Die Kino-Kritiker

«I, Tonya»: Eiskunstlauf – Voll auf die Zwölf!

von   |  6 Kommentare

«The Wolf of Wall Street»-Star Margot Robbie brilliert in der Rolle der sogenannten 'Eishexe' Tonya Harding – und knüppelt allen die Beine weg, die ein festgefahrenes Bild von ihr haben.

Filmfacts: «I, Tonya»

  • Regie: Craig Gillespie
  • Produktion: Tom Ackerley, Margot Robbie, Steven Rogers, Bryan Unkeless
  • Drehbuch: Steven Rogers
  • Darsteller: Margot Robbie, Sebastian Stan, Allison Janney, Julianne Nicholson, Bobby Cannavale, Paul Walter Hauser
  • Musik: Peter Nashel
  • Kamera: Nicolas Karakatsanis
  • Schnitt: Tatiana S. Riegel
  • Laufzeit: 119 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Um «I, Tonya» zu beschreiben, bräuchte es im Grunde genommen nur ein paar Worte: In. Die. Fresse. Und zwar mit Karacho und Methode. Wenn es aber unbedingt sein muss, lässt sich diese Feststellung auch schön brav und getreu den Normen dieser Textform ergründen. Also: «I, Tonya» ist der neue Film des «Lars und die Frauen»-Regisseurs Craig Gillespie. Und Gillespie schlägt sich hier, bewaffnet mit einem Drehbuch des «Kate & Leopold»-Autoren Steven Rogers, durch die von Widersprüchen, offenen Fragen und Missverständnissen geprägte, wahre sowie viel diskutierte Geschichte der Eiskunstläuferin Tonya Harding.

Wären ein paar Dinge anders verlaufen, wäre Harding vielleicht als Underdog ihrer Disziplin in die Sportgeschichte eingegangen. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend, asthmatisch, eher burschikos in ihrem Auftreten und rockige Musik der Klassik vorziehend, wurde sie allem zum Trotz 1990/91 US-Eiskunstlaufmeisterin und erlangte in derselben Saison Silber bei der Weltmeisterschaft. Aber so hat es nicht sollen sein. Statt einer "Von der Straße zur Meistersportlerin"-Narrative dominierte der Pressetenor, dass Harding nicht in den grazilen, glitzernden Heile-Welt-Sport des Eiskunstlaufs passt.

Oh. Und dann war da ja noch diese Sache. Diese eine Sache … Hardings engste US-amerikanische Rivalin um Eiskunstlaufruhm, Nancy Kerrigan, wurde kurz vor den Olympischen Winterspielen 1994 mit einer Eisenstange attackiert. Die Medien stürzten sich auf diesen Vorfall. Ebenso wie das FBI. Schnell kam es zu Vermutungen, dass die Rüpeleiskunstläuferin Tonya Harding damit zu tun hatte und sich so ihre Konkurrenz aus dem Weg räumen wollte.

Klarheit sollte es jedoch nicht geben. Während sich definitiv zurückverfolgen lässt, dass Hardings Ex-Ehemann und ihr selbsternannter Bodyguard diesen Vorfall losgetreten haben, ist Hardings Beteiligung umstritten. Ihre öffentliche Persona steht dagegen seither fest. Die brutale Eishexe ist ihre asozialen Wurzeln nie losgeworden und hat ihre Prinzessin von einer Rivalin aus Neid niederprügeln lassen. Was für ein Miststück!

«I, Tonya» nimmt Abstand von dieser Sichtweise auf seine Titelheldin – und beleuchtet ihre dramatische sowie kontroverse Geschichte bewusst auf eine ironische Weise: Immer wieder bricht diese schwarzhumorige, dennoch eine enorme Fallhöhe aufweisende Elf-Millionen-Dollar-Produktion mit Konventionen biografischer Filmdramen. Nehmen sogenannte Biopics üblicherweise eine geradlinige Position zu ihrer zentralen Person ein und blenden alternative Blickwinkel bewusst aus, suhlt sich «I, Tonya» darin, dass Erinnerungen trügerisch sein können und unterschiedliche Augenzeugen öfters variierende Aussagen tätigen.

Diese "Ja, das hier basiert auf wahren Ereignissen, doch wer kann schon behaupten, die absolute Wahrheit gepachtet zu haben?"-Attitüde teilt sich «I, Tonya» mit Filmen wie «The Big Short» (in dem Tonya-Harding-Darstellerin Margot Robbie passenderweise einen genialen Cameo absolviert): Wiederholt unterbrechen Figuren die Handlung, zerstören so die filmische Illusion, und geben ihren Senf dazu, um ein unglaublich erscheinendes Szenario als real zu bestätigen – oder als Erfindung der Klatschpresse. In mit höchster Penibilität nachgestellten Interviewsequenzen, die den Filmverlauf einordnen, häufen sich zudem weitere Widersprüche – sowohl zwischen den Beteiligten als auch innerhalb der individuellen Nacherzählungen des Ganzen.

Dem Hin und Her verleiht Cutterin Tatiana S. Riegel («Fright Night») durch ihren energiereichen Schnitt eine mitreißende Dynamik, die fetzige Songauswahl aus Geheimtipps und Chartstürmern treibt den Drive von «I, Tonya» weiter voran. Somit wird aus der Kinoversion von Tonya Hardings Leben quasi das uneheliche, eiskunstlaufversessene Kind von «The Big Short» und «Goodfellas» – ohne, dass Craig Gillespie die Geschehnisse beschönigt.

