First Look

«Flaked»: Now the Story of a California Loser...

von

Die neue Netflix-Serie bleibt unter ihren Möglichkeiten – und vor allem der Track Record der Beteiligten hätte Besseres erwarten lassen.

Cast & Crew

  • Produktion: Electric Avenue Productions, A Thousand Words Ltd., The Hurwitz Company, Electus und Principato-Young Entertainment
  • Schöpfer: Will Arnett und Mark Chappell
  • Darsteller: Will Arnett, David Sullivan, Ruth Kearney, Lina Esco
  • Executive Producer: Will Arnett, Mark Chappell, Ben Silverman, Peter Principato und Mitchell Hurwitz
Chip ist seit langer Zeit trocken und gern gesehener Gast bei den örtlichen Anonymen Alkoholikern. Vor zehn Jahren hat er im Suff einen jungen Mann totgefahren. Dann hat er mit dem Trinken aufgehört. Heute betreibt er einen Laden für Hocker, die er selbst designt und zusammenschraubt.

Noch jedenfalls.

Denn Venice, die Gegend, in der die abgerockte Hockermanufaktur steht, ist gerade ein heißer Stadtteil von Los Angeles und zieht die Hipster und Latte-Macchiato-Muttis des ganzen amerikanischen Südwestens an. Die abgewirtschaftete Butze könnte also locker vier Millionen Dollar einbringen – was sich ihr dauerkiffender Eigentümer nicht zweimal sagen lässt. Auch wenn er Chip dafür auf die Straße setzen muss.

Doch das ist nur ein Problem dieses schier pathologischen Lügners, dessen Biographie – so bekommen wir es bereits in der zweiten der insgesamt acht Folgen mit – nicht so abgelaufen ist, wie er sie gerne erzählt, und dessen Lebensumstände lange nicht so geregelt sind, wie er das gerne hätte. Die Scheidung von seiner Frau, einer mittlerweile außerordentlich erfolgreichen Schauspielerin mit sündhaft teurem Anwesen, läuft schleppend, weil es eben schwer ist, mit der Vergangenheit abzuschließen. Und das Verhältnis zu den beruflich noch marginaler erfolgreichen Buddies Dennis und Cooler ist ebenfalls nicht selten angespannt. Hauptsächlich wegen Frauen: Chip hat gerade etwas mit Kara am Laufen, auf die eigentlich Dennis steht. Und dann taucht die hübsche London auf, auf die beide Männer ein Auge geworfen haben.

Es braucht eine ganze Zeit, bis man diese neue Netflix-Serie zu schätzen gelernt hat. Das liegt an einem deutlichen Zuviel der Allgemeinplätze, die die ersten drei Folgen weitgehend ambitionslos abarbeiten. Als da sind: Männer mit gescheiterten Existenzen, die auf dieselben Frauen stehen. Großstädtische Normalbürger mit leichtem Versager-Einschlag, über die ins Wahnhafte überhöhte Mietpreise und Gentrifizierung hereinbrechen und die einen sicheren Platz im Leben nie gefunden haben, weder ökonomisch noch psychologisch. Schon lange auf Scheidung zusteuernde, zerrüttete Ehen, die aber noch einen Rest an Unauflöslichkeit innehaben, und bei denen es gerade Männern mit einem Arrested-Development-Syndrom schwer fällt, einen bitter nötigen Schlussstrich zu ziehen.

«Arrested Development» erwähne ich freilich nicht zufällig. So heißt schließlich das Ergebnis einer früheren Zusammenarbeit zwischen «Flaked»-Hauptdarsteller und -Mitschöpfer Will Arnett und «Flaked»-Co-Executive-Producer Mitchell Hurwitz. Eine Serie, die ein wahrer Geniestreich wurde, ihr Genre neu erfand und glücklicherweise aktuell bei Netflix fortgeführt wird.

Zwischen «Arrested Development» und «Flaked» haben die beiden an zahlreichen Formaten gearbeitet, die inhaltliche Enttäuschungen und kommerzielle Misserfolge waren: Von Arnett ist noch die abstoßende CBS-Sitcom «The Millers» in Erinnerung, während so ziemlich alle Projekte von Hurwitz seit «Arrested Development» von der Kritik verrissen wurden und beim Publikum durchgefallen sind; manche haben es nicht einmal über eine Pilotierung hinausgeschafft.

Bei den amerikanischen Branchenbeobachtern stieß «Flaked» auf ein ähnliches Echo. Betrachtet man nur die ersten zwei, drei Folgen mag man das vielleicht ein wenig polemisch überhöht, insgesamt aber gerechtfertigt finden. Denn alles, was man da bei «Flaked» bis dahin sieht, hat man anderswo schon besser, treffender und geistreicher gesehen, wesentlich spannendere Charaktere, psychologisch intelligenter und vielschichtiger erzählt, mitreißendere Geschichten sowieso.

Doch in der vierten Episode, in der Chip, sein Kumpel Dennis und jene London, die zwischen diesen beiden Männern steht, einen Roadtrip nach Palm Springs zu Dennis‘ schräger Mutter unternehmen, gelingt es, etwas Ernsthaftigkeit in diese sonstige Amalgamierung aus schrillem, aber wenig treffsicherem Humor und inhaltlichen Allgemeinplätzen zu zimmern. Denn dann werden – durchaus ambitioniert erzählt und nah an den Figuren – zerbrochene Lebensträume und alte Traumata verhandelt, und die Serie findet zu einem sehr originellen und nicht unglaubwürdig dargestellten Handlungsstrang: Wie lebt dieser Chip, diese Allegorie auf den dem Scheitern nahen kalifornischen Everyman, mit einer uralten schweren Schuld, die er nicht verwinden kann?

Die zweite Hälfte der Staffel bewegt sich zunehmend in diesen Gefilden. Dass sie dafür dann noch den tendenziell einfach strukturierten, eher postpubertären als geschliffenen Humor schleifen lässt, gefällt umso besser.

Doch für eine Netflix-Serie ist das alles etwas wenig. Trotz des sehr charmanten Spiels von Will Arnett und Ruth Kearney.

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