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Eine hypothetische, unrealistische Vorstellung hier in Deutschland. Aber ungefähr diese Situation erleben viele US-Zuschauer derzeit, die Kabelfernsehen von Time Warner Cable beziehen, einem der größten Netzbetreiber mit knapp zwölf Millionen Kunden. Drei Millionen davon, also ein Viertel, sehen bei Sendern von CBS seit drei Wochen schwarz: Anfang August hat Time Warner Cable das Angebot abgeschaltet, darunter in New York, Los Angeles und Dallas. Grund ist ein Streit um sogenannte Retransmissionsgebühren, die CBS von Kabelbetreiber für die Einspeisung bekommt. CBS will in den nächsten Jahren diese Einnahmen vervierfachen und fährt eine harte Strategie: Time Warner Cable soll künftig das Doppelte zahlen, konkret zwei Dollar pro Kunde statt bisher einem.
Eine extreme Preiserhöhung für den Kabelbetreiber, der bei seinen Kunden nun als Sündenbock dasteht. Er ist es schließlich, der das CBS-Angebot aus dem Programm genommen hat. Aber ihm sind auch die Hände gebunden: Ein Schwarzbild ist für die amerikanischen Kabelanbieter eines der wenigen Druckmittel und Argumente, die sie nutzen können – und dies auch nur begrenzt. Denn der Zuschauerdruck auf den Kabelbetreiber wächst wiederum, je länger Programme blockiert werden – Unzufriedenheit und Abo-Kündigungen sind die Folge. Im hart umkämpften und schrumpfenden Kabel-TV-Markt, der Kunden an die digitale Konkurrenz verliert, kann eine solche Situation tödlich sein. Es fühlt sich wie ein klassischer Streik an, den Time Warner Cable hier führt – anfangs vielleicht hoffnungsvoll, mit zunehmender Länge allerdings quälend und zermürbend.
Entspannter kann CBS die Sache sehen: Zwar verliert man nach Analystenschätzungen derzeit rund 400.000 US-Dollar pro Tag durch die fehlenden Retransmissionsgebühren, für das riesige Entertainment-Network sind dies aber nicht mehr als Peanuts. Kurz: CBS kann abwarten, kann zusehen, wie der Druck auf die Gegenseite zunimmt.
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Größter Verlierer ist ohnehin der Zuschauer, der nicht nur von CBS instrumentalisiert wird: Er ist es, der seine Lieblingsserien und -shows seit drei Wochen nicht empfangen kann – zumindest nicht mehr auf herkömmlichem Weg. Er findet aber andere Mittel und Wege, um an seine Inhalte zu kommen. Schließlich fehlen ihm seit Anfang August nicht nur das normale CBS in seinem Kabelangebot, sondern auch der Movie Channel und Showtime, die beide zur CBS-Gruppe gehören.
Und dies ist die eigentlich spannende Geschichte inmitten dieses traurigen Schauspiels: Viele Menschen werden aktiv und schauen selbständig, welche Angebote es neben dem herkömmlichen linearen Fernsehprogramm gibt – einige nutzen Sport-Internetseiten, um Wettkämpfe zu verfolgen. Beispielsweise die PGA-Tour, die sie normalerweise auf CBS schauen würden. Andere legen sich eine IP-Adresse zu, mit der sie die herkömmliche CBS-Website ansteuern können – inklusive ganzer Folgen ihrer Lieblingsserien.
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Weitere Streaming-Angebote profitieren ebenfalls vom Blackout, schließlich besitzen CBS und Showtime zahlreiche populäre Serien wie «The Big Bang Theory» oder «Dexter», die auf einigen Diensten verfügbar sind. Dazu kommen die Sportübertragungen, die viele Kunden von Time Warner Cable derzeit verpassen: Derzeit läuft die Preseason der NFL, bevor am 5. September die reguläre Saison startet. Sollte der Streit zwischen dem Kabelbetreiber und CBS bis dahin nicht beigelegt sein, werden sich noch mehr Zuschauer ärgern.
Kaum aber jemand geht von einem solchen Szenario aus – es ist ziemlich wahrscheinlich, dass CBS in New York und anderen Städten Anfang September wieder eingespeist wird. Der Image-Schaden aber bleibt, und er kann langfristig böse Folgen für die Branche haben: Noch mehr Menschen werden künftig andere Wege suchen, um an ihre Unterhaltung zu kommen. Zu verdenken ist es ihnen in keinem Fall, denn der Streit zwischen CBS und Time Warner Cable steht exemplarisch für alles Falsche, das die klassische TV-Branche derzeit zu verantworten hat. Kunden wollen ihre Inhalte in diesen Zeiten ohnehin bereits konsumieren wann sie wollen, wo sie wollen – und auf jedem Abspielgerät, ob Laptop, Tablet oder Fernseher. Das lineare Fernsehen verliert bereits Zuschauer, ablesbar an den sinkenden Abo-Zahlen der Kabelnetzbertreiber wie Time Warner Cable. Interne Preiskämpfe wie dieser beschleunigen nur die Entwicklung hin zum unabhängigen, selbstgewählten (und vielleicht illegalen) Konsum der eigenen Entertainment-Inhalte.
Die neuen Technologien zeigen dem klassischen Fernsehen seine Grenzen auf, und kaum ist dies offensichtlicher als beim CBS Blackout. Der „New Yorker“ kommentierte diesen kürzlich als „Zerrüttung des Fernsehens“: In den 1980er Jahren dominierten die vier großen Networks das Fernsehprogramm; sie ignorierten die Gefahr, die vom aufstrebenden Kabelfernsehen ausging. Bis es zu spät war. Heute scheinen Time Warner Cable und CBS selbst wie „zwei alternde Spieler, die Angst davor haben, dass ihr Spiel zusammenbricht. Vor dreißig Jahren wurde die traditionelle TV-Welt vom Kabelfernsehen überrumpelt; heute werden die Kabelbetreiber und TV-Networks beide von neuen Technologien überrollt.“
Eine digitale Gefahr ist es für die Unternehmen – ein digitaler Segen für die Zuschauer, die sich vom klassischen Fernsehen und seinen eigensinnigen Spielern emanzipieren können.