Filmfacts: «Die Unglaublichen 2»
- Regie und Drehbuch: Brad Bird
- Produktion: John Walker, Nicole Paradis Grindle
- Musik: Michael Giacchino
- Kamera: Mahyar Abousaeedi, Erik Smitt
- Schnitt: Stephen Schaffer
- Laufzeit: 125 Minuten
- FSK: ab 6 Jahren
Es dürfte zu einem nicht unerhebliche Grad ein Testament dessen sein, wie sehr Superheldenfilme seit 2004, also seit der Veröffentlichung des Vorläufers, an Popularität gewonnen haben. Brad Birds erste Geschichte über die Superfamilie Parr und ihre Superprobleme lief an, bevor Christopher Nolans «The Dark Knight» und das Marvel Cinematic Universe das Ansehen filmischer Superheldenerzählungen enorm angehoben haben. Der Erfolg von «Die Unglaublichen 2» ist obendrein Beweis dafür, wie sehr sich Muskelmann Bob Parr alias Mr. Incredible, die biegsame Helen alias Elastigirl sowie ihre drei Kinder Violet, Flash und Jack-Jack in die Herzen einer Generation von Filmfans gekämpft haben. Vor US-Kinostart riefen zahlreiche erwachsene Fans in sozialen Netzwerken jüngere Pixar-Fans dazu auf, dem Film in den ersten paar Kinowochen fern zu bleiben. Sie hätte als Kinder oder Jugendliche «Die Unglaublichen» entdeckt und hätten es nach 14 Jahren Wartezeit verdient, das Sequel ohne störendes Kindergeplärr auf der Leinwand zu sehen. Ein digitaler Aufruf, der mit viel Häme quittiert wurde – aber auch zeigt, wie enorm die Vorfreude war.
Bedauerlich, dass Pixar dieser großen Vorfreude nicht mit ebenso großer Geduld und Ruhe entgegnet ist. Denn im Gegensatz zum so stringent durchdachten Original wirkt «Die Unglaublichen 2» erschreckend fahrig und unkonzentriert, so, als wäre trotz der langen Wartezeit der Schreibprozess hinter dem Superheldenabenteuer gehetzt abgelaufen. Nur, dass wir den Konjunktiv streichen können: Weil der Entwicklungsprozess des zwischenzeitlich für 2018 geplanten Sequels «Toy Story 4» schleppend verlief, musste die Spielzeuggeschichte nach hinten geschoben werden. Da Pixar 2018 nicht ohne neuen Kinofilm verstreichen lassen wurde, beschloss die Geschäftsführung, «Die Unglaublichen 2» von 2019 auf 2018 vorzuziehen und nach über einem Jahrzehnt des Wartens urplötzlich das Gaspedal bis zum Anschlag durchzudrücken.
Erstaunlicherweise ist das der Optik dieser 200-Millionen-Dollar-Produktion kaum anzusehen. Wie schon der im Herbst 2017 veröffentlichte Pixar-Mexiko-Trip «Coco» ist auch «Die Unglaublichen 2» ein (farb-)ästhetisches Glanzwerk: «Ratatouille»-Regisseur Brad Bird und sein Team, darunter Produktionsdesigner Ralph Eggleston («Alles steht Kopf»), Art Director Josh Holtsclaw («Kubo: Der tapfere Samurai») sowie Colorist Mark Dinicola («Coco»), nehmen den stilistischen Gesamteindruck des Erstlings und toppen ihn mit gewachsener technischer Raffinesse und gestiegenem künstlerischem Selbstbewusstsein:«Die Unglaublichen 2» spielt in einer detailreichen Welt des 50er-Jahre-Retrofuturismus. Klobige Schwarz-Weiß-Fernseher koexistieren mit schnittigen Magnetschwebebahnen, und wie schon «Die Unglaublichen» setzt das Sequel das 50er-Grafikverständnis mit markanten geometrischen Formen und kräftigen Farben um.
Die Welt von «Die Unglaublichen 2» besteht aus zahlreichen, satten Rot-Tönen, bei Sonnenuntergang durchziehen Streifen von Mauve und Magenta den Himmel, Großstadtpanoramen vibrieren förmlich dank gülden schimmernden Lichtreflexionen. «Die Unglaublichen 2» ist eine visuelle Wonne, die den (der damaligen Technik verschuldeten) dezenten Grauschleier ihres Erstlings ablegt, um nun in neuer Kraft zu erstrahlen. Und natürlich ist auch die Figurenanimation filigraner und aussagekräftiger geworden – zumindest weitestgehend. In manchen emotionaleren Dialogpassagen ist das Ehepaar Incredible jedoch arg hyperaktiv animiert, als wären sie keine Figuren aus Einsen und Nullen mehr, sondern aus Einsen, Nullen, Taurin und Koffein. Ob da nun der Comiceinfluss zu intensiv befolgt oder sehr wohl aufgrund des Zeitmangels der letzte Feinschliff übergangen wurde, können nur Brad Bird und Konsorten verraten.
