Sülters Sendepause

Das misslungene Serienende als natürlicher Feind des Serienfans – Über das Grauen, Autor in einer unzufriedenen Welt zu sein

von   |  4 Kommentare

Einer wirft einfach einen Ring irgendwo rein, andere benutzen einen riesigen Dönerspieß als Pömpel gegen das Böse der Welt. Wenn Serien oder Filme enden, ist der Aufschrei meist groß. Doch zu Recht?

Das ewige Problem


Wir investieren Zeit, Gehirnkapazität, Nerven, Tränen und viele weitere Emotionen in fiktive Charaktere und ihre Abenteuer. Wir leiden mit, reden darüber, freuen uns auf neue Episoden und sind deprimiert, wenn wieder eine Staffel viel zu schnell zu Ende gegangen ist.

Kurzum: Wir sind mittendrin. Und wenn wir auch irgendwie akzeptieren können, dass jede Serie einmal ein Ende nehmen muss („lieber auf dem Höhepunkt aufhören…“), ist der Schlussakkord doch oft nicht nur inhaltlich, sondern auch qualitativ ein Drahtseilakt. Für Verantwortliche, wie für die Konsumenten – uns.

Das individuelle Erleben einer Serie folgt dabei selten einem für Andere nachvollziehbaren Kurs. Verschiedene Charaktere werden zu Bezugspersonen, einzelne Storypunkte bleiben hängen oder eben auch nicht und prägen mit einer ganzen Armada an anderen Puzzleteilen den gewünschten Verlauf dessen, was ganz zum Schluss, wenn das Licht ausgeht, als rundes Ende stehen soll.

Liest man in Foren und Zeitschriften quer oder spricht mit anderen Serienfans, drängt sich ein eindeutiges Bild auf: Nur selten realisiert eine Serie in letzter Konsequenz das, was sich die Fans wünschen. Es scheint, würde man abstimmen lassen, wäre selbst die einfache Mehrheit „pro Ende“ oft schwer zu bekommen. Doch woher kommt das? Schauen wir uns doch mal einige gängige Beispiele an.

Getting Lost


Wie oft habe ich seit dem Ende von «Lost» schon bitterböse Kommentare zu hören bekommen? Und wie oft habe ich darauf die immer gleichen (Schutz-)Reaktionen gezeigt. Ich habe von wunderschönen Metaphern fabuliert, von der Konzentration auf die Charaktere, davon, dass nicht alle Mysterien aufgelöst werden müssen. Kurzum: Ich habe das Ende der Serie oft verteidigt. Mit Messer zwischen den Zähnen und voller Leidenschaft.

Fakt ist dennoch, dass eine recht wortgewaltige Anzahl von Zuschauern meine Sympathie mit der Art und Weise, wie die Serie zu Ende ging, nicht teilen kann. Und man kommt nicht umhin sich zu fragen: Sind die alle zu blöd? Oder zumindest etwas reflektierter: Bin ich zu blöd? Ich bin kein Akademiker, maße mir aber dennoch an zu behaupten, dass ich die Serie, die letzte Season und das Ende durchaus verstanden habe. Zumindest zu einem gewissen – nicht niedrigen - Prozentsatz. Und natürlich gibt es über die ganzen Jahre lose Enden, Widersprüche, Fehler, nicht ganz optimale Auflösungen und ungünstige Entscheidungen. Keine Frage.

Doch ist «Lost» im Serienbereich damit sicher nicht allein. Wer sucht, der findet. Man muss für sich selber entscheiden, ob man seinen Fokus auf das große Ganze richten kann oder sich in Klein-klein verlieren möchte. Wenn eine Serie jedoch eine so dermaßen hohe emotionale Wucht entfacht, so liebevoll seine Charaktere positioniert und ausleuchtet und sich dann noch bemüht, primär eben deren Geschichte kreativ, spannend und eingebettet in all das Drumherum aus Fantasy und SciFi abzuschließen – dann kann ich für meinen Teil auch mit Aussetzern leben. Nun könnte man mich mit Recht fragen: Gibst du dem Ende der Serie aufgrund deiner Sympathie dann nicht vielleicht einfach zu viel Kredit? Ist hier mehr rosarote Brille im Einsatz als die Serie verdient hatte? Mag alles sein.

Ich glaube, dass die Serie schlicht ein wenig Glück hatte – zumindest was mich betrifft. Sie hat meine persönlichen Erwartungen erfüllt – die Geschichten der Charaktere zu einem guten Ende zu bringen. Hätte ich mich darauf konzentriert, die Mysterien am Ende haarklein erläutert haben zu wollen – ich wäre eventuell ziemlich ungehalten gewesen. Tja - somit landen wir also bei dem Problem der Erwartungshaltung – ein eindeutig hausgemachtes Problem. Oder doch nicht? Das wird zu klären sein.

