Popcorn & Rollenwechsel

Bloody Good Musicals

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Singen, tanzen, bluten: Nur weil es ein Musical ist, muss es längst nicht blutleer sein! Unser Filmliebhaber Sidney Schering zelebriert heute mehrere Musicals, die nicht nur mit Ohrwürmern punkten, sondern auch mit literweise rotem Saft.

Eine Frage, die mir in Smalltalk-Situationen gerne gestellt wird, ist: "Welche Art von Filmen magst du?" Und über die Jahre hinweg habe ich festgestellt, dass ich über kurz oder lang einfach auf eine bestimmte Filmgattung zu sprechen kommen muss. Das hat dann Signalwirkung und zeichnet auf, dass ich mich zumindest bemühe, für verschiedene Extreme des Mediums Film offen zu bleiben. Es ist auch dieselbe Art von Filmgattung, die ich in einem anderen Kontext fallen lasse, sobald ich Leute verwirren will. Denn selbst wenn die Auswahl an Beispielen für diese Filmgattung kontinuierlich wächst, ist es noch immer ein Filmspektrum, das bei vielen Menschen ein verwirrtes "Was zum Donner?!" abringt. Die Rede ist von blutigen Musicals!

Musicals, in denen gemordet wird, massig Blut fließt und sonst was passiert, das nur wenige Filmfans beispielsweise in einem Disney-Film erwarten würden, bringen offenbar noch immer mit großer Verlässlichkeit Film-Weltbilder zum Einsturz. Wird gesungen und getanzt, erwarten viele, dass es um eine heile Welt geht – oder um eine nahezu heile Welt, der zum großen Glück nur die große Liebe fehlt. Dass aber längst nicht alle Musicals «Die Schöne und das Biest» (ob gezeichnet oder real), «Grease» oder «Mamma Mia!» sind, müssten eigentlich schon Musical-Dramen wie «Anatevka», «Cabaret» und «Yentl» beweisen. Aber gut, wenn es Beispiele braucht, die etwas mehr "Auf die Fresse!" sind, sind die folgenden 'Bloody Good Musicals' mir mehr als willkommen!

«The Rocky Horror Picture Show»


Der crossdressende Großvater des immer populärer werdenden Musicals, das mit blutverschmierten Händen auf die selige, heile Welt pfeift: Jim Sharmans kultige Leinwandadaption von Richard O’Briens queerem, stolzem Bühnenstück ist exzentrisch, sagt Piefigkeit den schrillen Kampf an und verarbeitet Rockstar Meat Loaf zum Abendmahl. Ebenfalls sehr eigenwillig und kaum in Musical-Genrekonventionen zu quetschen: Das unter «Rocky Horror»-Fans umstrittene, beklemmende, medienkritische Semi-Sequel «Shock Treatment». Da trieft weniger Blut, dafür ist es fiebriger in seiner Erzählhaltung.

«Das Phantom im Paradies»


Noch bevor Jim Sharman die «Rocky Horror Picture Show» ins Kino entließ, versuchte sich Brian De Palma an einer vor 70er-Jahre-Zeitkolorit triefenden Rockversion von «Das Phantom der Oper», in die sich auch ein Hauch «Faust» eingeschlichen hat. Die komödiantische Rockoper handelt von einem originellen Komponisten, der einen teuflischen Deal mit einem eitlen Plattenmagnaten eingeht und der sich in eine hübsche, talentierte Sängerin verliebt. Während die schöne Sängerin in die Finger des Plattenbosses gerät und Weltruhm erwartet, wird der Komponist bei einem Unfall entstellt und seiner Ideen beraubt, weshalb er tödliche Rache schwört. Ein unkonzentrierter, alberner, fiebriger Film mit stolz-sperriger Musik von Paul Williams. Kein zugänglicher Streifen, aber ein beeindruckendes Erlebnis!

«Sweeney Todd – Der teuflische Barbier aus der Fleet Street»


Als mehrfach preisgekrönte, hoch dramatische Leinwandadaption eines angesehenen Bühnenstücks der Broadwaylegende Stephen Sondheim ist «Sweeny Todd» wohl so etwas wie der Vorzeigeschüler in der Klasse der blutigen Musicals. Von Tim Burton mit gotisch-dunkelromantischer Eleganz inszeniert, aber auch mit einigen trocken-morbiden Humorelementen versehen, schmettert dieses gefühlsgewaltige Musical die düstere Story eines mordenden Barbiers in die Filmwelt hinaus. Johnny Depp begeistert als rauchig gestimmte Titelfigur, agiert deutlich nuancierter als die unsubtile Rachestory erwarten lässt, und die komplexen Kompositionen Sondheims sind hier dunkel-rockig angehaucht, selbst wenn dieses Filmmusical letztlich im Klassiksektor verortet bleibt, statt in die Kategorie der Rockmusicals zu wechseln.

