Vergleichbare und ergänzende Artikel
Mal davon abgesehen, dass ein Gros der «Ghostbusters»-Hater den Film gar nicht gesehen hat und/oder sich in seinem lachhaften männlichen Stolz verletzt fühlt, weil ausnahmsweise Frauen auf der Leinwand das Sagen haben: Das im Web durch IMDb, Rottentomatoes und weitere Portale aufrecht erhaltene Konzept „Die Weisheit der Vielen“ wird arg überstrapaziert. Natürlich kann ein jeder anhand des Konsens eine Wahrscheinlichkeit ablesen, wie die eigene Meinung ausfallen wird. Dass der Konsens aber die einzige gesellschaftlich akzeptierte Position zu sein hat, ist absoluter Schwachsinn. Was uns Filmkritikern andere Teile des Publikums auch jedes Mal ins Gesicht schreien, wenn sie auf einmal Teil der Minderheit sind:
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Wer nichts macht, hat nichts zu sagen?
Die Unfähigkeit von uns Kritikern, so urteilen Leser und manche Filmemacher jedenfalls, sobald ihnen ein Artikel nicht passt, erkennt man ja ganz klar an folgendem Umstand: „Ihr habt ja keine Ahnung von der Craft! Wer keine Filme macht, kann auch nicht über sie urteilen!“
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Aber gut. Argumentieren wir mal kurz auf dieser Ebene und ziehen ein Zwischenfazit basierend auf den Forderungen der wütenden Kritiken-Konsumenten: Ein einzelner Nicht-Filmemacher hat die Klappe zu halten. Die Mehrheit des Publikums hat immer Recht (es sei denn, einem einzelnen Weder-Filmemacher-noch-Kritiker passt das nicht). Und jemand, der selber Filme macht, hat den vollen Durchblick.
Okay. Also müsste ja ein Regisseur ausschließlich gute Filme mögen. Und gute Filme erkennt man an hohen Userwertungen. So jemand wie Edgar Wright, Regisseur der gefeierten Cornetto-Trilogie, sollte also eine Leuchtgestalt des Filmgeschmacks sein. Richtig?
Edgar Wright, ans Podium bitte. Edgar Wright, ans Podium bitte!
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Und auch Disneys Sci-Fi-Misserfolg «Das schwarze Loch», der im Internet weitestgehend als legendäres Stück Langeweile bezeichnet wird, befindet sich unter Wrights großen Favoriten. Ebenso wie die Actionfarce «Crank: High Voltage» (6,2 bei IMDb, 3,0 bei Letterboxd, 63% bei Rottentomatoes) oder Joe Wrights «Anna Karenina» mit Keira Knightley (6,6 bei IMDb, 3,2 bei Letterboxd, 63% bei Rottentomatoes). Oder «Marie Antoinnette» von Sofia Coppola (6,4 bei IMDb, 3,3 bei Letterboxd, 55% bei Rottentomatoes). Alter, da können wir ja direkt wieder auf Filmkritiker hören, die sind auch nicht viel inkompetenter! Also, der Kerl tickt doch nicht sauber! Der liegt ja voll oft, mordsmäßig-absolut im Unrecht!
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Auf der Suche nach einem Diskurspartner für alle filmische Zeiten
Finde ich Edgar Wright nun einen unfähigen Filmkenner? Einen fähigen? Einen fähigen, der ab und zu durchdreht? Finde ich ihn korrupt, weil ihn sein Nachnamens-Vetter Joe Wright bezahlt haben könnte, um Steven Soderberghs Stripper-Film mit Channing Tatum zu mögen? Nein. Natürlich nicht. Denn für mich geht es nicht darum, unentwegt bestätigt zu werden, oder mich einem anderen Filmliebhaber überlegen zu fühlen. Für mich geht es darum: Wir tauschen uns über Filme aus, weil wir alle den Diskurs mit weiteren Blickwinkeln bereichern wollen. Weil wir anderen Interessenten Empfehlungen aussprechen möchten sowie Vorwarnungen. Es geht darum, Neugier zu erzeugen, Erwartungen zu begradigen und Denkanstöße zu geben, einen Film mal anders zu beäugen.
Eine Kritik soll daher sagen, was dem Verfassenden auffiel, und wie er es einschätzt. Und optional auch, was er denkt, wie seine Leserschaft reagieren könnte. Doch nie würde ich denken, dass mein Publikum unfähig ist, selber zu denken. Natürlich kann jeder denken „mir wird das aber nicht gefallen“. Oder „mich wird das aber nicht stören“. Oder „ich lege aber ganz andere Schwerpunkte“.
Wir tauschen uns über Filme aus, weil wir dieses Medium faszinierend finden. Weil wir gegenteilige Meinungen begreifen und unsere eigene Meinung wiedererkennen wollen. Und nicht zuletzt, weil wir ein Gefühl für andere Filmfans haben möchten. Edgar Wrights Top 1.000 hat mir einen neuen, spannenden Eindruck von diesem Regisseur verschafft. Und mich nicht auf die Barrikaden gehen lassen.
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Nur eines denke ich wirklich: Ich kann dich, lieber Edgar Wright, angesichts dieser vielseitigen, teils in sich schlüssigen, teils unvorhersehbaren Auswahl ebenso ernst nehmen wie manche meiner Filmkritikerkollegen. Und das, obwohl du keine Reviews schreibst, sondern nur kommentarlose Listen. Es ergänzt sich irgendwie. Denn meine Kollegen verfassen ausführliche, beobachtende und erläuternde Artikel, sind aber unfähig, Filme zu drehen.
Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
02.08.2016 13:32 Uhr 1
Hatte mich auch schon gewundert in den letzten Monaten, das sehr viele Filme dort ganz anders bewertet worden sind, wie ich Sie gesehen habe. :roll:
02.08.2016 14:42 Uhr 2