Der Ring, der (mich) ewig knechtet


Aber Erfahrungen dieser Art gibt es nicht nur im Serienbereich – auch bei Filmen kann man bezüglich der individuellen Erwartungshaltung spannende Dinge erleben. Jahrelang hielt meine Frau und mich die «Der Herr der Ringe»-Trilogie in Atem. Im Kino sahen wir die normalen Fassungen, zuhause dann noch die Extended-Versionen obendrauf…

Insgesamt haben wir also mindestens 1281 Minuten, also knapp 21,5 Stunden und somit fast einen kompletten Tag in die Welt rund um das Auenland investiert. Und bis heute reduziert sich diese Erfahrung auf einen ganz schlichten Satz, den meine Frau jedes Mal wenn das Thema aufkommt, mit toternster und verbitterter Miene zum Besten gibt:

Und am Ende wirft der da einfach den Ring rein!

Nein, sie ist bis heute nicht ganz darüber hinweggekommen. Natürlich hat sich dieser Gag auch verselbstständigt – doch auch heute wundert sie sich zumindest noch über so viel Setup für diese eine, banale finale Szene. Allein schon deswegen ist ein Rewatch der Filme bis heute nahezu ausgeschlossen. Man könnte nun nicht gänzlich ungerechtfertigt einwerfen, dass sie ja bitte im Vorfeld die Bücher hätte lesen können. Das hätte ihr (und anderen) unter Umständen vieles erspart.

Doch hätte es das Ende in irgendeiner Form verbessert? Zugestanden – wenn ich weiß, dass meine Fußballmannschaft verloren hat, schaue ich die Sportschau vielleicht gar nicht erst an. Und wenn mich bei einem Buch das Ende genervt hat… eben. Ist meine Frau also selber schuld, sich nicht ausreichend informiert zu haben? Oder ist das Ende vielleicht viel besser als sie sagt? Was hätte die Filmreihe alternativ adäquat auflösen können?

Von der Mannigfaltigkeit des Scheiterns


Doch schlagen wir mal den Bogen zurück zur vielfältigen Serienlandschaft.

Bei «Dexter» hatte man kurz vor Schluss der Dreharbeiten schlicht vergessen „Cut!“ zu rufen. Vermutlich saß der Regisseur gerade auf dem Abort. So bekamen wir nach dem halbwegs erträglichen Ende, in dem Dexter willentlich und alleine in den Sturm segelt, noch eine – in meinen Augen absolut überflüssige – Szene kredenzt, in der er wie ein feiger Idiot, der Freundin und Sohn im Stich lässt, als bärtiger Holzfäller in die Kamera starrt. Charakterzerstörung vom Feinsten nach einer eigentlich zumindest noch halbwegs ordentlichen Abschlussstaffel. Oder?

Vergessen „Cut!“ zu rufen hat man offenbar auch bei «The Killing». Kaum jemand dürfte an das Überleben beider Hauptdarsteller geglaubt haben. Kaum jemand hätte wohl mit einem düsteren Ende ein Problem gehabt. Doch dann passierte etwas, das vielen Fans nur als vollkommen fehlgeleitetes Happy-End in Erinnerung blieb.

Bei der ersten Season von «True Detective» entschloss man sich ebenfalls zu einem solchen Happy End, das nicht unbedingt zu erwarten war. Dort jedoch empfand zumindest ich es als passend. Ungern hätte ich Rust und Marty nach ihrer Tortur zum Schluss nicht lebendig gesehen. Doch sahen das eine Menge Fans offenbar ebenfalls ganz anders.

Die Macher von «Star Trek: Enterprise» wollten ganz besonders nett zu ihren Fans sein und schrieben ein von Herzen kommendes Abschiedsgeschenk an alle Trekker. Leider übersahen sie dabei, dass sie ihre eigenen Serienhelden damit zu Statisten degradierten, denen am Ende noch von einem pummeligen Riker im Holodeck einfach der Saft abgedreht wurde.

Nicht den Saft ab sondern den Hals umgedreht hätten viele Fans gerne Ronald D. Moore nach dem Ende der Neuauflage von «Battlestar Galactica». In einer äußerst komplexen und für einige bis heute kaum zu durchschauenden Auflösung (bei der ähnlich wie «bei Lost» auch nicht alle Elemente explizit erklärt wurden), erreicht die Flotte „unsere Erde“ und begründet dort in „unserer Vergangenheit“ letztlich „unsere Kultur“. Deutlich wird dies am Ende auch, als Manifestationen von den physisch längst verstorbenen Six und Baltar im 21. Jahrhundert am New Yorker Times Square noch immer präsent sind und den Lauf der Geschichte verfolgen. Verkopft, abgehoben, hochtrabend – aber eben irgendwie auch verdammt clever.

