First Look

«Bloodline»: Schuld und Sühne

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Die erste Staffel setzte neue Maßstäbe in Puncto intelligent erzählter, horizontaler Familiendramen. Im Finale war man an einem äußerst gelungenen Ende angelangt. Trotzdem macht man weiter. Ein erster Blick auf die zweite Season.

Die Meldung über die Fortsetzung der Netflix-Serie «Bloodline» hat letztes Jahr nicht überall Freude ausgelöst. Aus einem einfachen Grund: nämlich dem sehr gelungenen Bookending der ersten Season. Die Geschichte war – im besten Sinne des Wortes – auserzählt, alle Konflikte waren verhandelt, alle Charaktere an einem dramaturgisch stimmigen Platz angekommen, alle Mysterien gelöst, alle offenen Fragen beantwortet.

Noch dazu hatte man auch inhaltlich Maßstäbe gesetzt. Die Serie war toll erzählt und toll besetzt, hatte einen innovativen Zugang zu ihrer Handlung und ihren Figuren gefunden und etwas gezeigt, was man in dieser Form auf diesem Niveau zuvor selten bis gar nicht gesehen hatte: eine starke Ambivalenz seiner Hauptfigur, ausgeprägte Charakterwandlungen und dabei einen sehr leisen, ruhigen Duktus.

Die Geschichte war schnell einnehmend und lud zu Vergleichen mit großen Werken der Weltliteratur (insbesondere den Romanen von Fjodor Dostojewskij) ein, ohne dass man diese Vergleiche sofort als vermessen abtun musste: eine Familie, in der es unter der Oberfläche brodelt, ein verlorener Sohn, der zurückkommt, um alle ins Unglück zu stürzen, und der am Schluss von einem seiner Brüder umgebracht wird, wonach die anderen Geschwister dem Mörder bereitwillig helfen, die Sache zu vertuschen, so sehr hatte sich der getötete Bruder an ihnen vergangen.

Und obwohl hier Figuren im Fokus stehen, die einen Mord begehen, beziehungsweise zumindest dem Mörder nach der Tat helfend zur Hand gehen, ist es den Autoren gelungen, sie als – wenn auch ambivalent geführte und moralisch selbstverständlich nicht makellose, aber doch nicht minder – sympathische Charaktere zu zeichnen.

Wer Dostojewskis „Schuld und Sühne“ gelesen hat, weiß, dass zumindest in der Literatur nach dem Mord die Schuldgefühle gesetzt sind. Auch wenn der oder die Täter seine objektiv rationalen Gründe für die Tat und die Verkommenheit des Opfers immer noch klar vor Augen hat. In «Bloodline» ist das aber – anders als bei Dostojewski – weniger auf eine psychologische Schuld, sondern vielmehr auf die nahenden Einschläge zurückzuführen, die das fein säuberlich aufgebaute Lügenkonstrukt einstürzen lassen könnten.

Noch lange, nachdem er seinen Bruder Danny an einem Strand in den Florida Keys ins Jenseits befördert hat, kann Detective John Rayburn den Fall nicht abschließen. Auch wenn es ihm gelungen ist, in einem glaubwürdigen Szenario Wayne Lowry als Täter ins Spiel zu bringen, einen County-bekannten Drogendealer und Menschenhändler, mit dem Danny zu Lebzeiten in umfangreiche Drogengeschäfte verwickelt war.

Wayne Lowry ist nun im Besitz eines Tonbands von Danny, auf dem er einige kriminelle Machenschaften festgehalten hat, mit denen John und seine beiden anderen Geschwister Kevin und Meg Schaden von der Familie hatten abhalten wollen: Wie sie die Drogen, die Danny in der elterlichen Hotelanlage bunkerte, von dort weggeschafft hatten, damit sie im Zuge der laufenden Ermittlungen nicht von den Behörden einkassiert wird, und dabei die Strafverfolgungsbehörden systematisch belogen hatten.

Kevin hat derweil eher an den psychologischen Umständen zu knabbern, trinkt Unmengen Tequila, zieht sich so viel Koks durch die Nase wie sonst nur Gérard Depardieu in «Marseille» und fängt an, das Kokain aus Dannys Restbeständen im großen Stil zu verticken, um die Zwangsversteigerung seines Kleinunternehmens abzuwenden.

Schwester Meg, die bei langen Geschäftsessen in ihrer neuen Wahlheimat New York mittlerweile zur Maßlosigkeit beim Rotwein neigt, fliegt derweil in Florida ein, um bei ihrer Familie für Ruhe und Stabilität zu sorgen. Und für deren rechtliche Absicherung. Nicht nur, dass Bruder John bestenfalls mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe rechnen kann, wenn herauskommt, was er getan hat: In der letzten Szene der ersten Staffel ist auch Dannys bis dahin vollkommen unbekannter Sohn aufgetaucht. Inzwischen ist auch die völlig abgewirtschaftete Mutter der Jungen nachgekommen, die die mittlerweile eingestellten Zahlungen, mit denen Dannys Vater sie zu Lebzeiten klandestin ruhig gestellt hatte, wieder erzwingen will.

Man erkennt: «Bloodline» ist in seiner zweiten Staffel soapiger geworden und erzählt lange nicht mehr so philosophisch-existentiell wie letztes Jahr. Die mitreißende, Maßstäbe setzende Qualität, mit der man in der vergangenen Season begeisterte, ist so nicht mehr zu finden.

Dennoch: Die Serie bleibt dicht an ihren Figuren und hat mehr zu sagen als eine bloße Wiederholung oder uninspirierte Fortsetzung der bereits abgearbeiteten Themen und Handlungsstränge – auch wenn es nun eher wie eine horizontale und ambitionierte Version von «Dallas» aussieht denn wie die moderne Interpretation eines Stoffes, der schon Dostojewski hätte beschäftigen können. Auf deutlich niedrigerem intellektuellem Niveau funktioniert «Bloodline» immer noch, auch wenn die kritischen Stimmen, die das Format eher als Mini-Serie sahen, sicherlich genau das verhindern wollten.

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