Vor Ort

Publikumsgewinnung durch Gratiskinoabende: Wie Generation YouTube ins Kino gelockt wird

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Ein bis auf den letzten Platz gefüllter Kinosaal, und niemand hat für seine Eintrittskarte auch nur einen Cent gezahlt. Und dennoch freut sich der Filmverleih ... Kostenlose YouTube-Fanscreenings gehören zu den neuen Werkzeugen in der Welt des Filmmarketings.

Weitere Infos zu Filmlounge

  • 55.811 Abonnenten
  • 23 Millionen Aufrufe
  • Das meistgeklickte Video hat 2,18 Millionen Aufrufe
  • Im April 2015 gegründet
  • Channelgründer Dominik Porschen betrieb zuvor 'Filmfabrik' für das YouTube-Netzwerk Mediakraft, ist Diplom-Medienökonom und auch als Premieren- und Eventmoderator tätig
Stand: 22. Februar 2017
Später Nachmittag. Nieselregen in Köln. In der Nähe der Domplatte versammeln sich verdutzt dreinblickende Jugendliche und junge Erwachsene. Unter ihnen auch ein paar YouTuber. Sie alle wissen nur in sehr groben Zügen, was sie erwarten wird. Bekannt ist, dass der Psychothriller «A Cure for Wellness» drei Tage vor Kinostart gezeigt wird. Aber sonst? Es bildet sich eine Schlange, da alle Teilnehmer noch ein Patientenarmbändchen mit ihrem Namen verpasst bekommen, bevor sie mit zwei Reisebussen zu einem unbekannten Ort verfrachtet werden. Na, das klingt doch vertrauenswürdig …

Es ist der 20. Februar 2017, und YouTuber Dominik Porschen vom Channel 'Filmlounge' hat zu seiner bis dato aufwändigsten und ungewöhnlichsten Community-Preview geladen. Seit 2014 veranstaltet er solche Gratisvorpremieren für seine Fangemeinde, üblicherweise treffen sich die Gewinner der Kartenverlosung direkt im vorab kommunizierten Kino. Für «A Cure for Wellness» hat er sich jedoch in Absprache mit dem Verleih 20th Century Fox Deutschland eine mysteriösere Aktion ausgedacht. Neben der Sonderpreview in Köln wird es am Folgetag auch eine reguläre in Berlin geben. Für eine kleine Handvoll an Filmen organisierten Porschen und das restliche Filmlounge-Team sogar vier solcher Abende. Neben Köln und Berlin waren schon Frankfurt am Main, München, Nürnberg, Stuttgart, Mannheim, Hamburg, Oberhausen und Hannover Schauplätze dieser Aktionen.

Eine Busfahrt ins Nirgendwo …


Die Busse sind voll, jeder Insasse bekam ein Fläschchen Wasser in die Hand gedrückt, gefolgt vom dreckig grinsend ausformulierten Befehl, schön brav zu trinken. Eine Filmanspielung, die erst Stunden später verstanden werden soll … Die Busse bringen sich in Bewegung, fahren arg kompliziert eine Schleife, kommen hinter dem Kölner Hauptbahnhof an, halten. „So, da sind wir, alle aussteigen, weiter geht es mit dem Zug. (dramatische Pause) Nein, Spaß!“, tönt es von vorne. Die Fahrt geht weiter, die Spekulationen beginnen. „Geht’s in eine verlassene Irrenanstalt? Zur Burg Hohenzollern? Das schaffen wir doch heute nicht mehr!“ Die Stimmung gleicht einer Klassenfahrt, mit durch den Bus gerufenen Scherzen, jungen Leuten, die ihre Smartphones heiß laufen lassen und, ja, vereinzelte Businsassen sind sogar ein klein wenig nervös.

Es ist eine Nervosität, auf die sich die Teilnehmer bereitwillig einlassen. Für die beiden «A Cure for Wellness»-Previews haben sich rund 1.000 Teilnehmer (aufgrund der begrenzten Platzanzahl fielen davon etwas weniger als 150 auf Köln) gefunden, die Nachfrage war jedoch größer: Beide Vorstellungen waren ausgebucht. Oder streng genommen sogar überbucht. Wie es so oft bei den Community-Previews der Fall ist: „Zu Beginn haben wir die Gewinner nur einmal informiert und quasi die exakte Anzahl an Plätzen besetzt“, erklärt Porschen.

Er führt fort: „Das sorgte bei den ersten Previews dazu, dass die vorderen Reihen gerne mal frei blieben. Mittlerweile müssen die Gewinner eine Rückmail schreiben und ihre Teilnahme bestätigen. Und selbst dann müssen auch wir um 10-15% überbuchen, damit wir die Säle an dem Abend wirklich voll machen. Da kommt man schon mal ins Schwitzen, weil die sogenannte No-Show-Rate immer ein Lottospiel ist.“ Im Falle der Kölner «A Cure for Wellness»-Preview sollte sich das Lottospielen überaus bezahlt machen, wie sich zeigt: Im Saal konnte das ganze Filmlounge-Team nicht mehr Platz nehmen, weil bis auf fünf Gäste jeder Gewinner gekommen war. Das ist allerdings keinesfalls eine Selbstverständlichkeit: „Sobald etwas kostenlos ist, gibt es von Besuchern ein schwaches Commitment. 'Zur Sicherheit einfach zusagen. Wenn ich etwas Besseres habe oder doch keine Lust, es entsteht ja kein Nachteil', so der Gedanke. Daher ist das Alles oft ein Ritt auf der Rasierklinge, weil man umgekehrt auch Niemanden nach Hause schicken will.“