Bei den «Sopranos» durfte man jahrelang mitfiebern, um am Ende in einer eigentlich lauschigen Restaurantszene mit einem schwarzen Bildschirm alleingelassen zu werden. Ist Tony tot? Was ist mit seiner Familie? Große Kunst oder Verrat an den Zuschauern?

Die Fans von «How I Met Your Mother» erfahren zwar nach langen Jahren tatsächlich, wie Ted die Mutter seiner Kinder kennenlernte. Man verliebte sich, heiratete, wurde Eltern. Doch dann? Frühstückt man in wenigen Minuten eine Erkrankung der geliebten Ehefrau bis zu ihrem Tod ab. Letztlich kommt Ted doch mit Robin zusammen. Man muss schon ordentlich Cojones besitzen, um derart mit den Gefühlen seiner Zuschauer zu spielen. Nach dieser Information war ich irgendwie froh, dass ich die Serie nie geschaut habe.

Ähnlich war es bei der äußerst beliebten Sitcom «Roseanne» gelaufen. Nach neun Staffeln brachte die letzte Episode die Enthüllung, dass Roseanne in Wirklichkeit viele Elemente der Serie und besonders der finalen Staffel frei erfunden hatte. Sie gibt sich per Stimme aus dem Off als Autorin ihrer eigenen umgeschriebenen Lebensgeschichte zu erkennen. So starb ihr Mann zum Beispiel bereits in Season 8 an seinem Herzinfarkt (und überlebte nicht wie in der Serie zu sehen), die Partner ihrer Töchter waren vertauscht, die Affäre ihres Mannes nach dem Herzinfarkt erfunden und auch ein hoher Lottogewinn nie passiert. Bis heute eine unter Fans kontrovers diskutierte Entscheidung, wenngleich psychologisch in Bezug auf den Charakter der Roseanne natürlich definitiv interessant.

Serien wie «Babylon 5», «Alias», «Chuck» oder «Fringe» merkte man während ihrer Laufzeit eindeutig die immer wieder drohende Absetzung an. Da wurde dann mal zwischendurch ein Gang hochgeschaltet und ängstlich auf ein Ende hingesteuert, dann doch wieder kehrt gemacht und eine neue Richtung eingeführt. Doch waren das eher produktionstechnische Gründe, die noch viel schwerer an irgendetwas festzumachen sind als bei Serien, die eine relative klare und gesicherte Laufzeit bekommen haben. Auf den Punkt: Die Schuldfrage ist dort noch schwieriger zu klären. Und erstaunlicherweise sind viele Serienfans bei derart problembehafteten Serien auch milder in ihren Urteilen. So zumindest mein Gefühl.

Letztlich ist es auch immer noch besser, als wenn den Produzenten und Autoren ihre Serie unter dem Allerwertesten weg abgesetzt wird. Wir als Zuschauer investieren in diese neue Welt und bekommen am Ende ein halbgares Produkt abgeliefert – meist ohne Mittelteil und fast immer ohne würdiges Ende. Prominente Beispiele sind hier «4400», «ALF» (bei der ich die Existenz des nachfolgenden Fernsehfilms schlicht und ergreifend aus meinem Gedächtnis gestrichen habe), «Firefly» (auch hier hat mich der Kinofilm kaum entschädigt), «Crusade» oder «Primeval» (bei der in der allerletzten Szene noch ein neuer Cliffhanger mit auf den Weg gegeben wird). Ganz aktuell natürlich auch die grandiose Serie «Hannibal», bei der aber immerhin versucht wurde, ein Ende einzukalkulieren. Die Zeit wird zeigen, ob und wem es dann am Ende passt. Oder eben mal wieder nicht.

Irgendwie ist unsere Haltung aber auch einfach zynisch. Wird eine Serie abgesetzt, jaulen wir ob des uns vorenthaltenen Endes. Wird sie nicht abgesetzt, ist das Ende meistens Mist. Böse, böse Welt.

Doch es gibt auch Glückspilze. So bekommen Serien wie «Roswell», deren Autoren jahrelang nicht wussten, ob sie nun endlich mal irgendetwas aussagen möchten oder nur weiter vor sich hinwabern wollen, ein Ende mit Ansage spendiert. Und was machen die Damen und Herren daraus? Sie liefern einen schier unübertroffenen Abschlusssatz:

Mein Name ist Liz Parker und mir geht es gut.

