First Look

Amazon-Hit «Transparent»: 'Kinder, wir müssen reden...'

von   |  1 Kommentar

Die Amazon-Serie «Transparent» startet in Deutschland. Warum das Format um das Outing eines transsexuellen Vaters in den USA für so viel Aufsehen sorgte.

Facts zur Serie

  • Genre: Comedy/Drama
  • Showrunner: Jill Soloway
  • Darsteller: Jeffrey Tambor, Gaby Hoffmann, Jay Duplass, Amy Landecker, Judith Light u.v.m.
  • Episodenzahl: 10 (eine Staffel)
  • Producer: Victor Hsu
  • Locations: Los Angeles
  • Laufzeit: 28-30 Minuten
  • ab dem 10. April bei Amazon Prime Instant Video in Deutschland abrufbar
Liest man dieser Tage von der Vielzahl an Piloten von Amazon, geht es stets darum, wie der Streaming-Dienst versucht zum großen Konkurrenten Netflix aufzuschließen. Anders bei «Transparent»: Die Serie um einen Familienvater, der im Rentenalter beschließt, seine Transsexualität nicht länger hinter verschlossenen Türen ausleben zu wollen, war für Amazon ein Format, das mit seiner immensen Qualität die gegenwärtige Serienlandschaft prägte, anstatt nur als weiterer Versuch von Amazon zu gelten, gegenüber Netflix die Muskeln spielen zu lassen.

Mit «Transparent» schickte Amazon nicht einen sicheren Hit in Serie, sondern ein anspruchsvolles Format, das eher auf den Pfaden von HBO wandelt. Für eine gesteigerte Qualität und dem Fokus auf ein schwieriges Thema machte Amazon Abstriche in Sachen Zuschauerzahlen und emanzipierte sich als Streaming-Dienst durch diese Entscheidung ein Stück weit. Für diesen Schritt wurde das Format zuletzt mit zwei Golden Globes belohnt. Wenn es nach Amazon geht, soll «Transparent» nun auch zur Veröffentlichung der deutschen Fassung am 10. April ähnliche Wellen schlagen.

«Transparent» erzählt die Geschichte von Mort Pfefferman, verkörpert von Jeffrey Tambor («Arrested Devlopment»), der für seine Darstellung einen Golden Globe erhielt und mit seinem grandiosen Spiel den Ton der Serie angibt. Mort fällt die schwere Entscheidung, seinen Kindern etwas Wichtiges mitzuteilen: Schon seit seinem fünften Lebensjahr fühlt er sich im falschen Körper, trug als Erwachsener an seinem Arbeitsplatz heimlich Lippenstift auf und schlüpfte in Frauenkleider, ohne den Mut, es der Welt mitzuteilen. Nachdem es Mort erneut nicht übers Herz brachte, seinen Kindern die Wahrheit mitzuteilen, obwohl er sie extra dafür in sein Haus einlud, sucht er seine drei Sprösslinge einzeln auf, um sich ihnen als Maura vorzustellen.

Die Transformation führt bei seinen Kindern zu den unterschiedlichsten Reaktionen zwischen Gelächter und anfänglichem Schock, vor allem löst der Mut des Vaters, in hohem Alter noch so eine gravierende Entscheidung zu treffen, auch Sinnkrisen bei seinen Kindern aus, die sich alle auf verschiedene Arten auf einer Identitätssuche befinden. Die älteste Tochter Sarah (Amy Landecker) eine verheiratete, zweifache Mutter, will aus ihrer kriselnden Ehe entfliehen und lässt sich wieder auf eine Beziehung mit ihrer Ex-Freundin aus College-Zeiten ein. Sohn Josh (Jay Duplass) arbeitet in der Musik-Industrie und ist in eine seiner Künstlerinnen verliebt, während er versucht ein Geheimnis aus seiner Kindheit geheim zu halten, das ihn bis in die Gegenwart verfolgt. Die jüngere Tochter Ali verfügt über eine außergewöhnliche Intelligenz, ohne zu wissen, wo sie mit ihrem Leben hin will. Ihr Intellekt wird einem handelsüblichen Job nicht gerecht, sie leidet unter Depressionen und hat starke Bindungsängste.

Die drastische Entscheidung des Vaters lässt eine bittersüße Geschichte ihren Lauf nehmen, die sowohl liebenswürdig und komisch als auch schockierend anmutet. Die pikante Situation und die Bedeutung, die sie nicht nur für das Leben von Mort/Maura, sondern auch für dessen/deren Kinder hat, wird in einer ausschlaggebenden Szene deutlich, deren Nuanciertheit die unterschiedlichen Gefühle, die dieser Schritt bei den Familienmitgliedern induziert, brillant einfängt. Maura, die gerade nachdem sie es nicht übers Herz brachte, ihre Kinder beim Familien-Essen aufzuklären, einen Plan schmiedet, wie sie es am besten anstellt und neue Zuversicht gewinnt, erwischt in ihrem Haus Tochter Sarah, die sich dort heimlich ihren Gefühlen zu Ex-Liebe Tammy (Melora Hardin) hingibt, in flagranti. Die Szene funktioniert auf ganz unterschiedliche Arten und Weisen.


