Die Kritiker

«Familienfest»

von

Streitfilme sind groß im Kommen – und in «Familienfest» lässt Lars Eidinger als Todkranker sogleich die große Feier zum 70. Geburtstag seines Vaters platzen.

Cast & Crew

  • Regie: Lars Kraume
  • Darsteller: Günther Maria Halmer, Hannelore Elsner, Lars Eidinger, Michaela May, Jördis Triebel, Barnaby Metschurat, Marc Hosemann, Nele Mueller-Stöfen, Daniel Krauss
  • Drehbuch: Andrea Stoll, Martin Rauhaus
  • Kamera: Jens Harant
  • Schnitt: Barbara Gies
  • Produktionsfirma: UFA Fiction
So sehr sich im Internet alle verbal die Köpfe einschlagen mögen – von Angesicht zu Angesicht ist die Diskussionskultur verkommen. Wer nicht gerade in einem völlig dysfunktionalen Umfeld des Dauergekeifes lebt, schleicht duckmäuserisch durch seinen Alltag. Wenn der Knoten platzt, dann aber umso heftiger. Der große, laute, garstige Knall: Er übt auf Dramaturgen und Filmemacher seit einigen Jahren eine große Faszination aus. So entstanden unter anderem der spitzzüngige Geniestreich «Der Gott des Gemetzels», die Zoff-Komödie «Nur eine Stunde Ruhe!», die Elternabendeskalation «Frau Müller muss weg!» sowie das französische Frustspiel «Der Vorname». Mit «Familienfest» nimmt sich auch der gefragte Regisseur Lars Kraume dem Grundgedanken an, eine Figurengruppe in einer angespannten Gesprächsrunde zu filmen – und dies in einem dramatischerem Tonfall als bei den genannten Beispielen.

Kraume, der beispielsweise durch die Inszenierung von «Der Staat gegen Fritz Bauer» und «Terror – Ihr Urteil» auf sich aufmerksam gemacht hat, erzählt nach einem Drehbuch von Andrea Stoll («Der kalte Himmel») und Martin Rauhaus («Schleuderprogramm») vom 70. Geburtstag eines Patriarchen: Der Pianist Hannes Westhoff (Günther Maria Halmer) genießt gesellschaftliches Ansehen und Wohlstand – und gefällt sich in seinen Errungenschaften sowie in seiner Immunität gegenüber Kritik, die er sich durch sein Alter und sein selbstüberzeugtes Auftreten vermeintlich verdient hat. Als seine zweite Ehefrau Anne (Michaela May), anlässlich Hannes‘ runden Wiegenfests seine drei Söhne Max (Lars Eidinger), Gregor (Marc Hosemann) und Frederik (Barnaby Metschurat) mitsamt Anhang sowie Exfrau Renate (Hannelore Elsner) einlädt, schwebt ihr eine Verneigung vor diesem Familienvorstand vor.

Stattdessen stellt sie sich schon vom ersten Augenblick an als bittere Farce heraus: Hannes, Sohn eines mutmaßlichen NS-Verbrechers, ist vom früheren Rebellen und Kulturmenschen zu einem unbeugsamen, autoritären Wutbürger mutiert. Er betrachtet sich als Mitte und Maßstab der Welt – wer anders denkt, anders lebt oder anders liebt als er, ist ohne Wert. Das bekommt vor allem sein Sohn Frederik zu spüren, der mit seinem Lebenspartner Vincent zu Besuch ist, aber nicht nur Hannes‘ homophobe Ressentiments stellen ihn als übellauniges Biest heraus – wirklich alle in seiner Familie sind in seinen Augen minderwertige Versager. Nur Max, erfolgloser Journalist, kürzlich als todkrank diagnostiziert und nur mit einer Krankenschwester (Jördis Triebel) als Fake-Date vorbeigekommen, traut sich, den Mund aufzumachen …

Eidinger ist nicht nur derjenige, der in seiner Rolle die Stimmung beim titelgebenden Familienanlass dreht, er ist es auch, der dieses in satten Farben fotografierte Drama beherrscht: Der Bühnen-, TV- und Leinwanddarsteller stürzt sich voll und ganz in seine Rolle und legt ihn als facettenreiches, lebendes Kuddelmuddel aus Naivling, Schlaumeier und abgeklärten Todgeweihten an, der sich nach Aufrichtigkeit sehnt – jedenfalls nachdem seine von Triebel charismatisch gespielte Begleitung niedergemotzt wird, als sie es versucht, ihre Position als Außenstehende für Kritik an Hannes zu nutzen. Die zweite darstellerische Macht in «Familienfest» ist Halmer, der den hasserfüllten Patriarchen gegen den Strich bürstet und eben nicht als polternden Aggressor agieren lässt – Hannes ist viel mehr ein ständig in sich hineinbrodelnder Vulkan des Misanthropischen. Gekonnt lässt Halmer schon früh anklingen, dass seine Geringschätzung für sein Umfeld aus einer Unzufriedenheit mit sich selbst herrührt. Wenn aus diesem Subtext Dialogtext wird, sind die Skriptzeilen bedauerlicherweise was hölzern und vor allem im stark verdichtenden zweiten Drittel bremst Kraume die Intensität der Zwiegespräche, indem er seine Darsteller akkurat und nacheinander ihren Text aufsagen lässt, statt die Atmosphäre durch ein verbales Durcheinander zu verstärken – hier hätte etwas Unberechenbarkeit wie in Thomas Vinterbergs «Das Fest» nicht geschadet. Das erste und letzte Drittel weisen wiederum die dem Inhalt angemessene atmosphärische Dichte auf – und die Kehrtwende vom Gift-und-Galle-Speien zum Melancholischen gelingt Kraume sowie seinen Darstellern ebenfalls nahtlos.

Fazit: In der wachsenden Riege an Streitfilmen ist «Familienfest» zwar nicht die originellste oder spitzzüngigste Produktion, doch mit zwei starken Darbietungen und vielen glaubwürdigen Emotionen täuscht das Drama erfolgreich über den etwas steifen Mittelpart hinweg.

«Familienfest» ist am Montag, dem 28. November 2016, ab 20.15 Uhr im ZDF zu sehen sowie bereits auf DVD erhältlich.

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