Sonntagsfragen

'Mit Marvel zusammenzuarbeiten ist wirklich aufregend'

von

Disney-Produzent Roy Conli unterhält sich mit Quotenmeter.de über Fortschritte im Animationsbereich, Nerds und «Baymax – Riesiges Robowabohu», die erste Disney-Trickfilmadaption eines Marvel-Comics.

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Disney war ja schon immer gut darin, Geschichten über Außenseiter zu erzählen. Oder über Underdogs, Nerds – wie man es halt nennen will …
[euphorisch] Ja! Und wir sind ja alle auf unsere eigene Art Außenseiter oder Nerds.

Genau. Und ich finde, diese Erkenntnis war über lange Zeit etwas, das Disney auszeichnete. In der jüngeren Vergangenheit hat sich meiner Beobachtung nach die Mentalität in unserer Gesellschaft jedoch ein wenig verschoben. Ich glaube, dass mittlerweile immer mehr Menschen offen dazu stehen, wenn sie sich in ihren Ansichten oder Hobbys von der Masse abheben. Und die Medien reflektieren das. Vor zehn Jahren hätte es wohl kaum eine Sitcom wie «The Big Bang Theory» gegeben. Hat das wiederum Einfluss darauf, wie bei Disney solche Außenseitergeschichten erzählt werden, da dies nun zur Norm wird?
Was eine Geschichte stets bestimmen sollte, ist die Diskrepanz zwischen dem, was eine Figur will, und dem, was sie braucht. Das ist beim Geschichtenerzählen immer besonders wichtig. Schauen wir auf «Baymax – Riesiges Robowabohu»: Unser Held Hiro Hamada hat ein klar definiertes Bedürfnis, dessen er sich selber aber nicht bewusst ist. Glücklicherweise trifft er auf Baymax, der ihm dabei hilft, es zu stillen. Meiner Meinung nach hat beim Geschichtenerzählen nichts eine höhere Bedeutung – und da ist es gleichgültig, ob man sich selber als Nerd oder Sportass sieht. In meinen Augen sind wir im Grunde unseres Herzens sowieso alle Nerds. Ich muss da an meine High-School-Reunion zurückdenken, und da waren die ganzen Football-Kerle, die seither ihr Haar verloren haben und auch charakterlich nicht mehr wie früher sind … [lacht] In uns allen steckt also ein Nerd, und wir alle erzählen gern Geschichten über das, was uns bewegt. Das war schon immer der Schlüssel zum Erzählen guter Storys.

In meinen Augen sind wir im Grunde unseres Herzens sowieso alle Nerds.

Roy Conli, Disney
Ist es heute also einfacher, eine Geschichte mit einem nerdigen Helden zu erzählen, weil immer mehr Leute zu ihrem inneren Nerd stehen? Auch generell scheint mir der Gruppendruck, sich anzupassen, nachzulassen, während die Individualität mehr und mehr gefeiert wird …
Ich weiß nicht. Denken wir beispielsweise an meinen liebsten Disney-Animationsfilm zurück – an «Pinocchio». Und Pinocchio war am Anfang eine Marionette, die davon träumte, ein kleiner Junge zu werden. Pinocchio hat also eine große Sehnsucht, und es dreht sich bei einer Geschichte immer darum, wonach die zentrale Figur strebt. Das muss für das Publikum Sinn ergeben, und solange man als Zuschauer diese Figur lieben lernt und will, dass sie ihr Ziel erreicht, funktioniert die Geschichte. Das hat sich über die Jahrzehnte nicht verändert, und je mehr ich darüber nachdenke: Mir fallen keine Storys über coole, akzeptierte Personen ein. In gewisser Weise stehen immer unangepasste Figuren im Mittelpunkt. Im Realfilm sind dies derzeit oft Typen wie Seth Rogen oder Ben Stiller, und die spielen zweifelsfrei keine Normalos. Ihre Figuren sind immer zu einem bestimmten Grad Außenseiter. Ich denke schon, dass Ihr Grundgedanke interessant ist, doch in meinen Augen haben wir schon immer unsere eigene Unangepasstheit gewürdigt und Erzählungen über Außenseiter zelebriert.

Musik ist ebenfalls ein unerlässlicher Teil des Disney-Erbes. Was hat «Baymax – Riesiges Robowabohu» in dieser Hinsicht zu bieten – zusätzlich zum neuen Song von Fall Out Boy, der wirklich gut klingt ..?
Ja, Fall Out Boy sind richtig super. Ihr Lied ist der einzige große Song, der im Film vorkommt, wir setzen dieses Mal mehr auf Instrumentalmusik. Und die ist einfach phänomenal. Sie wird komponiert von Henry Jackman, der unter anderem «Captain Phillips», «X-Men: Erste Entscheidung» und «Ralph reicht's» gemacht hat und ein wirklich herausragender Teamarbeiter ist. Für «Baymax – Riesiges Robowabohu» konnte er einen Score verfassen, der viele Leitthemen beinhaltet, und das ist eine Sache, für die die meisten Komponisten töten würden. Sie sehnen sich nach der Möglichkeit, umfassende Themen zu schreiben, und weil dieser Film ein heldenhaftes Konzept verfolgt, funktioniert das bei ihm besonders gut.

