Sonntagsfragen

'Es gibt bei Disney keine Zensur-Hürde'

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Quotenmeter.de hat die «Zoomania»-Regisseure Byron Howard und Rich Moore sowie den Disney-Produzenten Clark Spencer zum Roundtable-Interview getroffen. Es entstand ein Gespräch über Risiken, Inspiration und den schwindenden Unterschied zwischen Disney und Pixar.

Über Byron Howard, Rich Moore und Clark Spencer

Byron Howard war bei Disney viele Jahre lang als Zeichentrick- und Computertrick-Animator tätig. 2008 inszenierte er mit Chris Williams «Bolt – Ein Hund für alle Fälle», danach führte er mit Nathan Greno Regie bei «Rapunzel – Neu verföhnt». Rich Moore gehörte zu den frühen Regisseuren bei den «Simpsons» und wechselte später zu «Futurama». Mit «Ralph reicht's» feierte er sein Debüt bei Disney. Clark Spencer war früher Geschäftsmann und leitet eine Zeit lang die finanziellen Geschicke der Walt Disney Animation Studios. Mit «Lilo & Stitch» wechselte Spencer ins Metier der Filmproduktion.
Die Faultierszene ist einer der ganz großen Kracher in «Zoomania». Der Trailer, der Ausschnitte aus ihr zeigt, bringt immer den ganzen Saal zum Lachen. War die Konzeption dieser Szene ein schwieriger Prozess, wurde sie etwa im Laufe der Produktion kürzer, um den Film nicht zu sehr auszubremsen?
Rich Moore (großes Foto, untere Reihe, links): Nein, im Gegenteil. Wir haben sie immer länger gemacht. Die Entstehung dieser Szene war im Grunde wie der Große Knall im Rahmen der Filmproduktion. Es ging sehr schnell und plötzlich war was Großes da. (lacht) Ich glaube, am Konzept der Szene saßen wir nur einen Tag. Wir haben sie dann John Lasseter gezeigt, der die Idee von Faultieren, die bei der Zulassungbehörde arbeiten, urkomisch fand. Dann haben wir die einzelnen Pointen innerhalb der Szene gemeinsam mit John ausgetüftelt. Ab dann begann dieser mühselige Prozess, den ich immer mit der Arbeit eines Schäfers vergleiche: Du hast deine Herde an Ideen, und musst sie durch jede einzelne Phase der Produktion geleiten, ohne dass eine verloren geht. Du hoffst, dass die Elemente deines Konzepts immer besser werden, und nicht etwa ein kreativer Funke zurückbleibt. Und bei der Faultierszene war es so, dass ich bei jeder Etappe die Befürchtung hatte, dass nun das Timing nicht mehr funktionieren würde. Im Animationsprozess haben wir dann festgestellt, dass die Pausen, die wir im Storyboard gelassen haben, nicht lang genug sind. Also wurde die Szene länger und länger, bis wir dachten: „Oh nein, jetzt ist sie zu lang!“ Doch dann haben wir sie unserer Crew vorgeführt und kurz darauf auf dem Annecy International Animation Film Festival. Da haben wir festgestellt, dass sie einschlägt wie eine Bombe! Die Leute sind durchgedreht vor lachen! Byron und ich, wir haben uns da nur verdutzt angeblickt: „Oh nein, was haben wir da nur erschaffen?!“ (lacht)

Um mit einer Detailfrage weiterzumachen: Es gibt in «Zoomania» einen sehr schönen Gag, wenn der Fuchs Nick Wilde das Fell auf dem Kopf eines Schafs berühren möchte. Wie kam der zustande?
Rich Moore: Ich erinnere mich nur noch, wie bei dem Gag jemand meinte: „Das können wir nicht machen! Das ist zu brisant!“ Einige Leute mögen es einfach nicht, wenn ihr Haar angetatscht wird … (lacht)

Byron Howard (untere Reihe, Mitte): Es ist manchmal wirklich schwer, zu rekonstruieren, wo eine Idee herkommt. Denn vieles entsteht, während eine Gruppe von Künstlern zusammensitzt und Vorschläge in den Raum wirft. Oft sagt jemand etwas, und löst damit eine Lawine an Reaktionen und Ideen aus, die darauf basieren. Und die meisten Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, gehören nicht zu dem Menschenschlag, der Ideen für sich beansprucht.