Sorry, mir ging es an dieser Stelle gar nicht gut. Mir war einfach nur übel.

Auch bei «Star Trek: Voyager» nutzte man das Wissen um die letzten 26 Episoden in keiner Weise. Als hätte es noch irgendwen interessiert, wären die Quoten im Falle einer kreativen Aufarbeitung aller Charaktergeschichten und einer Heimkehr schon mitten in der Season eventuell noch etwas weiter in den Keller gegangen, schrieb man sich dort lieber auf Autopilot dem Ende entgegen – um dieses dann mit einem wuchtigen Borg-Zweiteiler, einem schnell dahingehauchten „Set a course for home!“ und dem Abspann zu krönen. Implikationen der Reise? Warum?! Juckt doch eh keinen. Zuletzt die Produzenten.

Bei wieder anderen Serien sterben, kommen oder gehen über die (oft viel zu lange) Laufzeit so viele Charaktere, Storylines und sogar Zuschauer, dass es am Ende kaum mehr relevant oder zu beurteilen ist, wie das Ende zur Serie passt. Ich denke hier an «CSI Vegas», «Grey´s Anatomy», «One Tree Hill», «The X-Files» oder «ER».

Und läuft eine Serie wie «Smallville» mit zehn Jahren zwar ebenfalls eigentlich schon fast wieder zu lang, war aber nie richtig konkret von Absetzung bedroht und konnte ihre Story sogar mit fast allen wichtigen Darstellern zu Ende erzählen, dann heißt es am Ende seitens der Fans lapidar:

Frechheit! Jetzt sieht man ihn nicht mal wirklich als Superman!

Nein, es ist nicht leicht, Fernsehen zu machen.

Auf der nächsten Seite lest ihr, dass es auch ganz anders geht und welche Serien sich mit teils herausragenden Enden hervorgetan haben. Ob ihr meiner Meinung seid?

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Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
mike.däppen
26.03.2016 13:34 Uhr 1
Ich will jetzt nicht das Haar in der Suppe suche aber zum Schluss bist du ein bisschen abgedriftet :)



Ich sehe es bezüglich den Serienenden bei denen ich gesehen habe überall etwa gleich wie du.



Nur eine Frage habe ich noch: Was wurde den bei GOT von den Fans kritisiert?
toby85fue
26.03.2016 15:42 Uhr 2
Hätte man Staffel 9 weggelassen, wäre Scrubr sicherlich eines der besten Serienfinals aller Zeiteb gewesen
profizocker
26.03.2016 16:35 Uhr 3
ja stimmt die 8. staffel von scrubs war für mich persönlich die beste aller staffeln mit einem passendem ende. die 9. staffel hätte eigentlich die 1. staffel einer neuen serie sein müssen.
Constable
26.03.2016 19:37 Uhr 4
Ja, "etwas abgedriftet" könnte man schon meinen - ich musste nach dem Lesen selbst noch mal kurz checken, wie denn überhaupt der eigentlichen Titel lautete ;) Das ändert aber nichts daran, dass man (ich) an vielen Stellen der schönen Kolumne nur zustimmend mit dem Kopf nicken möchte.



Viele von uns sollten sich Vieles aus dem zweiten Teil der Kolumne vielleicht ab und an vor Augen führen, bevor was auch immer oftmals unangemessen kritisiert wird. Das könnte unser Miteinander tatsächlich erheblich angenehmer gestalten. Aber manchmal wird man den Eindruck nicht los, dass der Zug dafür schon lange abgefahren ist - zumindest innerhalb anonymer Online-Welten.



Aber wir waren ja bei Serienenden. Es ist wohl schlicht unmöglich es allen(oder wenigstens einer großen Mehrheit) recht zu machen. Selbst bei den genannten Ausnahmen, wo dies doch gelungen scheint, gibt es genügend (teils über-)kritische Stimmen. Sons of Anarchy sei da als Beispiel genannt.



Herr der Ringe wurde genannt: ging es denn nicht genau darum, den einen Ring zu zerstören? Das wurde doch zu Beginn so etabliert - für Buchkenner und jene die sich nur die Filme anschauen mochten. Das ist allerdings schon etwas her und für mich zählt ohnehin mehr der Weg als Ziel.



Und LOST...oh man, was habe auch ich über die Jahre hinweg immer wieder argumentiert, erklärt und und und. Inzwischen sehe ich die Sache wesentlich entspannter - es gibt eben unterschiedliche Erwartungshaltungen, Meinungen usw. Ich habe erst vor wenigen Wochen einen Rewatch abgeschlossen und für mich überwiegen die Stärken der Serie deren Schwächen so stark, dass das garantiert nicht der letzte Ausflug auf die Insel war.

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