Filmfacts: «Grenzenlos»
- Start: 02. August 2018
- Genre: Drama/Romanze/Thriller
- Laufzeit: 112 Min.
- FSK: 12
- Kamera: Benoît Debie
- Musik: Fernando Velázquez
- Buch: Erin Dignam
- Regie: Wim Wenders
- Darsteller: Alicia Vikander, James McAvoy, Alexander Siddig, Jannik Schümann, Harvey Friedman
- OT: Submergence (DE/US/FR/ESP 2017)
Wenders inszeniert den komplexen Roman, den der Autor als „Erzählung über die eingeschränkte Wahrnehmung von der Welt“ begreift, als dreigeteilten Genremix aus Romanze, Survivaldrama und Entführungsthriller, dessen einzelne Elemente er nicht stimmig unter einen Hut bekommt. Lediglich den beiden Hauptdarstellern ist es zu verdanken, dass «Grenzenlos» nicht völlig auseinanderfällt. Und die Art und Weise, wie es Alicia Vikander («Tomb Raider») und James McAvoy («Split») gelingt, hier ein berauschtes Verliebtsein zu verkörpern, entschädigt über weite Strecken für einen bisweilen hanebüchen konstruierten Plot.
Die ganz große Liebe
Die Biomathematikerin Danny Flinders (Alicia Vikander) und der britische Geheimdienstmitarbeiter James More (James McAvoy) treffen sich durch Zufall in einem abgelegenen Hotel in der Normandie, wo sich jeder für sich auf eine gefährliche Mission vorbereitet. Sie verlieben sich fast schon gegen ihren Willen, aber erkennen schnell, dass sie füreinander die Liebe ihres Lebens sind. Kurz nach dem Abschied führt es James nach Somalia. Dort hat er den Auftrag, eine Organisation aufzuspüren, die Selbstmordattentäter nach Europa entsendet. Danielle „Danny“ Flinders dagegen arbeitet an einem Tiefsee-Tauchprojekt mit, um ihre Theorie über den Ursprung des Lebens auf unserem Planeten zu belegen. Bald schon trennen sie Welten voneinander. James wird von Dschihadisten gefangen genommen und hat keine Möglichkeit, mit Danny Kontakt aufzunehmen, während sie in einem Tauchboot den Meeresgrund erforschen will, ohne zu wissen, ob James noch am Leben ist…
In «Grenzenlos» geht es um drei verschiedene Geschichten: um die von Danny, jene von James und letztlich um die von beiden zusammen. Letztere ist am überzeugendsten, denn wenn sich die toughe Mathematikerin und der sie charmant umgarnende Geheimdienstler langsam näherkommen und sich schließlich Hals über Kopf ineinander verlieben, herrscht zwischen den beiden Darstellern eine solch stimmige Chemie, dass man ihnen das sukzessive Interesse füreinander jederzeit abkauft. Die anschließenden Szenen, in denen die beiden entweder gemeinsam am Strand spazieren oder sich auf dem Hotelzimmer Geschichten aus der Vergangenheit erzählen, inszeniert Wenders völlig frei von Akkuratesse und Präzision; er lässt Vikander und McAvoy einfach machen und prompt fühlt es sich so an, als wäre man tatsächlich hautnah dabei, wie zwei sich gerade noch fremde Menschen Gefühle füreinander entwickeln.
Diese Emotionen können sie auch in die anderen beiden Handlungsstränge hinüberretten, doch ausgerechnet mit der darstellerisch über jeden Zweifel erhabenen Alicia Vikander springt das Skript von Erin Dignam («The Last Face») hier alles andere als subtil um: Aus der zuvor noch so selbstsicheren jungen Frau wird plötzlich eine jammernde, permanent auf ihr Smartphone starrende Abhängige, die ihre beruflichen Pflichten aufgrund von Liebeskummer vernachlässigt. Einen solch radikalen Wandel – Vikanders Figur wird als betont unabhängige Singlefrau etabliert – kann die Schauspielerin zwar irgendwie noch durch ihr Können halbwegs stemmen, aber dem Film an sich tut das alles gar nicht gut.