Rich Moore: Genau. Es kommt sehr, sehr selten vor, dass jemand darauf pocht, dass es ja seine Idee war.

Byron Howard: Es gibt dieses allgemeine Verständnis, dass alle Ideen sofort dem ganzen Filmteam gehören.

Clark Spencer (untere Reihe, rechts): Und hinzu kommt, dass wir viel testen. Wir nehmen unsere Filme und zeigen sie vorab einem Publikum, um festzustellen, welche Ideen aufgehen, und was die Zuschauer als organisch zur im Film entworfenen Welt verstehen – oder was sie eben nicht akzeptieren. Das ist ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit, dass wir aus unseren Büros rausgehen und mit Leuten von außen sprechen: Sind wir zu weit gegangen, ist es genau richtig, können wir uns noch etwas weiter aus dem Fenster lehnen ..?

Ich glaube, wir haben alle dieses gemeinsame Verständnis, dass wir zwar den erwachsenen Kinogängern sehr viel Spaß bereiten wollen und auch für uns selbst gewisse Dinge einstreuen, letzten Endes aber einen Film machen möchten, der jedem gefällt. Und das bedeutet, dass unsere Filme auch für Kinder geeignet sind. Ich denke, wir haben einfach nicht diesen Drang dazu, richtig unerhörte Dinge zu machen, weil wir so schon sehr viel Spaß mit der von uns erschaffenen Welt haben. Ich mag den Gedanken, dass der Film intelligent und kernig ist, und dass in ihm Referenzen sind, die nur Erwachsene verstehen, ohne dass es Kinder gleich verprellt.
«Zoomania»-Regisseur Byron Howard
Gab es Szenen, Figuren oder Gags, bei denen es Ihnen schwer fiel, diese der Disney-Geschäftsführung schmackhaft zu machen?
Byron Howard: Interessanterweise gibt es bei Disney keine Zensur-Hürde, die wir als Filmemacher nehmen müssten. Wir überwachen uns gewissermaßen selber, indem wir kritisch unsere eigenen Filme begutachten. Und ich glaube, wir haben alle dieses gemeinsame Verständnis, dass wir zwar den erwachsenen Kinogängern sehr viel Spaß bereiten wollen und auch für uns selbst gewisse Dinge einstreuen, letzten Endes aber einen Film machen möchten, der jedem gefällt. Und das bedeutet, dass unsere Filme auch für Kinder geeignet sind. Ich denke, wir haben einfach nicht diesen Drang dazu, richtig unerhörte Dinge zu machen, weil wir so schon sehr viel Spaß mit der von uns erschaffenen Welt haben. Ich mag den Gedanken, dass der Film intelligent und kernig ist, und dass in ihm Referenzen sind, die nur Erwachsene verstehen, ohne dass es Kinder gleich verprellt. Die «Breaking Bad»-Anspielungen zählen dazu, und auch die Hommage an «Der Pate». Es ist faszinierend, sich «Zoomania» mit einem großen Publikum anzuschauen und darauf zu achten, wann welche Altersklasse wie stark lacht. Bei der «Pate»-Sache etwa haben bei der Premiere alle über 30 herzlich gelacht, während die Kleinen wohl nur dachten: „Ach, guck mal. Eine kleine Spitzmaus.“