Durch Jeffrey Tambor, dessen zwiegespaltener Figur im Aufeinandertreffen klar wird, dass sie doch noch nicht bereit ist, sich diesbezüglich mitzuteilen, wird in diesem Moment ins kalte Wasser geworfen wird. Durch Tammy, die durch ihre Homosexualität selbst sehr weltoffen ist, die Begegnung antizipiert und Maura für ihren „Look“ beglückwunscht , gleich als Frau anstatt als Mann anspricht und damit sinnbildlich dafür steht, wie Maura sich den Umgang seiner Mitmenschen mit ihr wünscht. Am deutlichsten jedoch durch die Reaktion Sarahs, die von ihrem Vater bei einer Aktion erwischt wird, die ihre gesamte Ehe in Gefahr bringen könnte und deren Beziehung zu ihrem Vater nach knapp 40 Jahren durch dessen neues Erscheinungsbild komplett in Frage gestellt wird. Dementsprechend reagiert Sarah auch: Sie versucht ihrem Schock mit Humor zu begegnen und souverän sowie scherzhaft zu fragen, ob sich ihr Vater nun jeden Tag so verkleiden möchte, was angesichts ihrer Mimik klar misslingt. „Mein ganzes Leben habe ich mich als MANN verkleidet. Das bin ich.“, klärt der Vater seine Tochter auf, während das Gewicht und die Bedeutung der Worte an dessen Frosch im Hals mehr als deutlich werden. Bravo!

Was Jill Soloway («Six Feet Under») schuf, ist jedoch keinesfalls ein Format für jedermann. Die Dramedy-Serie, die auf unterschiedliche Zuschauergruppen vermutlich ganz anders wirkt, beschäftigt sich mit einem sensiblen Thema, das vermutlich nicht jedem Zuschauer unmittelbar zugänglich ist oder einen Anreiz darstellt, sich damit auseinanderzusetzen. Sicherlich hängt die Faszination der ausgezeichnet geschriebenen Charaktere davon ab, ob der Zuschauer seine Lebenssituation auch auf die der Protagonisten beziehen kann. Letztere sehen sich mit verschiedenen, individuellen Lebensabschnitten konfrontiert, die jedoch sicherlich viele Otto-Normalbürger bereits durchlebten. Letztlich dreht sich die Serie jedoch um Maura, einen einzigartig konstruierten Charakter, der sich, nun wo er sein richtiges Selbst zu Tage treten lässt, mit den überwältigenden und alles verändernden Reaktionen seiner Umwelt konfrontiert sieht. Eben diesen Reaktionen versucht er mit Einsicht und bitterem Witz zu begegnen.

Trotz seines hohen Alters agiert Jeffrey Tambor in seiner vielleicht prägendsten Rolle, nachdem er es bereits zuvor verstand, Fernsehformaten seinen Stempel aufzudrücken. Nie hat man Tambor jedoch in einer so vielschichtigen Performance gesehen, dessen Körpersprache als Maura allein schon mehr sagt, als es tausend Worte im Dialog könnten. «Transparent» überzeugt durch seine Melancholie, seinen bittersüßen Humor und besonders durch seine Reife, mit einem sensiblen Thema umzugehen. Nicht wenige Personen attestieren Showrunnerin Soloway das Potenzial, den Blick der Gesellschaft auf Transsexualität zu verändern.

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
KimSchicklang
13.04.2015 11:41 Uhr 1
Warum transsexuelle Menschen immer wieder erklären müssen, dass solche Filme zwar irgendetwas darstellen, aber nicht Transsexualität, ist ziemlich ärgerlich. Wenn eine Frau als Mädchen mit vermännlichten Körpermerkmalen geboren wird, dann ist dieses Mädchen ein transsexuelles Mädchen. Es gehört zur medialen Transsexuellenfeindlichkeit aus diesem Mädchen nun - weil seine Körpermerkmale nicht der Norm entsprechen - einen Jungen zu machen, der sich "wie ein Mädchen fühlt" oder "zur Frau" wird.



Wer eine transsexuelle Frau mit einem Mann besetzt und so tut, als ob es hier darum ginge, dass dieser sich dazu entscheiden würde "als Frau zu leben", der erzählt die Geschichte eines Mannes und nicht einer Frau. Da transsexuelle Frauen aber Frauen sind, die mit für diese Gesellschaft als unpassend erachteten Körpermerkmalen geboren werden, ist die Serie dann transsexuellenfeindlich, wenn sie in Anspruch nimmt, Transsexualität darzustellen. Das tut die Serie nämlich nicht.



Aber wir machen eben sehr transsexuellenfeindliche Zeiten durch, in der sich Person X mit Person Y gerne über das Thema unterhalten will - was dabei vergessen wird, dass transsexuelle Menschen daneben stehen und nur mit dem Kopf schütteln, was sich die Menschen da für Märchen erzählen.
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