Persönlichkeit als Trumpf …


Die Busse kommen in Hürth an, was eigentlich nicht weit von Köln liegt, doch um die Community-Preview-Teilnehmer zu verwirren, fuhren sie ein paar Schleifen mehr auf der Autobahn. Vor dem historischen Einsaalkino Berli endet die Reise. Alle aussteigen, ein Popcorn und ein Getränk an der Theke holen, dann ab in den schmuckvollen Saal! Jeder einzelne Sitzplatz füllt sich, Gastgeber Porschen erklärt dem Publikum, dass dieses Kino für ihn eine besondere Bedeutung hat: Hier sah er 25 Jahre zuvor seinen ersten Kinofilm, lernte diese Kunstform sofort lieben. Später arbeitete er selber im Kino, unter anderem an der Theke und als Filmvorführer, aber auch als der Buhmann vieler Kinobesucher – als Eisverkäufer. Eine launige Anmoderation im Stand-up-Stil später gibt es einen kurzen Film über die Geschichte des Berlis und drei Trailer zu sehen, ehe aus dem Gastgeber wieder ein Eismann wird – welcher entgegen des Kinoalltags aber so viel Eis verkauft, dass er mehrfach Nachschub holen muss.

Das 1946 eröffnete Kino befindet sich mittlerweile in vierter Generation in Familienbesitz und ist trotz historischer Aufmachung und altertümlichem Charme ein technisch hochmodernes Lichtspielhaus. Die Besuchermaßen dürften allerdings im Alltag was größer sein als sie es bei dieser Sonderveranstaltung sind: Auf der Webpräsenz erklärt das Berli öffentlich und ganz ehrlich, dass es nur dank seines Stammpublikums weiterexistieren kann und daher hofft, sein Stammpublikum zu vergrößern. Insofern dürfte die Community-Preview nicht nur für den Verleih als Werbeaktion dienen, sondern auch fürs Berli.

Porschen bemüht sich aber, diesen kommerziellen Charakter für sein Publikum zu kaschieren: „Wir legen bei den Previews den Fokus nicht auf Bombast, sondern auf das persönliche Ambiente – auch bei den Abenden mit 340 geladenen Gästen. Man soll das Gefühl haben, von seinem besten Kumpel ins Kino eingeladen zu werden. Das nimmt auch den kommerziellen Charakter von einer Art Werbeveranstaltung für den jeweiligen Film. Das ist mir persönlich sehr wichtig, was auch gleichzeitig dazu führt, dass die Gäste sehr gerne öffentlich etwas zu einem Film schreiben und posten.“ Und so ergebe sich eine Win/Win/Win-Situation: Das Publikum hatte einen gelungenen Abend und lernt Kino vielleicht nochmal neu zu schätzen. Der Verleih kurbelt die Mundpropaganda für seine Filme an. Und für die Filmlounge-Crew, die diese Abende in kleinem Team und in Eigenregie gestaltet, sind diese Aktionen eine wichtige Verdienstsäule neben den Werbeeinnahmen bei YouTube.

Volles Haus, und kein Cent fließt zurück an den Verleih. Der Lohn ist die Mundpropaganda.


Die Verleiher begrüßen diese Aktionen. Neben Sony Pictures, Paramount Pictures und Constantin Film ist es vor allem 20th Century Fox, der an dieser Form des Marketings Gefallen gefunden hat – der Verleih ging auch eine Zusammenarbeit mit RTL II ein, um seine Filme in den jugendaffinen Soaps des Senders unterzubringen. Man muss das jugendliche Publikum halt zur Not auf ungewöhnlichem Weg daran erinnern, welche Magie ein Kinobesuch so hat, um als Kinoverleih langfristig in seine Zukunft zu investieren.

Nachdem Massen an Eis verkauft wurden, verdunkelt sich der Saal, der Film beginnt. Und obwohl «A Cure for Wellness» als an die Anfänge des Horrorkinos und die Psychothriller der 70er-Jahre angelehnte Produktion mit Überlänge nun nicht unbedingt der Filmstoff ist, aus dem die Kinoträume der typischen YouTube-Zielgruppe gemacht sind, herrscht eine wunderbar angespannte Atmosphäre im Saal. Über weite Strecken der neuen Regiearbeit des «Fluch der Karibik»-Machers Gore Verbinski könnte man eine Stecknadel fallen (und danach alle panisch aufschrecken) hören. Nur dann nicht, wenn der Film sich in seine härteren Momente begibt – und ein ganzer Kinosaal bibbert, schluckt, laut mitleidet. Und der Gastgeber diese Reaktionen aufnimmt, um danach dreckig zu lachen, wie sehr sich denn alle gerade gequält haben. Nach dem Film Bilden sich im Saal und Foyer sowie vorm Eingang kleinere Grüppchen. Es wird fleißig über den Film gepostet – noch fleißiger jedoch über ihn diskutiert. Was bedeutet das alles und welche Szene war die beste? „Jetzt will ich erstmal ein paar Tage lang nichts mehr trinken … Aber den Film, den will ich nochmal gucken!“

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