Die Kritiker

Going the Extra Mile

von

VOX zeigt «Chicago Fire» ab Montag in der Prime-Time. Die amerikanische Drama-Serie ist zwar Regelfernsehen - aber Regelfernsehen erster Güte, meint Julian Miller.

«Chicago Fire» - Staff

  • Erfinder: Michael Brandt, Derek Haas
  • Ausführende Produzenten: Dick Wolf, Danielle Gelber, Peter Jankowski, Matt Olmstead
  • Darsteller : Jesse Spencer, Taylor Kinney, Charlie Barnett, Monica Raymund, Lauren German, Eamonn Walker u.v.m.
In all dem Hype um die Fiction des amerikanischen Pay-TVs und vielbesprochene Formate aus der Network-Riege wie «The Blacklist» und «Modern Family» sollte man sich hin und wieder ins Gedächtnis rufen, dass es auch abseits der innovativen Spitzenklasse tolles Fernsehen gibt. Regelfernsehen, ja. Doch bei diesem – oftmals zum Pejorativ degenerierten – Begriff darf man nicht gleich in süffisantes Gähnen verfallen. Ansprechend umgesetzt, hat es durchaus seinen Reiz. Beispiel «Chicago Fire».

Die Serie spielt, wie ihr Titel unschwer erkennen lässt, in einer Chicagoer Feuerwache und begleitet die Figuren bei ihren täglichen Rettungsarbeiten. Dass die es in sich haben, wird gleich in den ersten Minuten des Piloten klar. Bei einem Brandeinsatz kommt einer der Feuerwehrmänner ums Leben. Der Crew setzt das naturgemäß schwer zu, Trauer und Aufarbeitung prägen das Bild der ansonsten fröhlichen und kumpelhaften Truppe.

Im erzählerischen Zentrum steht zunächst der von Jesse Spencer gespielte Lieutenant Matthew Casey, ein enger Freund des Verstorbenen und seiner Familie, der stets mit Verstand und Herzblut bei der Sache ist. Sein grobschlächtigerer Gegenpart ist Lieutenant Kelly Severide, den mehr als alle anderen die Schuldgefühle am Tod des Kollegen zu plagen scheinen. Mit von der Partie sind neben dem ambitionierten Anfänger Peter Mills noch der Chief der Feuerwache, der sich als Preisboxer ein bisschen was dazu verdient und früher im Militär war, und zwei Paramedics (in der deutschen Version behelfsmäßig als „Sanitäter“ übersetzt). Mit zahlreichen Nebenfiguren, die im Laufe der ersten beiden Staffeln sukzessive markantere Charaktereigenschaften entwickeln, hat das Format ein vergleichsweise üppiges Personal.

Es fällt schwer, die Hauptcharaktere in einem Satz zu beschreiben. Das ist ein gutes Zeichen, zumal bei einem Procedural, wo die Rollenaufteilung allzu häufig entlang von Stereotypenlinien stattfindet. Nicht so bei «Chicago Fire». Hier findet man tatsächlich in den meisten Figuren einiges an Facettenreichtum, den die Darsteller gewieft aufspüren.

Jenseits der Verarbeitung traumatischer Erlebnisse im Einsatz und dem angenehm unaffektiert erzählten Hintergrundrauschen des lässig-jovialen Feuerwachenbetriebs nehmen natürlich die Fälle der Woche einen zentralen Punkt im dramaturgischen Konstrukt ein. Die werden stets sehr ausladend inszeniert, wobei die opulenten Bilder aber nie als Ausrede für schwache narrative Momente herhalten müssen. Im Gegenteil: «Chicago Fire» erzählt in den vielen Einsatzszenen zwar sehr schnell, gleichzeitig aber auch, wann immer sich Möglichkeiten dazu ergeben, sehr intim und nahbar. Zackige Plots und emotionaler Tiefgang schließen einander hier nicht gegenseitig aus. Auch das ist in amerikanischen Network-Procedurals keinesfalls alltäglich.

Ein Beispiel findet sich gleich in der zweiten Folge: Ein Bauarbeiter wird bei einem Unfall auf einer Baustelle lebensbedrohlich verletzt. Kelly Severide gelingt es, zu ihm vorzustoßen. Die Paramedics können wenig ausrichten, der Notarzt wird noch einige Minuten lang nicht eintreffen. Es entsteht ein Kammerspiel zwischen Kelly und dem Schwerverletzten, das in seinen Wendungen zwar nicht außerhalb der Erwartungshaltungen verläuft, gleichzeitig aber mit viel ehrlicher, glaubwürdiger und ohne Übertreibungen auskommender Emotionalität aufwarten kann.

Aufgrund des Settings und des Herkunftlandes von «Chicago Fire» wird es nicht verwundern, dass die Serie ihre Geschichten sehr heroisch erzählt und dabei auch vor etwas dicker aufgetragenem Pathos nicht zurückschreckt. Doch auch das ist in diesem Fall kein Kritikpunkt. Denn das Pathetische wird nur selten unangenehm überstilisiert, sondern ist häufig eine logische Folgerung aus Haltung und Plot. Das macht Sinn, ist spannend und häufig auch recht clever geschrieben.

Um etwaigen falschen Erwartungshaltungen also ein letztes Mal vorzubeugen: Nein, «Chicago Fire» kann mit den moralphilosophischen Lehrstücken eines «Breaking Bad», mit einem intellektuellen Polit-Drama wie «House of Cards», mit der Tour-de-Force einer «Blacklist» oder der innovativen Dramaturgie eines «True Detective» nicht einmal im Ansatz mithalten. Das sind eindeutig bessere Serien.

Und doch: «Chicago Fire» kann faszinieren und richtig gut unterhalten, wenn man den Anspruch darauf beschränkt, eine gut erzählte und packend gespielte Serie sehen zu wollen, die bewusst außerhalb der innovativen Speerspitze amerikanischer TV-Fiction angesiedelt ist.

VOX zeigt «Chicago Fire» ab Montag, den 16. Juni um 20.15 Uhr in Doppelfolgen.

Kurz-URL: qmde.de/71303
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