Rich Moore: Oft kommen Leute wegen der Nudisten-Club-Szene auf uns zu und fragen: „Wie habt ihr das nur durchgekriegt, so viel Nacktheit darzustellen? Habt ihr nicht Riesenärger mit Bob Iger oder Alan Horn bekommen?“ Dabei hat sich nie irgendjemand über die Szene beschwert. Es haben immer alle gelacht, weil sie verstanden haben, welchen psychologischen Trick wir mit der Szene vollführen: Wir packen sprechende Disney-Tiere in Kleidung, und wenn wir sie wieder wegnehmen, ist es auf einmal gewagt. Und darauf lenken wir die Aufmerksamkeit der Zuschauer: Würden wir diese Figuren aus dem Nudisten-Club in jedem anderen Animationsfilm über sprechende Tiere zeigen, wäre es jedem vollkommen egal. Aber weil sie in diesem Film auftauchen, wo alle anderen Tiere bekleidet sind, und wir betonen, dass Nacktsein in der Welt von «Zoomania» was Besonderes ist, tun alle geschockt: „Wie könnt ihr nur?“ (lacht)

Gab es während des «Zoomania»-Recherchetrips nach Kenia besonders einschneidende Momente, die den Film beeinflusst haben?
Byron Howard: Als ich aus dem Flugzeug ausgestiegen bin, hatte ich noch überhaupt keine Ahnung, was mich in Afrika erwartet. Aber mir wurde sofort klar, dass dort eine ungewöhnliche Friedfertigkeit in der Luft lag. Wir waren in einem Gebiet, meilenweit entfernt vom menschlichen Einfluss, und wir haben uns Tiere angesehen, die noch immer so leben, wie sie vor Tausenden von Jahren gelebt haben. Und wir haben unser Lager wenige Meter neben einem Wasserloch aufgeschlagen, wo wir sehr interessante Bilder zu sehen bekommen haben: Es kam immer wieder vor, dass etwa ein Zebra ans Wasserloch kam, und sich dann kurze Zeit später ein paar Meter daneben ein Löwe dazugesellt hat. Und wir dachten: „Äh? Muss der Löwe das Zebra denn jetzt nicht anfallen?“ Und dann haben die sich gelangweilt angeguckt und sind getrennter Wege gegangen! (lacht)

Rich Moore: Du dummer Löwe, dir wurde dein Essen auf dem Silbertablett serviert!

Byron Howard: Wir haben da die Beobachtung gemacht, dass Wasserlöcher viel von Städten haben. Städte sind Orte, wo völlig unterschiedliche Leute zusammenkommen, ihr Tagwerk verrichten und irgendwie miteinander klarkommen müssen. Und dabei gibt es einen gewissen Grundrespekt, den man einander zollt. Also dachten wir uns: Beutetiere und Jagdtiere kommen sicher nicht immer miteinander klar, sie haben sicher einander Vorurteile, doch es wird wohl soziale Regeln geben, die ihnen dabei helfen, trotzdem nebeneinander und miteinander zu leben. Darauf haben wir den Film aufgebaut.

Rich Moore: Und am Ende kam raus: Der Löwe war einfach satt! (lacht)

Clark Spencer: Das Tolle am Trip war, dass er nicht nur das Storyteam vorangebracht hat, sondern auch die Animatoren. Die haben zu diesem Zeitpunkt bereits seit sechs Monaten recherchiert, aber nun hatten sie die Gelegenheit, zwei Wochen lang von Tieren umgeben zu verbringen. Diese Erfahrung hat ihnen klar gemacht, dass sie sich noch nicht genug angestrengt hatten, dafür zu sorgen, dass die Tiere auch wie Tiere wirken. John Lasseter hat immer gesagt: „Ich will nicht, dass es nur Menschen in Tierkostümen sind. Sie müssen individuelle Eigenschaften haben, die sie als Tiere ausmachen.“ Ein Beispiel dafür ist der Elefanten-Eisverkäufer in «Zoomania»: Da die Tiere in unserem Film auf zwei Beinen laufen, könnte der Elefant rein theoretisch seine beiden anderen Beine als Arme benutzen. Wir wollten aber, dass unsere Tiere viel von dem haben, was sie in der Wildnis ausmacht, und echte Elefanten nutzen ihren Rüssel als Arm. Also haben unsere Animatoren beschlossen, den Elefanten-Eisverkäufer mit seinem Rüssel die Eiskugeln machen zu lassen. Das scheint zwar offensichtlich, aber erst dieser zweiwöchige Trip hat klar gemacht, dass es nicht anders geht! Das ist eine Lektion, die uns John Lasseter gelehrt hat: Man kann sich immer einreden, etwas zu wissen, man kann immer etwas im Netz nachschlagen oder einen Experten ins Studio einladen, der uns Sachen erklärt. Und das machen wir auch, aber es ist unerlässlich, sich tief in die Materie zu begeben – etwa durch einen Recherchetrip.