Disneyland und seine Themengebiete

Das Original-Disneyland in Kalifornien ist in die Themenländer Main Street, U.S.A., Adventureland, New Orleans Square, Frontierland, Critter Country, Fantasyland, Tomorrowland und Mickey's Toontown aufgeteilt. Die Regisseure Kirk Wise und Gary Trousdale etablierten die scherzhafte Idee, Disney-Filme danach zu sortieren, in welches Land sie passen: Märchenfilme wie «Arielle, die Meerjungfrau» sind Abstecher ins Fantasyland, Sci-Fi-Filme wie «Atlantis» gehören ins Tomorrowland.
Wann immer die Walt Disney Animation Studios die Themenwelt Fantasyland verlassen, um sich einer Story zu widmen, die eher ins Tomorrowland gehört, scheitern die Filme – leider – an den Kinokassen. Ich kann mir das nicht erklären, da ich viele dieser Filme verehre, wie etwa den von Ihnen produzierten «Der Schatzplanet». Was also läuft schief, liegt vielleicht ein Fluch auf Filmen, die vom Märchentypus abweichen? [lacht]
Nein, ich denke nicht. «Der König der Löwen» passt nicht ins Fantasyland, genauso wenig würde ich «Aladdin» in diesen Bereich stecken. Aber es ist schon eine interessante Beobachtung, gerade weil ich Teil des Teams von «Der Schatzplanet» war und ich diesen Film absolut liebe. Doch ich bin mir sicher, dass die Welt bereit für die Figur Baymax ist und auch für eine Story, die so viel Herz, Action und Humor hat wie «Baymax – Riesiges Robowabohu». Ich denke die tonale Balance des Films ist genau richtig. Nun liegt es an Ihnen, einen Erfolg daraus zu machen. [lacht]

Wir haben mit «Baymax – Riesiges Robowabohu» bald einen Disney-Animationsfilm, der auf einem Marvel-Comic basiert. Wie gut stehen die Chancen für einen Disney-Film, der auf einem Disney-Comic basiert? Zumindest hier in Europa erfreuen sich die Comics weiterhin überaus großer Beliebtheit …
Die Comics mit Micky oder Donald?

Genau.
Schön zu hören, denn Donald ist einer meiner Lieblinge. Ich mag generell widersprüchliche Persönlichkeiten und Donald ist ein Paradebeispiel an inneren Widersprüchen. Aber bei den Walt Disney Animation Studios werden Filme wie folgt gemacht: Wenn ein Regisseur eine Idee hat, an die er glaubt, dann stellt er sie dem Studio vor. Und wenn die Präsentation glaubhaft macht, dass diese Idee zu einem Film führen kann, auf den Amerika und die Welt gewartet haben, dann wird sie umgesetzt.

Okay, also abwarten. Um aber zurück zu «Baymax – Riesiges Robowabohu» zu kommen: Gab es abseits der Comicvorlage weitere Inspirationen?
Ja. Ein Aspekt, der mir an diesem Film sehr gefällt, ist die Kameraarbeit, und da gibt es Momente, die direkt aus einem klassischen Hitchock-Film stammen könnten. Die Handlung weißt auch ein kleines Mysterium auf, und wenn sich so etwas visuell widerspiegelt, dann ist das für mich Kino in Höchstform.

Gibt es auch Disney-Filme, die einen großen Einfluss auf «Baymax – Riesiges Robowabohu» hatten?
Nicht direkt, «Baymax – Riesiges Robowabohu» ähnelt aber den großen Disney-Klassikern insofern, als dass er viel Herz hat. Wenn wir einen Film verwirklichen, denken wir nicht: „Oh, lasst ihn uns wie «101 Dalmatiner» machen!“ Was aber vielleicht passiert ist, dass wir visuelle Überlegungen anstellen und wiederentdecken, dass «101 Dalmatiner» einen bemerkenswerten Look hat. Dennoch suchen wir stets nach einer Handlung, die alleine stehen kann und die unverbraucht wirkt. Das ist etwas, bei dem uns [unser Chief Creative Officer] John Lasseter sehr geholfen hat. Für mich sind die Disney-Studios am besten, wenn sie neue, aufregende Figuren entwickeln. Und ich denke, dass uns das mit «Baymax – Riesiges Robowabohu» gelungen ist.

Können Sie mir zum Abschluss etwas über «Moana» verraten, den neuen Film ihrer alten Weggefährten John Musker und Ron Clements?
Das würde ich sehr gerne, aber ich kann Ihnen deshalb nichts über «Moana» sagen, weil ich zu sehr mit der Produktion unseres eigenen Films beschäftigt war. [lacht] Ron und John haben in den Studios eine Vorführung ihrer Storyreel abgehalten, kurz bevor ich nach Deutschland geflogen bin, und weil ich meine Präsentation von «Baymax – Riesiges Robowabohu» vorbereitet habe, hatte ich nicht die Gelegenheit, das Screening zu besuchen. Unsere Regisseure Don Hall und Chris Williams dagegen konnten hingehen und sie waren sehr begeistert. Sie meinten, dass wir mit einigen sehr packenden Dingen zu rechnen haben, mehr weiß ich leider nicht.

Mr. Conli, herzlichen Dank für das spannende Gespräch und noch viel Erfolg mit «Baymax – Riesiges Robowabohu».

«Baymax – Riesiges Robowabohu» startet am 22. Januar 2015 in den deutschen Kinos.

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