Die Darsteller reißen's raus!
In Bezug auf den folgenden Handlungsstrang rund um Dannys Unterwasser-Mission bedeutet das Folgendes: Das zuvor geschürte Interesse für noch so abstrakte Ozeanforschung wird zu Gunsten einer banalen Selbstmitleidsodyssee vollkommen über den Haufen geworfen. Fortan besteht das Verhalten Vikanders fast nur noch aus mitleiderregendem Dreinblicken und alle paar Sekunden auf ihr Telefon starren, sodass selbst die durchaus betörend inszenierte Sequenz auf dem Meeresgrund wie nichtig an ihr und somit auch dem Publikum vorbeirauscht. Natürlich macht das alles schon irgendwie Sinn, wenn man um den Hintergrund des Romans weiß. Schließlich war der Autor vor allem daran interessiert, in seiner Geschichte die eingeschränkte Sichtweise auf unser Leben zu betonen; es ist nichts Anderes, was Danny in «Grenzenlos» macht, wenn sie glaubt, ihr Liebster habe sie vergessen und schreibe ihr deshalb keine Nachrichten mehr, dabei befindet er sich gerade in Gefangenschaft von Terroristen.
Das ist genauso wenig subtil wie es sich anhört, aber es lässt erahnen, dass unter dem erzählerischen Chaos eine Vision steckt. Eine solche, die anhand der Story rund um James noch weniger erkennbar ist: Seine Stippvisite nach Somalia entwickelt sich zum Höllentrip, bei dem die Verbindung zu den vorausgegangenen Ereignissen schließlich völlig abhanden kommt. Und als James schließlich noch die rein obligatorisch wirkende Halluzination von seiner so weit von ihm entfernten Geliebten schiebt, überspannt Wenders auch noch den Bogen zum Sentimentalen.
Im Gesamten fühlt sich «Grenzenlos» dann allerdings doch nicht wie ebenjene Vollkatastrophe an, auf die all die zuvor genannten Indizien hindeuten. Der Grund dafür sind allerdings nicht nur die beiden Hauptdarsteller, die ihre Figuren trotz bisweilen absurder Charakterentwicklung mit Leben füllen und erden können. Es ist vor allem die grundsympathische Inszenierung. Wim Wenders mag sich an dem üppigen Stoff übernommen haben, weil er in seiner schieren Masse nicht in einen Film passt, wie es «Grenzenlos» nun geworden ist. Aber sein Drama ist von einer leidenschaftlichen Naivität geprägt, die einen letztlich viel besser unterhält, als hätte man das Ganze deutlich verkopfter aufgezogen. Wenders stellt lieber die Banalität des Liebeskummers in den Vordergrund, oder greift beim angerissenen Somalia-Konflikt auf Plattitüden zurück, um sich ganz den inneren Kämpfen seiner beiden Protagonisten widmen zu können.
Das ganze Potenzial der Geschichte bleibt dabei völlig außen vor. Am Ende ist «Grenzenlos» ein Film über zwei sich Liebende. Und ja, wenn es Wenders nur um die Liebe gegangen wäre, hätte er es sich bei der Wahl der Vorlage auch einfacher machen können. Aber dann hätten sich am Ende vermutlich wieder alle darüber beschwert, dass er auf seine alten Jahre nicht mehr willens ist, etwas zu riskieren. Mit «Grenzenlos» mag er vielleicht auf eine gewisse Art und Weise gescheitert sein, da er den vollen Umfang des Romans nicht einfangen konnte. Aber im Gegensatz zu anderen Regisseuren seines Kalibers wird seine Arbeit wenigstens nicht langweilig.
Fazit
Erzählerisch ist «Grenzenlos» ganz großes Chaos, das der komplexen Romanvorlage zu keinem Zeitpunkt gerecht wird. Aber nicht nur Alicia Vikander und James McAvoy füllen dieses Chaos mit Leidenschaft, auch der Inszenierung selbst ist anzumerken, dass Wim Wenders aller Kritik zum Trotz noch lange nicht zum alten Eisen gehört.
«Grenzenlos» ist ab dem 2. August in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
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