Der Film ist ja sehr detailverliebt. Wie viele Disney-Easter-Eggs haben sich in «Zoomania» versteckt?
Rich Moore: Genau eines! (lacht)

Byron Howard: Ich glaube, in dem Film sind Easter Eggs, von denen wir selber teilweise noch nicht wissen.

Rich Moore: Es ist selbst für uns unmöglich, alles zu sehen, was im Film drinsteckt. Und wir haben schon viel in ihm entdeckt!

Byron Howard: Aber die Sache ist, dass Leute gerne was im Film verstecken. Seien es Animatoren oder Mitglieder des Layout-Teams … Wir versuchen natürlich, das zu koordinieren.

Rich Moore: „Keine «Der König der Löwen»- Sperenzchen! Wehe, irgendjemand schreibt mit Blättern irgendwelche komischen Dinge in den Himmel! Und ich will auch keine fragwürdigen Schlosstürme haben, die nach bestimmten Teilen der männlichen Anatomie aussehen!“

Byron Howard: Sowas haben wir hinter uns gelassen! (lacht)

Rich Moore: Naja, die Leute sehen eh, was sie sehen wollen … (lacht)

Byron Howard: Aber wenn wir zum Beispiel Nick in einer Pfadfinder-Uniform zeigen: Die Zahlen auf seiner Uniform sind das Geburtsdatum unseres Character-Designers.

Rich Moore: Ich garantiere: Alle Zahlen und Initialen bedeuten was.

Byron Howard:: Außerdem versteckt sich ein Stoff-Micky im Film.

Rich Moore: Und Unmengen von diesen Hidden-Micky-Silhouetten …

Byron Howard: Sogar auf Clawhauser, dem pummeligen Geparden am Polizeiempfang, ist solch ein Hidden-Micky.

Rich Moore: Und mehr spaßige Referenzen auf frühere Disney-Filme als je zuvor.

Byron Howard: Es ist sicher der Disney-Animationsfilm mit den meisten Meta-Gags und den meisten selbstreferenziellen Momenten.

Rich Moore: Ich denke, das Genre schreit auch danach. Filme mit sprechenden Tieren sind per se ein Spiegelbild unserer Welt, und je zeitgemäßer diese Welt auf humoriger Ebene gestaltet ist, desto glaubwürdiger und besser wird die Geschichte.

Byron Howard: Ich glaube, Duke Weaselton schießt aber den Vogel ab.

Rich Moore: Zur Erklärung: In der englischen Fassung spricht Alan Tudyk, der auch in den drei vorherigen Disney-Animationsfilmen eine Rolle hatte, ein Wiesel, das ein Dieb ist. Und jemand aus dem Storyteam meinte, wir sollten diese Figur Duke nennen, als Anspielung auf den Duke of Weselton aus «Die Eiskönigin». Daraus wurde die Entscheidung, die Figur Duke Weaselton zu nennen, und ihn einmal aus Versehen als Weselton anzusprechen. So eine Meta-Spielerei können wir nur in solch einem Film wie «Zoomania» machen.

Auf der nächsten Seite spricht das «Zoomania»-Team über den steinigen Produktionsprozess. Außerdem verrät Byron Howard, weshalb er so gern seine Regiepartner wechselt.

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