Popcorn, Rollenwechsel und Kinoformen
Dann aber wird Isi nicht nur ihr neustes Praktikum genommen, weil sie zu ambitioniert an die Sache heranging. Sie verliert auch noch Lotte als Leidenspartnerin. Denn die verliebt sich ernstlich und zieht obendrein einen gut bezahlten, spießig-ambitionslosen Job an Land. Lifestylejournalismus für junge, vegane Mütter – das ist Lottes neues Leben. Isi stürzt dagegen ab, verfällt einem Sog aus extern erzeugter Antriebslosigkeit und innerer Frustration über das Unverständnis, das ihr entgegengebracht wird …
Mit «Einmal bitte alles» erschufen die Drehbuchautorinnen Sina Flammang und Madeleine Fricke sowie Regisseurin Helena Hufnagel eine Art «Die Schönen und Verdammten» für einen sehr spezifischen Teil der Generation Y. Sie fangen in Filmform das Lebensgefühl heutiger Mitt-bis-Endzwanziger ein, die nicht aus einer ebenso gut betuchten, wie wirtschaftlich hilfsbereit gewogenen Familie stammen, und die sich trotzdem dummdreist dazu entschlossen haben, nicht etwa in einen Zahlenverdreher-, Handwerks- oder Bürokratie-Berufszweig zu gehen, obwohl dort eine gesunde Bezahlung garantiert ist, und die allein schon deshalb, weil sie Respekt, Zukunftsperspektive, vernünftige Löhne sowie ein offenes Ohr für ihre Sorgen fordern, als kindische, egomanische Träumer abgestempelt werden.
Es geht um die Teilgeneration des Bildungsbürgertums, die dem Ruf ihres Talents und ihrem Selbstverwirklichungsdrang folgte, aber zu jung ist, um die allerletzten Atemzüge eines vergangenen Wirtschaftshochs in ihrer Sphäre mitzunehmen – und die gleichzeitig zu alt ist, um sich zurücklehnen und auf eine generelle, wirtschafts- und sozialpolitische Verbesserung warten zu können. Zu erwachsen, um Probleme weiter weglachen zu dürfen, durch die Umstände zu sehr in eine kindliche Lebensweise gezwungen, um auf einen ausgereiften Plan B zurückgreifen zu können.
- © Filmschaft Maas & Füllmich
Tanzen und quarzen gegen die innere Unzufriedenheit.
Hufnagel inszeniert diese Lebensgefühl-Dramödie mit der amüsierten, behutsam skurrilen Bittersüße eines «Garden State»: Die Lichtsetzung durch Kamerafrau Aline Laszl ist stilisiert-farbverwaschen, ohne dem Stoff seinen Realismus zu rauben, der Strom aus Hintergrundsongs ist unklar in seiner Grundemotionalität. Launen und Tage verschwimmen in «Einmal bitte alles» zu einem Flirren aus ernüchternder Situationskomik, Stillstand, Rückschlägen und verzweifelt erkämpften Atempausen – so, wie es sich halt manchmal anfühlt, wenn man selber genau weiß, es im globalen Gesamtbild echt gut zu haben, und dennoch das Gefühl hat, im eigenen, westlichen Mikrokosmos mit gezielt schlecht gemischten Karten abgezockt zu werden.
«Einmal bitte alles» kommt dank seines bayerisch-gemütlichen Settings ohne Berlin-Hipstertum, selbstverliebtem Rumgewimmer oder forcierter Coolness aus und glänzt mit Luise Heyer sowie Jytte-Merle Böhrnsen als zwei ähnlich startende, sich entzweiende Repräsentantinnen der besagten, potentiell verlorengehenden Teilgeneration Y. Ein filmisches Muss für alle, die ihr angehören, Leute kennen, die ihr angehören, oder die einfach endlich verstehen wollen, warum sie so unzufrieden ist.
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