Auch musikalisch ist «Die Unglaublichen 2» eine konsequente Fortführung dessen, was Teil eins geliefert hat: Komponist Michael Giacchino nimmt klangliche Motive aus dem Erstling, James-Bond-Referenzen und Stilistiken aus den frühen Jahren des Superheldenkinos und vermengt sie, zusammen mit neuen Erkennungsmelodien, zu einem vergnügten, von Blechblasinstrumenten dominierten, jazzig-swingenden Score. Wo «Die Unglaublichen 2» jedoch halbgar geraten ist, ist ausgerechnet die Story. Anders als bei «Ratatouille», den Brad Bird ebenfalls vergleichsweise zügig unter Dach und Fach gebracht hat, erscheint dieser Superheldenfilm fahrig … Ansätze gibt es in rauen Mengen, aber sie alle bleiben narrativ und thematisch in der Schwebe.
Die Film beginnt damit, dass die Parrs Konsequenzen dafür zu tragen haben, dass sie am Ende von «Die Unglaublichen» das Gesetz übertreten haben. Und daraus wird kaum mehr als ein kleiner Plotmechanismus. Dann nimmt Helen einen Superheldenjob an, während Bob frustriert bei der Familie bleiben muss und daran zu zweifeln beginnt, ob seine Frau und er wirklich ein eingespieltes Team sind … Es ist also ein Rollentausch gegenüber dem Vorläufer, der aus seinem potentiellen "Lasst die Frauen an die Front!"-Thema letztlich keine Erkenntnisse oder Antworten zu ziehen vermag, sondern sich auf "Bob ist von den Familienpflichten überfordert"-Gags beschränkt.
Und weiter geht es: Ein neuer Superschurke, der Screenslaver, terrorisiert das Land und nutzt das, wovon sich eh alle freiwillig versklaven lassen, dazu, um den Willen der Bevölkerung zu steuern: Bildschirme. Nur, dass Bildschirme in der Welt von «Die Unglaublichen 2» keinen hohen Stellenwert haben, was die dramatische Ironie mindert. Und Screenslavers metatextueller Gänsehaut-Monolog über Nichtsnutze, die sich die Abenteuer von Superhelden anschauen, um aus ihrer Bedeutungslosigkeit zu fliehen? Der ist packend geschrieben, ja. Aber er hat keine weitere inhaltliche Relevanz, wirkt eher wie ein verworfener «A World Beyond»-Textbaustein, der nun in Birds neustem Film gelandet ist. «Die Unglaublichen 2» ist voll solcher halbgaren Ideen und Motive. Zusammengeklebt werden sie durch (tempo- und einfallsreichen) Cartoon-Slapstick rund um Superbaby Jack-Jack. Anders gesagt: Stiehlt gerade das Baby die Show, ist es so, als würde Bird durch das Rasseln mit dem Schlüsselbund davon ablenken, dass er gerade den Faden verloren hat.
Das ändert nichts daran, dass im ersten und zweiten Akt die Actionszenen dynamisch inszeniert sind und es gekonnt ausnutzen, dass in diesem rein digitalen Film die Kamera Fahrten unternehmen kann, die in realen Superheldenfilmen entweder unmöglich sind oder viel Trickserei benötigen, womit sie Gefahr laufen, als Mischmasch aus Realszene und Digitaleffekt künstlich auszusehen. Im Finale gehen Bird aber nach und nach die Ideen aus – und da das dramaturgische Fundament fehlt, wird die lang andauernde Superschlacht rascher ermüdend, als es bei ihrer Laufzeit wünschenswert wäre.
Fazit: Sieht gut aus, klingt gut, hat deutlich weniger im Kopf als sein Vorgänger. Einst war das Fortsetzungsalltag, aber mittlerweile sind Hollywood und das Superheldenkino da rausgewachsen.
«Die Unglaublichen 2» ist ab dem 27. September 2018 in vielen deutschen Kinos zu sehen – in 2D und 3D..
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