Filmfacts «Deadpool»
- Regie: Tim Miller
- Produktion: Lauren Shuler Donner, Simon Kinberg, Ryan Reynolds
- Drehbuch: Paul Wernick, Rhett Reese; basierend auf der von Fabian Nicieza und Rob Liefeld kreierten Comicfigur
- Darsteller: Ryan Reynolds, Morena Baccarin, Ed Skrein, T. J. Miller, Gina Carano, Brianna Hildebrand, Stefan Kapičić
- Musik: Junkie XL
- Kamera: Ken Seng
- Schnitt: Julian Clarke
- Laufzeit: 108 Minuten
- FSK: ab 16 Jahren
Nach jahrelangem Bangen hat «Deadpool» aber eine Form angenommen, die der frechen Titelfigur durchaus gebührt. Dazu benötigte es nur stete Nachfragen der Fans, eine euphorische Reaktion auf (kalkuliert?) geleaktes Testmaterial sowie einen Hauptdarsteller, der das Studio unermüdlich darum angebettelt hat, den Film machen zu dürfen, ohne Deadpools Kernigkeit auf dem Altar der Familientauglichkeit opfern zu müssen. Dieses feurige Engagement, das Ryan Reynolds hinter den Kulissen gezeigt hat, beweist der «Green Lantern»-Hauptdarsteller auch vor der Kamera. Somit ist Reynolds unmissverständlich der wertvollste Aspekt dieses pointenreichen Actionfilms. Denn der Charme und Witz des Mimen helfen dabei, die kleineren Makel zu mildern, die «Deadpool» leider Abzüge in der B-Note geben.
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Einst war Deadpool lediglich der Auftragsrüpel Wade Wilson, der es gegen ein Entgelt mit jedem aufgenommen hat, der in den Augen seiner Auftraggeber einen Denkzettel verdient. Eines Abends verknallt sich der attraktive Einzelgänger in Vanessa («Homeland»-Mimin Morena Baccarin), ihres Zeichens eine Dame der Nacht. Wade und Vanessa teilen einander eine dunkle Vergangenheit und einen gigantischen Appetit auf Sex – und verlieben sich daher. Das Glück nimmt ein jähes Ende, als Wade praktisch überall in seinem Körper Krebs bekommt, wo man Krebs bekommen kann. Also unterzieht er sich einer brutalen Behandlung, die ihn mutieren lässt – und unfassbar hässlich macht …
Das Wechselspiel zwischen Rückblenden und Gegenwart, das die Autoren Paul Wernick & Rhett Reese («Zombieland») abhalten, führt bedauerlicherweise vor, wie sehr sich «Deadpool» verheddert: Einerseits bemüht sich der Film redlich, Genrekonventionen auf den Kopf zu stellen. Von der moralisch korrumpierten Titelfigur hin zu launigen Kommentaren über Produktionskosten und dem akzentuierten Einsatz von Hintergrundmusik: Der irre Deadpool teilt wiederholt gut sitzende Seitenhiebe aus (was etwa in einen saukomischen Vorspann mündet) und auch die eigenwillige Erzählstruktur lässt sich als anarchischer Einfall verstehen. Andererseits vermeiden Wernick und Reese trotzdem nicht die genretypischen Expositionsdialoge und halten sich zudem damit zurück, die alltägliche Erzählstruktur völlig auszuhebeln: Irgendwann verlassen wir dann doch noch die Schnellstraße und die Rückblenden nehmen ebenfalls ein Ende ...
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Auch wenn «Deadpool» nicht ganz so rücksichtslos, knallhart und durchgeknallt ist, wie es die Figur ermöglicht hätte, so versprüht der launige, kecke Film ganz klar das Flair des wilden Comicstars und weiß auch ohne Tabubrüche zu unterhalten. Reynolds hat ein begnadetes komödiantisches Timing, bringt aber obendrein die wenigen dramatischen Momente überzeugend rüber: Wenn Wade etwa nach seiner Krebsdiagnose in einer Rückblende seine Geliebte mit einem Witz zu beruhigen versucht, dann vermitteln Reynolds' gesenkter Blick und seine brüchige Stimme, dass seine Figur längst nicht so emotionslos ist, wie sie sich gibt. Diese und ähnliche Szenen sorgen dafür, dass «Deadpool» nicht bloß eine kernige, wilde Superhelden-Actionkomödie darstellt, sondern auch Spannung entwickelt – denn die abgedrehte Titelfigur ist eine, mit der man mitleiden kann.
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Regienovize Tim Miller, der zuvor unter anderem den Vorspann von David Finchers «Verblendung» verantwortete, liefert somit einen spaßigen, außergewöhnlichen Superheldenfilm als sein Debüt ab. Die Inszenierung erfolgt in den flotten Actionpassagen zwar zielgerichteter als der Bruch mit den Genrekonventionen, ein härterer Director’s Cut ist aber bereits im Gespräch und vielleicht ist «Deadpool» auch erfolgreich genug für ein mutigeres Sequel. Zu gönnen wäre es dem „Merc with a Mouth“, wenn er nach einem guten Solofilm auch einen Kracher erhält.
Fazit: «Deadpool» bleibt hinter seinen Möglichkeiten in Sachen sadistisch-spaßiger Gewalt und kesser Meta-Spielchen zurück. Dennoch sorgen der frech-flotte Humor und Ryan Reynolds‘ Performance für rund 100 launige Kinominuten, die weniger verbale Zurückhaltung kennen, als normale Superheldenfilme.
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