Filmfacts: «Der seidene Faden»
- Regie, Kamera und Drehbuch: Paul Thomas Anderson
- Produktion: Paul Thomas Anderson, Megan Ellison, JoAnne Sellar, Daniel Lupi
- Darsteller: Daniel Day-Lewis, Lesley Manville, Vicky Krieps
- Musik: Jonny Greenwood
- Schnitt: Dylan Tichenor
- Laufzeit: 130 Minuten
- FSK: ab 6 Jahren
Denn während in Paris die weibliche Silhouette neu erfunden wurde, erklärt das Presseheft, und Männer wie Christian Dior exzentrisch Trends zu setzen wussten, stellte Modestandort London den schlichteren Cousin der Pariser Fashion dar: Kleinere, oft von Geschwistern geführte, Modehäuser setzten auf Tradition und bei aller Eleganz auch auf eine gewisse Nützlichkeit – eine Kombination, die im von Entbehrungen geschundenen England Anklang fand und den Menschen half, im Nachkriegsalltag die in den Jahren zuvor angewöhnte Entbehrlichkeit wieder abzustreifen.
Diese Hintergedanken Andersons sind durchaus in «Der seidene Faden» wiederzufinden – wenngleich teils nur in Spurenelementen: Der Vergleich zu Paris und neuen Strömungen in der Mode wird mit einem Nebensatz abgegolten, ist nicht etwa zentrales Thema dieses Kostümfilms. Dieser fokussiert sich eng auf die Gebaren des fiktionalen Modeschöpfers Woodcock, der intensiv selber mit anpackt, seine kleine Belegschaft bis in die späten Nachtstunden fordert und der ein Auge für althergebrachte Stoffe und Modekonzepte hat, die er behutsam seinem Willen anpasst.
Von Schlichtheit oder Nützlichkeit ist – in Ermangelung der Vergleiche mit der französischen Modewelle – keine weitere Rede, während das Traditionsbewusste dank der ausschweifenden, minutiös zusammengestellten Ausstattung des Films aus der Leinwand trieft. Und das ebenso sehr wie der schneidende Gegensatz zwischen Woodcocks Modekosmos und dem rustikal-bäuerlichen Alltag auf dem englischen Land, der in «Der seidene Faden» immer wieder aufschimmert.
Der eigentliche Dreh- und Angelpunkt von «Der seidene Faden» ist dennoch die verworrene Beziehung zwischen Woodcock und der früheren Kellnerin Alma, die der nur wenige soziale Kontakte pflegende Modezar eines Morgens in einem Gasthaus entdeckt. Er ist von ihrem Körperbau begeistert – sie hat in seinen Augen die perfekte Figur, um seine Mode aufzutragen. Und so lässt er sich von Almas Anwesenheit zu neuen Höchstleistungen inspirieren. Zum Ausgleich darf sie in seinem Anwesen leben und wird verwöhnt – aber auch beim morgendlichen Frühstück angeschnauzt und mit all seinen sonstigen Launen bedacht. Alma jedoch will nicht bloß die stille Muse sein, die alles hinnimmt, sondern gibt Widerworte. Das sorgt im Hause Woodcock für Dramatik und große Veränderungen …
Die Dualität der Macht und unausgesprochener Konsens sind entscheidende Schlüsselpunkte in dieser Beziehungsdynamik, was Erinnerungen an diverse frühere Literatur- und Leinwandromanzen weckt. Filmnovizen werden womöglich an «Fifty Shades of Grey» denken (nur wesentlich züchtiger), ein in der filmischen Grundtonalität stärker zutreffender Vergleich wäre indes Hitchcocks «Rebecca». Anderson legt seinen Stoff nämlich weniger als stringente Erzählung mit normierten dramaturgischen Wendepunkten an, sondern eher als äußerst atmosphärisches Stimmungsstück:
Die 130 Minuten Laufzeit sollen dazu dienen, dass wir im Publikum es Alma zu gewissem Grade gleichzutun und völlig in Woodcocks Welt abtauchen. Anderson, der hier erstmals selber die Kamera führt, erschafft mit seinen nur aufs nötigste ausgeleuchteten, auf Film gebannten, ausdrucksstarken Bildern eine nahezu gotische Stimmung und die Tonabmischung ist ein kleines Wunderwerk: Die Stoffe der verschiedenen Kleider knistern, rascheln und surren in unterschiedlichen Klängen, Kaminfeuer knistern im Hintergrund sinnlich oder auch sinister und ein Schnaufen von Day-Lewis und ein Schmatzen (oder das Fehlen dessen) aus Krieps' Mund können die gesamte Stimmung zum Kippen bringen.
Versetzt mit extrem trockenem, aber überraschend häufig eingesetztem Humor ist diese komplexe Künstler-Muse-Machtbeziehung ein sehr langsam brennendes, aber faszinierendes Drama, bei dem weniger die eigentliche Geschichte in den Bann zieht als die feine Weise, wie Anderson ihre verschiedenen Ausprägungen und Schichten zusammennäht. Dennoch: Sollte es wirklich Day-Lewis' Abschiedsvorstellung werden, wäre dies schade, da er hier zwar gewohnt facettenreich spielt, aber längst nicht so sehr packt wie etwa in «Lincoln», «Gangs of New York» oder «There Will Be Blood». Für Paul Thomas Anderson ist «Der seidene Faden» nach dem ziellosen «Inherent Vice» allerdings eine Rückkehr zu der Form, die er vorher etwa mit «The Master» gezeigt hat.
Fazit: Ein modisches «Rebecca» in englischer Nachkriegskulisse: Paul Thomas Anderson setzt hier vornehmlich auf Stimmung und Aufmachung – und fährt dazu feinstes filmisches Kunsthandwerk auf. Das tröstet zumindest das geneigte Publikum darüber hinweg, dass die Charakterzeichnung zwar komplex verwoben, aber dünn wie Seide ist.
«Der seidene Faden» ist ab dem 1. Februar 2018 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
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