«Repo! The Genetic Opera»


Darren Lynn Bousman, die Erste: Der Regisseur von «Saw II», «Saw III» und «Saw IV» widmete sich nach drei Runden Foltorhorror einem sehr speziellen Genremix. «Repo! The Genetic Opera» ist eine dystopische Sci-Fi-Horror-Rockoper mit comichaften Überzeichnungen. In einer Zukunft, in der es möglich ist, sich Organe auf Pump zu kaufen, werden sie im Falle unpünktlicher Bezahlungen einfach beim lebendigen Leib wieder entfernt. Nebenher werden Opernarien gesungen, Rocksongs, exzentrisch-atonale Liedlein, Teeniepop sowie elektronisch aufgepeppte Musicalmelodien. Das Ergebnis ist eine 38 Tracks starke, nahezu durchkomponierte Sinnesattacke.

«The Devil's Carnival»


Darren Lynn Bousman, die Zweite: Der Regisseur tat sich nach «Repo! The Genetic Opera» erneut mit Komponist Terrance Zdunich zusammen und erschuf einen diabolischen Fiebertraum von einem Film. Drei Sünder kommen in die Hölle, die einem altmodischen Zirkus gleicht, und wo sie in Zirkusnachahmungen von Äsop-Fabeln verwickelt werden, die ihren Missetaten gleichen. Das Ergebnis ist ein zügig erzähltes Muss für alle, die sich an den äußersten Tellerrand dessen wagen wollen, was Musicals können. Es gibt auch ein abendfüllendes Sequel zu diesem nicht einmal eine Stunde langen Experiment, doch das kann leider nicht mit «The Devil's Carnival» mithalten. Also schnell weiter im Liedtext …

«Stage Fright»


Schon wieder «Das Phantom der Oper». Irgendwie. Die Slasher-Musicalkomödie «Stage Fright» handelt von einem Sommercamp für jugendliche Musicalfans, in dem die Proben für die Wiederaufführung eines Bühnenstücks, das aufgrund eines mörderischen Ereignisses berühmt-berüchtigt ist, von einem maskierten Ungetüm geplagt werden. Ein Teil «High School Musical»-/«Camp Rock»-Persiflage, ein Teil Rockmusical, ein Teil «Phantom der Oper»-Bastard – somit ist «Stage Fright» ein alberner, passionierter Sehspaß. Und schon wieder ist Meat Loaf mit von der blutigen Partie.

«Anna and the Apocalypse»


Das jüngste Mitglied in dieser Gruppe – und das mit den schönsten Liedern. Setzen die anderen auf Komplexität, Coolness, Härte, Exzentrik oder dichte Atmosphäre in ihren Songs, trällert «Anna and the Apocalypse» einfach richtig hübsche, eingängige Musicallieder, wie sie auch in einem klassischen Disney-Film vorkommen könnten. Auch die Konflikte klingen nach (TV-)Disney: Protagonistin Anna (die übrigens Halbwaise ist) will entgegen des Wunsches ihres Vaters nicht auf die Uni, sondern nach ihrem Schulabschluss die Welt bereisen. Ihr bester Freund, der heimlich in sie verknallt ist (so ein klein wenig), macht sich derweil Sorgen, ob er an der Kunstuni angenommen wurde. Annas Mitschülerin Steph will einen aufrüttelnden Artikel in der digitalen Schulzeitung veröffentlichen, was aber dem tyrannischen Schulleiter nicht passt. Und Annas Schwarm lebt derzeit seine Rowdy-Seite aus, was bei allen Anderen nicht gerade gut ankommt.

Ja, ja, es könnte ein normaler Disney-Channel-Film sein. Nur, dass die Schülerinnen und Schüler, um die es in diesem schottischen Weihnachtsfilm geht, kurz vor dem großen Festtag von einer Zombie-Apokalypse heimgesucht werden, die Regisseur John McPhail mit blutiger Freude sowie mit einer Vielzahl an Referenzen auf George A. Romero und dem einen oder anderen Tribut an «Shaun of the Dead» umsetzt. Klingt vielleicht trashig, ist es aber nicht: «Anna and the Apocalypse» ist stark gespielt (vor allem Hauptdarstellerin Ella Hunt und Steph-Mimin/Choreografin Sarah Swire sind umwerfend), sauber gesungen, voller Ohrwürmer und gewitzt, aber auch spannend geschrieben. Ein echtes Genre-Kleinod einfach, das in Deutschland passenderweise am Nikolaustag 2018 in die Kinos kommen wird. Ich kann nur befehlen: Leute, geht da rein!

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