«Popstars»-Historie
- Zehn Staffeln zwischen 2000 und 2012
- Erst ab 2003 (S3) zeigte ProSieben die Show, zuvor bereits RTL II
- Detlef D! Soost war stets dabei - in den ersten vier Staffeln aber vornehmlich als Coach
- Die drei letzten Siegerbands (Some & Any, LaVive, Melouria) erreichten kein einziges Mal die Top Ten der deutschen Singlecharts
- Sämtliche elf (in Staffel drei gab es zwei) Siegerbands sind mittlerweile aufgelöst
Die Sendung versucht nämlich neuerdings, mit genau jenen Merkmalen zu punkten, die im kollektiven Gedächtnis wohl so ziemlich die letzten wären, die im Kontext mit dem Format genannt worden wären: Seriosität, Authentizität, Leistungsorientierung statt Schicksalsinszenierung und tonale Zurückhaltung. Dafür steht zwar die neue Jury mit Stefanie Heinzmann, Miss Platnum sowie der wenig bekannten Musicaldarstellerin und Choreografin Bella Garcia - aber eben weder «Popstars» noch der Sender RTL II, weshalb die Konsequenz durchaus erstaunt, mit der man sich von der Vergangenheit abgrenzt. Das geht sogar so weit, dass die Jurorinnen an einigen Stellen relativ unverblümt ihre ablehnende Haltung gegenüber der Casting-Show kundtun. Doch es stellt den Zuschauer auch vor die Frage: Wieso lassen sie sich überhaupt auf dieses Projekt ein? Und wieso reaktiviert ein Sender eine ohnehin eher als anachronistisch daherkommendes TV-Schmuddelkind wahrgenommene Sendung, wenn deren Umsetzung so arg von der Vergangenheit divergiert?
Zwischen dem Respekt dafür, seriösere, angenehmere Unterhaltung anbieten zu wollen und dem Unverständnis für Ort und Titel dessen changiert der Zuschauer einige Male in der gut zweistündigen Ausstrahlung. Das Grundprinzip immerhin, eine Mädchenband durch Gesangs- und Tanzperformances zusammenzustellen, behält «Popstars» im Jahr 2015 bei. Erster Schritt zu diesem Ziel hin ist die Aufnahme in die "Popstars-Akademie", welche am Ende der Folge nur 18 von 27 ausgewählten Teilnehmerinnen vergönnt sein wird. Das Herzstück der Auftaktepisode ist ohne Frage die "Audition", die brutto über anderthalb Stunden in Beschlag nimmt, bevor der tänzerische Part relativ mickrig in rund zehn Minuten abgehandelt wird.
Das Abgrenzungsbestreben vom altbekannten «Popstars» offenbart sich schon durch die Aufmachung des "Audition"-Saals deutlich. Der ist nämlich äußerst sparsam ausgestattet und beleuchtet, womit er den etwas eigenwilligen Charme eines abgedunkelten Theatersaals bekommt, in dem gerade geprobt wird. Kann man mögen, kann man etwas trist finden, passend zum Grundton der Folge ist dieser Schauplatz aber in jedem Fall. Die Jury kommt bei aller löblichen Sachlichkeit nämlich auch ein wenig unterkühlt daher, der Produktion gelingt es kaum, Spannungsmomente zu kreieren. Feedback für die Teilnehmerinnen ist oft genug nicht direkt an sie gerichtet, sondern im anschließenden Jury-Gespräch oder in Einzel-Statements fernab des Saals zu sehen. Das jedoch ist immerhin durchgehend sachlicher und konstruktiver Natur und gleitet nur selten in den inhaltsleeren "da stimmt das Gesamtpaket (nicht)"-Duktus ab, der sich im Zuge der Castingschwemme längst verselbständigt hat.
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Inhaltlich wenig bereichernd sind die ersten Eindrücke von Bianca Heinicke, die vor allem jungen Zuschauerinnen aufgrund ihrer diversen YouTube-Schmikvideos ("Bibis Beauty Palace") bekannt sein dürfte und hier einen Kurzauftritt als Backstage-Reporterin hat. Zwar schlendert sie darin nur monologisierend durch die Räume der "Popstars-Akademie" und führt ein mäßig ambitioniertes Interview mit einer Kandidatin, doch bei Twitter gibt es daraufhin kein Halten mehr: Innerhalb weniger Minuten avanciert "#BibibeiPopstars" zum Trending Topic Nummer eins in Deutschland und kreiert damit den größten Hype der ersten Folge. Es ist allerdings auch so ziemlich der einzige offensichtliche Versuch, sich dem jungen Publikum anzubiedern.
Alles in allem ist «Popstars» erstaunlich seriös geraten und hat sich von hysterisch keifenden Choreografen ebenso getrennt wie von der Fokussierung auf dramatisch inszenierte Zickenkriege. Das Gesangsniveau der Mädels ist durchaus beachtlich, die Jury kommt sympathisch daher, wenn auch im Falle von Miss Platnum mitunter auch ein wenig unnahbar. So spektakulär wie «The Voice» ist jedoch weder die Qualität der eventuellen Staraspirantinnen noch die Aufmachung der Sendung, sodass man sich so ein wenig fragt, welches Alleinstellungsmerkmal das Format überhaupt hat. Man könnte die Suche nach Bands oder die Mixtur aus Gesang und Tanz nennen, doch ob das reicht? Auffällig oft kommt dem Rezipienten bei der Betrachtung der Sendung das Wort "nett" in den Sinn, was für das kommerziell orientierte Privatfernsehen so ziemlich das Schreckgespenst überhaupt ist. Man darf sehr gespannt sein, ob die neue Nettigkeit ein tot geglaubtes Franchise wiederbeleben kann oder «Popstars» schon sehr bald wieder in die Bedeutungslosigkeit der vergangenen Jahre zurückkehren wird. Wer noch nicht ganz von den Irrungen und Wirrungen des Massenfernsehens abgestumpft ist, darf jedoch die Däumchen drücken - gerade, wenn er versehentlich zu spät die Fernbedienung gefunden hat und noch die ersten Sekunden von «Kay One» im Anschluss mitbekam.
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