First Look

If it ain't broke...

von

Die neue FOX-Serie «Gracepoint» baut ihr britisches Original «Broadchurch» nahezu minutiös nach – und gefällt durch starke Hauptdarsteller und eine bedrückende Inszenierung.

Gracepoint, Kalifornien: Eine amerikanische Kleinstadt am Pazifik, nicht weit entfernt von der Grenze zu Oregon. Die Holzhäuser mögen nicht sonderlich stabil wirken, sind aber hübsch gestrichen und von innen sehr wohnlich. In ein paar Minuten ist man am Strand und genießt auf den Klippen auch zu den kälteren Jahreszeiten eine herrliche Aussicht. Im Schaukasten vor der Kirche sind Bibelzitate ausgehängt, die Menschen sind zumeist freundlich und höflich, die Kriminalitätsrate liegt nahe bei null.

In diesem wunderschönen Ort geschieht nun das Unfassbare: Der zwölfjährige Junge Danny wird eines Morgens tot am Meer aufgefunden. Untersucht wird der Fall von Detective Emmett Carver, der erst eine Woche zuvor in das Städtchen versetzt worden war und seine Kollegin Ellie Miller um ihre Beförderung brachte.

Schnell stellt sich heraus, dass Danny weder Suizid begangen hat, noch Opfer eines Unfalls wurde: Jemand hat ihn ermordet. Etwas, das in Gracepoint noch gestern undenkbar gewesen wäre, ist mit einem Schlag eingetreten. Irgendwo da draußen läuft ein gefährlicher Typ rum. Das führt zu allerlei schwierigen Fragen: Ist das ein Serientäter? Sind die anderen Kinder der Stadt in Gefahr? Und wer aus dieser beschaulichen seaside town ist zu sowas überhaupt fähig?

Fragen, die in jedem Ort auftreten, in dem etwas Grässliches passiert ist. Gerade in den ruhigen, beschaulichen. Schon durch die Wahl der Jahreszeit – Spätherbst oder früher Winter – lässt sich erkennen, dass «Gracepoint» neben der Darstellung des Pittoresken auch das Raue, für Außenstehende zunächst Befremdliche an solchen Städtchen inszenieren will, wo sich der Wahnsinn hinter den adretten Fassaden abspielt.

Die Kamera bleibt derweil immer dicht bei den Figuren. Das Drehbuch sowieso: Die schockierten Polizisten, die sonst eher mit Bagatelldelikten beschäftigt sind, und es nun mit einem Kindermord zu tun haben. Die traumatisierte Familie, die – in sehr intensiv geschriebenen wie inszenierten Szenen – die größte Katastrophe durchmachen muss. Der ambitionierte Reporter, der journalistische Ethik zugunsten des schnellen Scoops über Bord wirft, seinen Fehler aber vielleicht noch einsehen wird.

In «Gracepoint» findet man trotz zahlreicher Sympathieträger nur wenig Wärme, wenig Erfreuliches. Das ist nicht nur der dramatischen Ausgangssituation zuzuschreiben, sondern auch der konsequenten Inszenierung, die großen Wert auf Authentizität und räumliche wie emotionale Nähe zu den Figuren legt. FOX zeigt mit dieser Serie keine Angst vor Abgründen und Düsterkeit.

Meistens zumindest.

Denn hin und wieder verrennt man sich in Überinszenierungen, in fast schon klischeehaften Slowmotions, etwa wenn die Mutter eher theatralisch als authentisch zur Leiche ihres Sohnes rennt. Das wirkt unnötig billig und nimmt ein wenig von der Tragik, der man ansonsten eigentlich nicht aus dem Weg gehen will. Doch das sind kleine Schwachpunkte in einem Gesamtkontext, der ansonsten ausgesprochen gut funktioniert. Eine spannende, für Network-Verhältnisse ziemlich düstere Atmosphäre, nahbare und interessante Charaktere und hervorragende Darsteller machen aus «Gracepoint» einen der gelungensten Neustarts der neuen Season.

Alles andere hätte auch überrascht. Schließlich ist «Gracepoint» ein Remake der englischen Serie «Broadchurch» – und die traf nicht nur in der angelsächsischen Welt einhellig auf ein sehr positives Kritikerecho. Wer das britische Original kennt, dem wird freilich die Spannung fehlen. Denn da das amerikanische Format weniger eine Adaption als eine Nacherzählung zu sein scheint, dürfte sich am Schluss die gleiche Auflösung einstellen wie im UK. Dass man mit David Tennent gleich den britischen Hauptdarsteller miteingekauft hat, verstärkt den Eindruck, dass FOX sein Risiko minimieren und einen bereits existierenden Hit nachbauen wollte. Wenn der so gut wie «Broadchurch» ist, ist daran auch wenig auszusetzen.

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