Filmfacts: «Abgeschnitten»
- Start: 11. Oktober 2018
- Genre: Thriller
- Laufzeit: 138 Min.
- FSK: 16
- Kamera: Jakub Bejnarowicz
- Musik: Maurus Ronner, Christoph Schauer
- Buch und Regie: Christian Alvart
- Darsteller: Moritz Bleibtreu, Jasna Fritzi Bauer, Lars Eidinger, Fahri Yardim, Barbara Prakopenka, Urs Jucker
- OT: Abgeschnitten (DE 2018)
In seinen Dienst stellen sich unter anderem Moritz Bleibtreu («Nur Gott kann mich richten»), Lars Eidinger («Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm»), Fahri Yardim («Whatever Happens») und Jasna Fritzi Bauer («Axolotl Overkill»), denen zu verdanken ist, dass die mitunter recht reißerisch erzählte Geschichte konstant geerdet bleibt. Denn seien wir einmal ehrlich: «Abgeschnitten» ist durch und durch eine Räuberpistole, die man abseits ihrer authentischen Ausstattung niemals auf innere Logik abklopfen sollte. Aber gleichzeitig ist der fast zweieinhalbstündige Thriller vor allem eines: mächtig spannend! Und damit genau das, was gute Thriller sein müssen, um auch über lange Strecken hervorragend zu unterhalten.
Einsam auf Helgoland
Rechtsmediziner Paul Herzfeld (Moritz Bleibtreu) findet bei einer Autopsie im Kopf der Leiche einen kleinen Zettel mit der Handynummer seiner Tochter Hannah (Barbara Pakopenka). Hannah ist entführt worden, und der Kidnapper (Lars Eidinger) schickt Herzfeld auf eine wahnsinnige Schnitzelagd von Hinweis zu Hinweis, von Leiche zu Leiche. Als die Spur auf die vom Festland abgeschnittene Insel Helgoland weist, bittet Herzfeld die junge Comiczeichnerin Linda (Jasna Fritzi Bauer) um Hilfe, denn die Insel ist durch einen Sturm von der Außenwelt abgeschnitten. In der verlassenen Inselklinik stellt sich Linda, unterstützt von Hausmeister Ender (Fahri Yardım), dem perfiden Spiel des Killers. Dieser scheint ihr immer einen Schritt voraus zu sein – und hält auf dem Festland auch Herzfeld weiter in Atem. Immer tiefer verstricken sich die beiden in das Netz des Entführers. Und im Kampf um Hannahs Leben läuft ihnen die Zeit davon…
Es ist nicht das erste Mal, dass Jemand versucht, aus einem Fitzek-Buch einen Film zu machen. 2012 scheiterte die Indie-Produktion «Das Kind» jedoch nicht bloß an seiner hanebüchenen Besetzung (mit Dieter Hallervorden als Psychopath), sondern vor allem an einem derart wirren Skript, dass sogar Kundige des Buches nicht immer wussten, worum es hier eigentlich gehen soll. Vor wenigen Monaten erschien dann als eine von zwei angedachten Fitzek-TV-Produktionen «Das Joshua-Profil» bei RTL und stimmte Fans und Kritiker zwar milder, aber Begeisterungsstürme sehen dann doch anders aus. «Abgeschnitten» ist nun nicht bloß deutlich teurer, prominenter besetzt und gehört allein von der Ausstattung her klar auf die Leinwand. Er ist zugleich der Film, der sich am engsten an der Vorlage orientiert und die des Stoffes fremde Zuschauer trotzdem nicht ausschließt. Zwar hat der auch als Autor verantwortlich zeichnende Alvart auch einige Schmankerl für Hardcore-Fitzek-Fans eingebaut (wozu unter anderem Gastauftritte des Schriftstellers und seines Co-Autors Michael Tsokos gehören), doch im Großen und Ganzen gelingt ihm ein in sich runder, vollkommen unabhängig von irgendwelchen Vorlagen- und Universumsgedanken konzipierter Thriller, der sich gleichzeitig an jenem erzählerischen Ass bedient, das auch schon den Roman besonders machte: «Abgeschnitten» ist nämlich kein schnöder Whodunit-Krimi.
Stattdessen weiß man als Zuschauer von Anfang an sehr genau über viele Details Bescheid, hinter die der Protagonist Dr. Herzfeld erst einmal kommen muss. Das Publikum ist der Hauptfigur dadurch immer ein paar Schritte voraus – und weiß somit auch direkt, wie weit dieser gerade von der Rettung seiner in der Gewalt eines brutalen Mörders befindlichen Tochter Hannah entfernt ist.
