet Jor-El seinen neugeborenen Sohn mit einer Raumkapsel zur Erde, wo er nicht nur das Erbe seiner Spezies bewahren, sondern auch einer ehrvollen Bestimmung folgen soll. Das Kleinkind wird von einem gutherzigen Farmer-Ehepaar aufgefunden (Kevin Costner und Diane Lane), das sich liebevoll um das Findelkind sorgt. Unter dem Namen Clark Kent lernt der jüngste Kryptonier von seinen Adoptiveltern, sich an die seinen Körper zunächst überfordernden irdischen Umstände zu gewöhnen, und dass er besondere Fähigkeiten hat, denen er zwar gerecht werden soll, er aber auch die Feindlichkeit des Menschen gegenüber Andersartigen fürchten sollte. Als Erwachsener zieht Clark (Henry Cavill) daher durch die Welt, und jedes Mal, wenn er eine zu auffällige Wohltat vollführte, taucht er zu seiner eigenen Sicherheit unter. Als aber die toughe Spitzenjournalistin Louis Lane (Amy Adams) den Spuren Clarks nachgeht, erkennt er, dass die Menschheit vielleicht verständnisvoller ist als stets von ihm gefürchtet. Bald darauf startet General Zod, der das Universum auf der Suche nach Jor-Els Sohn durchkreuzte, eine ausgewachsene Attacke auf den Planeten Erde. Clark Kent steht vor einer schwerwiegenden Entscheidung: Vertraut er den Menschen genug, um ihnen vor den Augen der Weltöffentlichkeit zu helfen?
Mit dem Krypton-Prolog eröffnet «Man of Steel» zwar als extravagante Space-Opera, doch sobald der Film das Weltall verlässt, zeigt sich Zack Snyder von seiner künstlerischen Seite: Er skizziert Clark Kent als ziellosen Wanderer, der seine Stärke und Agilität für das Wohl der Menschheit einsetzen möchte, doch sich dazu entschied, unterzutauchen und anonym zu bleiben. So kann er bloß immer wieder mal ein kleines Verbrechen abwenden oder einen fatalen Unfall verhindern, aber wenigstens erschüttert er nicht das Weltbild der Menschheit und sichert so die Weltordnung – was, wie er hofft, auf langer Sicht mehr Leben beschützt. Diese Zurückhaltung zehrt aber an Clarks Lebensfreude, was Zack Snyder durch verregnete Landschaften, unterbeleuchtete Bilder und Hans Zimmers melancholische Filmmusik ausdrückt. Zudem diente Terence Malicks ebenso nachdenklicher wie phänomenaler Kunstfilm «Tree of Life» als Inspiration, was sich in Snyders malerischen Szenenübergängen und den assoziativ verknüpften Rückblenden äußert.
Diese impressionistische Beschäftigung dessen, wie ein mit übermenschlichen Fähigkeiten ausgestatteter Held in der realen Welt wohl handeln und wie es ihn in Mitleidenschaft ziehen würde, weicht mit dem Erscheinen General Zods einem megalomanischen Action-Inferno. Der plötzliche Überschuss an destruktiver, keinerlei Gefangenen machender Action steht jedoch nicht im Gegensatz zu den vorhergegangenen, ruhigeren Momenten. Dieser radikale Stilwechsel von „Zack Snyder emuliert Terence Malick“ zu „Zack Snyder emuliert Michael Bay“ sorgt zwar für ein ungleiches Kinoerlebnis, bedingt sich aber durch die Handlung, die Nolan und Goyer erzählen wollen. Durch Zods Feldzug gegen die Erde muss Clark Kent vom Gelegenheitshelden zum Superhelden aufsteigen – und bei einem Wesen mit seinen Kräften, und noch dazu mit der geringen Erfahrung im Heldentum, die diese Version Supermans hat, führt dies zwangsweise zu einer erschreckenden Schneise der Zerstörung.
Auch wenn es bedauerlich ist, dass «Man of Steel» die erdrückenden Folgen der von Snyder zu gleichen Teilen mit Freude und Schrecken dargestellten Zerstörungsorgie bloß impliziert, bestechen die weitreichenden Kampfsequenzen mit einer hypnotischen Kameraarbeit, effektvollen Sounds, solider Computeranimation und selbstbewusster Dramaturgie. Untermalt wird das XL-Actionfinale von einer treibenden, percussionlastigen und trotz ihrer getragenen Panik sehr harmonischen, emotionalen Filmmusik Hans Zimmers, die Superman akustisch völlig neu erfindet.
Die namhafte Darstellerriege rückt bei Snyders Pathos und der laut tönenden Verwüstung zwar weit in den Hintergrund, arbeitet allerdings nahezu durchgehend effektiv. Diane Lane und Kevin Costner erwecken mit wenigen Gesten glaubwürdige Bilder überaus verständnisvoller Zieheltern, Russel Crowe behält trotz seiner mitunter gestelzten Expositionsmonologe große Würde als weiser Jor-El und Amy Adams erschafft mit Durchsetzungsvermögen, Hingabe und neugierig-bestimmten Augen die bislang beste Louis Lane. Hauptdarsteller Henry Cavill sieht wie ein real gewordener Clark Kent / Superman aus und überzeugt als Actionstar sowie als bescheidener Junge vom Land, jedoch unterfordern ihn die Dialoge sichtbar. Michael Shannon wiederum scheint als General Zod aus einem völlig anderen Film entflohen – sein dick aufgetragener, selbstgefälliger Überschurke versprüht zwar Spielfreude, aber er ist auch viel zu theatralisch für diese ernste, düstere Superman-Interpretation.
Die diversen Schnitzer in «Man of Steel» sowie seine duale Natur hindern diesen Neustart der Superman-Filmreihe sicherlich daran, ein moderner Klassiker wie «The Dark Knight» oder ein Popcorn-Publikumsliebling der Größenordnung von «Marvel's The Avengers» zu werden. Dennoch eröffnet Zack Snyders Bombastfilm dem geneigten Zuschauer eine ungewöhnliche, wundersam stimmige Mischung aus Spektakel und Superhelden-Sinnsuche, aus Christopher Nolans realistischer Superhelden-Dramatik und überwältigendem Thrillride.
«Man of Steel» ist ab dem 20. Juni 2013 in 2D und 3D in vielen deutschen Kinos zu sehen.