Cast & Crew
Produktion: Dorothy Parker Drank Here Productions, Picrow und Amazon StudiosSchöpferin: Amy Sherman-Palladino
Darsteller: Rachel Brosnahan, Michael Zegen, Alex Borstein, Tony Shalhoub, Marin Hinkle, Kevin Pollak, Joel Johnstone u.v.m.
Executive Producer: Amy Sherman-Palladino und Daniel Palladino
Das Problem: Ihm fehlt dafür jegliches Talent. Deshalb muss Midge mit opulent zubereiteten jüdischen Gerichten die Gatekeeper im Open-Mic-Club bestechen, damit die ihren Mann nicht nur zur Saure-Gurken-Zeit kurz vor der Sperrstunde auftreten lassen. Lacher erntet er nur, wenn er Nummern von Bob Newhart klaut.
Als all das eines Abends endgültig eskaliert, bricht bei Joel die geballte Frustration durch. Nach einem besonders desaströsen Auftritt im Club packt er im Streit die Koffer und verlässt Midge. Nicht nur emotional nimmt sie das ziemlich mit; auch aus gesellschaftlich-organisatorischen Gründen ist der Zeitpunkt schlecht gewählt: Am nächsten Tag ist großes Jom-Kippur-Fastenbrechen mit dem Rabbi. Ihre gutsituierten Eltern sind fassungslos vor der bevorstehenden Katastrophe – und geben natürlich Midge die Schuld: Sie habe sich damals entschieden, einen „schwachen“ Mann zu ehelichen, und müsse jetzt eben mit den Konsequenzen leben: Zieh dir dein hübschestes Kleid an, und hol ihn dir zurück, lautet der abgrundtief pragmatische Rat.
Midge reicht es. Sie säuft eine Flasche koscheren Weins und macht sich auf zu Joels Comedy-Club. Dort will sie eigentlich nur ihr Kochgeschirr zurückholen, in dem sie das letzte Bestechungsessen überreicht hatte. Aber im Rausch torkelt sie auf die Bühne – und Wahnsinn, was hat die Frau für ein komödiantisches Talent. Das erkennt auch Susie Myerson (Alex Borstein) sofort, die hinterm Tresen steht, in ihrer jahrzehntelangen Arbeit in Comedy Clubs allerdings ein exzellentes Gespür für aufstrebende Comedians entwickelt hat. Sie will Midge ganz groß rausbringen.
Um Gottes Willen, wie fürchterlich reaktionär hört sich das alles an. Eine eigentlich starke, intelligente, gebildete, wundervoll exzentrische, lebensfrohe Frau, die darauf runtergeschrieben wird, dass sie den bieder-rückständigen Erwartungen ihres Mannes nicht gerecht werden kann. Wie abstoßend klingt es erst, wenn eine solche Figur vom perfect man spricht, den zu treffen sie als primäres Lebensziel hat. Und was sind das für grässliche, lieblose, heteronormativ-chauvinistische Elternfiguren. Wo ist Emma Watson, wenn man sie braucht?
Die Antwort: Es sind die rückständigen Fifties. Denn man muss diesen (etwas oberflächlichen) ersten Eindruck relativieren. Nicht nur, weil ein Period Piece immer den Geist seiner Handlungszeit einfangen muss – und der war auch im urbanen Amerika der 50er Jahre konservativ bis reaktionär und weit weg von jedweden heute zeitgemäßen Gleichberechtigungsvorstellungen.
- © Amazon
«The Marvelous Mrs. Maisel» ist vielmehr die subtile Geschichte einer Emanzipation: Die Unterordnung der Frau unter die Wünsche ihres Mannes war in Midges elitär-konservativer Gesellschaft eine solche Selbstverständlichkeit, dass sie sie übernahm, ohne (zunächst) auch nur auf die Idee zu kommen, dieses Gesellschaftsmodell zu hinterfragen. Gleichzeitig fand sie im Familienleben als Hausfrau und Mutter doch auch eine ehrliche, aufrichtige Erfüllung. Aber der Ruf des Helden ist freilich stärker. Und bei einem katalysierenden Ereignis – Joel, der die Koffer packt – bricht die sublimierte Frustration schließlich durch.
Midge ist sicherlich ein exemplarisches Beispiel: Für Frauen, die in den 40er, 50er und 60er Jahren in gesellschaftlich exponiertere Rollen drängen, im Allgemeinen, und ein ganz bestimmtes, wirtschaftlich wie intellektuell elitäres, großstädtisches, jüdisches Milieu im Besonderen. Äußerst gelungen zeichnet diese Serie dabei jedoch eine höchstpersönliche Motivation – den Wunsch nach Selbstverwirklichung – als Ursprung dieses gesellschaftlichen Phänomens.
Midge ist im Stillen eine Vorkämpferin, ohne dass sie von ihrer historischen Rolle wirklich weiß. Schade, dass es sie in der Wirklichkeit nicht gegeben hat – wie natürlich auch die konkreten zeitgeschichtlichen Hintergründe so nicht die tatsächliche historische Realität wiedergeben. Der Schöpferin Amy Sherman-Palladino geht es eher um einen bestimmten Look and Feel als um einen historisch exakten Nachbau. Das sei bei einem solchen Format verziehen. Denn seine erzählerische, filmische Ambition liegt auf einem ganz anderen Element. Der Palladino-typischen Wittiness, die schon ihre «Gilmore Girls» zu einer so wunderschönen, klugen, popkulturell ganz feinsinnig beobachtenden, psychologisch aufmerksamen Serie werden ließ.
Genauso wie das neuenglische Stars Hollow fängt das New York von «The Marvelous Mrs. Maisel» Amerikas exzentrische Seite ein, von der eine im Grundsatz unerschütterliche Lebensbejahung ausgeht. Aus dem Umstand, dass der Rabbi vor dreizehn Jahren noch die Hölle von Buchenwald mitgemacht hat, wird aus dem Mund der Jüdin Midge eine zackige Punchline. Auf Deutsche mag das schon unappetitlich zynisch wirken. Gerade das jüdische Amerika – das Milieu, in dem diese Serie spielt – findet in einer solchen Aufarbeitung allerdings einen Quell zum Weiterleben – an dem die truly marvelous Mrs. Maisel uns bitte noch lange Anteil haben lässt. Denn sie ist eine Heldin, wie sie Amerika in Grab-them-by-the-pussy-Zeiten so dringend braucht wie lange nicht.
«The Marvelous Mrs. Maisel» ist ab sofort bei Amazon Prime verfügbar.
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