Hanebüchen aber hochspannend
gDiese besondere Erzählform, unter die sich mit der Zeit auch noch eine Art „Schnitzeljagd-Struktur“ mischt (immerhin muss Herzfeld einer Reihe von Hinweisen nachgehen, die ganz gezielt irgendwo platziert wurden, um ihn zur nächsten Station zu führen), wird um die Idee ergänzt, die eigentliche Hauptfigur schnell zur Nebenfigur zu degradieren. Da sich die Schnitzeljagd auf der durch einen schweren Sturm von der Außenwelt abgeschnittenen Insel Helgoland abspielt, ist der in Berlin festsitzende Dr. Herzfeld gezwungen, der nun zur Protagonistin avancierenden Linda telefonische Anweisungen zu geben. Als unkonventionelles Duo funktionieren Moritz Bleibtreu und Jasna Fritzi Bauer im Zusammenspiel ganz hervorragend; überhaupt konzentriert sich «Abgeschnitten» in erster Linie auf die vier stärksten Schauspielerinnen und Schauspieler im Ensemble, während es lediglich unter den Nebendarstellern kleine Ausreißer nach unten gibt.
Durch die schiere Anzahl an Figuren, deren Wichtigkeit für das Geschehen sich nicht immer sofort erschließt, sowie der unkonventionellen Dramaturgie und Erzählweise bleiben «Abgeschnitten» Momente der Langatmigkeit erspart. Der Thriller ist von Anfang bis Ende flott erzählt; und das, wo doch für die Filmfassung elementare Figuren und Handlungsstränge weggelassen wurden – nicht immer lassen sich schließlich Details aus einer Buchvorlage auf das gänzlich anders funktionierende Medium Film übertragen. Das gilt übrigens auch für die Umsetzung der eigentlichen Geschichte – und hier nimmt Alvert angenehmerweise keinerlei Rücksicht auf die Sehgewohnheiten der (deutschen) Krimi- und Thrillerzuschauer, indem er die radikalen Ausführungen im Roman entsprechend explizit bebildert. Das passt. Nicht ganz so geglückt sind dagegen diverse konstruierte Entwicklungen, die dafür sorgen, dass man «Abgeschnitten» nur genießen kann, wenn man zu keinem Zeitpunkt hinterfragt, was da auf der Leinwand gerade vor sich geht.
Ganz gleich, welche Abzweigung die Story nimmt, in der Regel ist sie in erster Linie funktional, um die Spannung hoch- und den Zuschauer konsequent im Dunkeln zu halten. Dabei sind manche Entwicklungen bis ins kleinste Detail geplant, sodass es nicht den Hauch einer Abweichung vom über alles stehenden Masterplan geben darf. Dass dann auch noch jede Figur im exakt richtigen Moment des Rätsels Lösung in den Händen hält, nagt hier und da an der Authentizität der Geschichte, der man das Abgleiten in sozialkritische Gefilde im finalen Drittel dadurch nicht ganz abkauft (Stichwort: Selbstjustiz), doch letztlich trägt all das auch dazu bei, dass «Abgeschnitten» bis zum Ende unberechenbar bleibt. Überhaupt sind die unkonventionellen Ermittlungen in der Frage, wer Hannah in seiner Gewalt hat, auch gar nicht unbedingt das Spannendste am Film. Vor allem der innere Kampf Lindas mit ihren Ängsten gerät besonders intensiv, da Jasna Fritzi Bauer diesen nicht bloß sehr glaubhaft verkörpert (und mit Fahri Yardims Figur einen Comic Relief an die Seite gestellt bekommt, der in seiner unbekümmerten Art einfach gut tut), sondern ihr Handeln bis zuletzt nachvollziehbar bleibt. Wer kann sich nicht in die Lage hineinversetzen, vor der aller ersten Sezierung eines menschlichen Körpers ganz schön angeekelt zu sein?
Angeekelt – wenngleich im positiven Sinne – ist man auch von der Performance des sich selbst als Psycho genießenden Lars Eidinger, der sich als Idealbesetzung für die Rolle erweist. Und Moritz Bleibtreu? Dessen Handeln beschränkt sich die meiste Zeit auf sein hilfloses Agieren am Telefon. Die Angst um seine Tochter steht ihm dabei immer ins Gesicht geschrieben, was er mit seiner vollen Aufopferungsbereitschaft für Hannah zu kombinieren versucht. Bleibtreu bringt diese Ambivalenz jederzeit zur Geltung und wird dadurch zur idealen Identifikationsfigur. Von dem spektakulären Setting der stürmischen Insel mitsamt der detailgetreu aufbereiteten Leichen bekommt er selbst allerdings am wenigsten mit.
Fazit
Groß gedachtes Genrekino aus Deutschland – das haben wir dringend gebraucht! Da verzeihen wir «Abgeschnitten» auch die Tatsache, dass die Story die meiste Zeit über ganz schön hanebüchen ist. Am Ende zählt, dass der Film spannend ist. Und ja, verdammt, das ist er!
«Abgeschnitten» ist ab dem 11. Oktober bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen.
Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
11.10.2018 11:35 Uhr 1
Solche Filme gehören in ganz Europa und die USA verkauft und dort gezeigt. Wann fangen die deutschen Publisher endlich an, den deutschen Film / die deutsche Serie so ernst und global zu sehen, wie Netflix oder Amazon?
12.10.2018 23:31 Uhr 2