Filmfacts: «Heilstätten»
- Regie und Schnitt: Michael David Pate
- Drehbuch: Michael David Pate, Ecki Ziedrich
- Darsteller: Sonja Gerhardt, Tim Oliver Schultz, Nilam Farooq, Lisa-Marie Koroll, Timmi Trinks, Emilio Moutaoukkil
- Produktion: Till Schmerbeck
- Kamera: Pascal Schmit
- Musik: Andrew Reich
- Laufzeit: 89 Minuten
- FSK: ab 16 Jahren
Doch selbst, wenn die Figuren gelungen sind, droht Found-Footage-Horror, bei jenen an Wirkung zu verlieren, die nicht anders können, als den üblichen "Es passiert nichts, plötzlich geschieht kurz etwas schreckliches"-Duktus des Genres zu durchschauen. «Gefällt mir»-Regisseur Michael David Pate und sein Schreibpartner Ecki Ziedrich («Wilsberg») nutzen in «Heilstätten» einen ebenso simplen wie pfiffigen Kniff, um dieses Problem gekonnt zu umschiffen: Sie unterfüttern ihr Found-Footage-Horrormaterial mit süffisantem Humor, indem sie als zentrale Figuren eine Anhäufung von YouTuber-Karikaturen durch den titelgebenden Schauplatz irren lassen:
Im ewigen Wettkampf um mehr Klicks und Fans kommt es in der deutschen YouTube-Szene zu einer ungewöhnlichen Zusammenarbeit: Die Prankster Charly (Emilio Sakraya) und Finn (Timmi Trinks) drehen ein Crossover mit Beautyqueen Betty (Nilam Farooq), in dem sie sich zu einer 24-stündigen Angst-Challenge herausfordern. Diese spielt sich auf dem abgelegenen, verfallenden Gelände der Heilstätten ab, einem angeblich verfluchten Krankenhaus aus der NS-Zeit. Auch die vergleichsweise erfolglose YouTuberin Marnie (Sonja Gerhardt), die motivierende Videos über Angstbekämpfung macht, mischt bei dieser waghalsigen Aktion mit – all dies dank eines früheren Schulfreundes des Streichespielers Finn.
Der verbohrte Theo (Tim Oliver Schulz) ermöglicht der Selbstdarstellerbande den Zugang zum Gelände und erklärt ihr, was es mit diesem schaurigen Ort auf sich hat. Zunächst einmal sind es die Kabbeleien innerhalb des YouTuber-Gespanns und seine albernen Dummheiten, die für Schrecken in den Heilstätten sorgen. Aber nach und nach drängt sich der Verdacht auf, dass es hier tatsächlich mit übernatürlichen Grauen vor sich geht …
Nach einem kurzen Prolog, der wie aus dem kleinen Einmaleins des Found-Footage-Horrors entsprungen scheint, stellt Pate zunächst seine Hauptfiguren vor – in all ihrer Oberflächlichkeit und aggressiven Selbstdarstellung sowie Selbstvermarktung. Pate, der spätestens seit «Kartoffelsalat» bestens wissen sollte, wie YouTuber so ticken, überspitzt den Inhalt, die Ästhetik sowie das Vokabular typischer YouTube-Teenagerlieblinge nur minimal, doch so zielgenau, dass der Einstieg in «Heilstätten» als spritzig-beißende Parodie auf die digitalen, oft verlogenen Jugendidole dient. Sobald die eigentliche Handlung ins Rollen kommt, drosseln Pate und Ziedrich zwar die Schlagzahl an Seitenhieben gen YouTuber, trotzdem bleiben sie ein wichtiges Element des Films.
Egal, ob sie andauernd ihr Ego kraulen, in jeder noch so gefährlichen Situation die Kamera laufen lassen, weil das Material ja Klicks bringen könnte oder ob sie von Theo ihre Recherchefaulheit vorgeworfen bekommen: Die Figurenzeichnung in «Heilstätten» ist eine spitzfindig-akkurate YouTuber-Karikatur, womit der Film denjenigen, die sich von Pates Gruselpassagen nicht schrecken lassen, wenigstens Unterhaltung geboten bekommen. Je nachdem, wie empfindlich man persönlich auf geistigen YouTube-Dünnpfiff reagiert, weiß alternativ auch schlicht Pates Zerrbild berühmter YouTube-Persönlichkeiten, einen Schauer zu erzeugen, der den Rücken entlang sifft.
Abseits dieses Elements weiß «Heilstätten» als klassischer Found-Footage-Horrorfilm durchaus zu überzeugen – nicht zuletzt, weil er mit seinem "YouTuber filmen alles"-Aufhänger in sich schlüssiger ist als viele andere Filme, die sich als selbstgefilmtes Material der Protagonisten ausgeben. Hinzu kommt die schaurige Ausstrahlung des realen Schauplatzes und Pates ausgewogene Verwendung falscher Fährten und genregerechter Schreckmomente, wodurch sich die Vorhersehbarkeit der unvermeidlichen "Plötzlich passiert eine üble Sache"-Augenblicke in Grenzen hält. Die Schnittarbeit ist effektiv, über den Soundmix lässt sich ebenso wenig klagen – eher darüber, dass Pate im letzten Drittel in recht hoher Schlagzahl auf den "Mist, jemand fällt im Dunkeln tief"-Kniff setzt. Dafür weiß die angespannte Dynamik innerhalb der Hauptgruppe, die Suspense etwas höher zu schrauben, selbst wenn für die wenigen weiteren Akteure von «Heilstätten» nicht genug Material über bleibt, um bleibenden Eindruck zu hinterlassen – nicht einmal für die durchaus namhafte Lisa Marie Koroll (bekannt aus der «Bibi & Tina»-Reihe).
Wenn Pate nach den eher zahmen ersten beiden Dritteln von «Heilstätten» stetig die Gewaltschraube aufdreht und sowohl mit Genremoral als auch mit Genrekonventionen spielt, verleiht er seiner dritten Kino-Regiearbeit letztlich einen denkwürdigen Abgang. Selbst wenn er bei erfahreneren Genrefreunden für Diskussionen sorgen dürfte, ist es für die Kernzielgruppe eine punktgenaue Schlusspointe – und dem deutschen Horrorkino wäre es sowieso zu wünschen, dass «Heilstätten» sein Publikum findet. Erst recht, weil dann ganz nebenher die Chance besteht, dass ein paar Jugendliche nochmal kritischer über hohle Schminkvloggerinnen und krasse Prankster nachdenken ..
«Heilstätten» ist ab dem 22. Februar 2018 in einigen deutschen Kinos zu sehen.
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21.02.2018 15:38 Uhr 1