Die satirisch-ironische Attitüde wirft Gillespie nämlich abrupt ab, wenn er sich Themen wie gesellschaftlicher Doppelmoral oder häuslicher Gewalt nähert – und diese Themen kommen in einer Nacherzählung von Tonya Hardings Geschichte zwangsweise auf. Wenn dieser schmissige, unterhaltsame Film erschrocken innehält, sobald eine auf alt und verlottert geschminkte Margot Robbie als Tonya Harding in die Kamera sagt, dass sie sich durch die Medien missbraucht fühlt, gleicht dies einem zielgenauen Messerwurf. Genauso versteht es Allison Janney als Rabenmutter mit Kodderschnauze, ihrer Rolle genau dann die karikaturesken Aspekte zu entziehen, wenn es so richtig weh tut. Als würde sie dem Publikum eine Lektion erteilen wollen: "Humoristische Distanz zum Gezeigten? Ist was für Luschen …"

Mehr noch als Janney, «The Return of the First Avenger»-Mime Sebastian Stan (als schlechter Ehemann, der in den Augen einer unglücklichen Tonya Harding zeitweise das Beste ist, was ihr geschehen kann) und Paul Walter Hauser als Teilzeit-Irrer und Pseudo-Bodyguard Shawn Eckhardt begeistert aber Margot Robbie. Die Australierin, die zudem als Produzentin an «I, Tonya» mitgewirkt hat, ist auf einer Meta-Ebene die Anti-Tonya – und gerade daher die perfekte Besetzung.

Die zeitgenössische Presse hat Tonya Harding unentwegt ihr Erscheinungsbild und ihren Familienhintergrund vorgehalten und sie daher als ungenügend für ihren betont schönen Sport erachtet. Margot Robbie dagegen ist eine immens starke Schauspielerin – der zumindest Teile des Publikums und des Filmjournalismus jedoch nie ernsthafte Anerkennung haben zukommen lassen, um sich stattdessen an ihrem modelhaften Aussehen aufzugeilen. «I, Tonya» lässt diese beiden Gegenpole mit voller Macht kollidieren. Heraus kommt ein elektrisierender Film. Ein elektrisierender Film, der Robbie hoffentlich nachhaltig in der Öffentlichkeit als das Schauspieltalent zementiert, das sie ist, und der die sensationalisierte Vita Harding mit Empathie und Medien- sowie Gesellschaftskritik versieht. In gesundem Maße, versteht sich. Denn nur, weil dieser Film mit seiner Energie und Direktheit brachial auf die Fresse gibt, muss er ja nicht in Extremen denken. Wie gesagt: «I, Tonya» hat Karacho und Methode.

Fazit: «The Big Short» und «Goodfellas» haben ein uneheliches Kind, das dem Eiskunstlauf verfallen ist: «I, Tonya» ist ein Biopic, das volles Rohr austeilt.

«I, Tonya» ist ab dem 22. März 2018 in einigen deutschen Kinos zu sehen.

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Es gibt 6 Kommentare zum Artikel
Kingsdale
20.03.2018 09:05 Uhr 1
Habe ihn schon gesehen und finde ihn nur abgrundtief Schlecht! Das ist kein Biopic sondern eher eine Veralberung ähnlich wie Pain and Gain. Ob das wirklich, teilweise so dümmlich abgelaufen ist, wage ich doch zu bezweifeln.
SatNichtKabel
23.03.2018 19:26 Uhr 2
Kommt der Film nicht 20 Jahre zu spät?

Wie bei "Die Peanuts" (der mindestens 10 Jahre zu spät kam)

erinnert sich doch kein Schwein mehr an Tonya Harding;

wer soll sich das dann angucken?
Waterboy
23.03.2018 19:39 Uhr 3
Immerhin so viele das es allein in Amerika trotz R-Rated für 30 mio Dollar ein Spiel reicht.

Inkl award-nominierungen und Gewinne wie golden Globe und Oscar
Florence
23.03.2018 22:07 Uhr 4

Wo genau steht denn geschrieben, dass eine Biopic auschließlich trocken und nüchtern erzählt werden muss? Das ist das schöne an Filmen, es gibt immer unterschiedliche Arten etwas zu inszinieren. Wenn es dir rein ein faktische Abarbeitung geht, dann solltest du eventuell auf Dokumentationen umschwenken.



Jeder der einen guten Film sehen will? Man muss doch keine Filme zwanghaft nach Aktualität der Ereignisse produzieren. Die Geschichte selbst kann einem heutigen Publikum genauso gut präsentiert werden, wie vor 20 Jahren.
Anonymous
24.03.2018 13:28 Uhr 5
Zumal etwas Abstand zum Ereignis die Perspektive verändern kann. Ich bin mir sicher, dass "I, Tonya" so in den 90ern nicht entstanden wäre.
Princeps
24.03.2018 15:30 Uhr 6
Ich würde mir von machen wünschen, dass sie zwischen „gute Sache“ und „Sache, die mir gefällt“ sowie „schlechte Sache“ und „Sache, die mir nicht gefällt“ unterscheiden (könnten). Qualität ist nämlich keine Geschmacksfrage.



Und „I, Tonya“ trotz mancher Schwächen ein wirklich guter Film.

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