Filmografie Nina Grosse (Auswahl)
- «Tatort – Der schwarze Engel» (Regie)
- «Tatort – Schlaraffenland» (Regie)
- «21 Liebesbriefe» (Regie und Buch mit Friedrich Ani)
- «Liebe und andere Gefahren» (Buch und Regie)
- «Das Wochenende» (Buch und Regie)
- «In der Falle» (Buch und Regie)
Ich habe mir nicht explizit vorgenommen: "Vor Minute zehn muss einmal gelacht werden." Aber ich bin beim Schreiben und Inszenieren immer offen für kleine, humorvolle Momente. Gerade bei einem eher düsteren Stoff, wie «Die Protokollantin» sind diese leichten Momente ja enorm wichtig. Aber wie gesagt, ich nehme mir das nicht bewusst vor, besser ist, es ergibt sich einfach. Beim Schreiben, oder beim Dreh am Set, wenn etwas im Spiel gewitzter ist als gedacht. Oder auch im Schnitt, wenn man merkt, dass man da aus einer Situation was raus kitzeln kann.
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Wenn man weiß, dass man schreibt und dieses Material danach inszenieren wird, überlegt man sich die ganze Zeit: Wie mache ich das dann am Set? Ich spreche mir die Dialoge laut vor, spiele manchmal sogar Handlungsabläufe durch. Ich habe einen anderen Blick darauf, wie ich Subtext in Dialogen vermittle oder wie ich die Charakterentwicklung signalisiere. Das ist der Vorteil.
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Nina Grosse
Nein, ich denke nicht, dass ich da eine Trennlinie ziehen könnte. Es ist eine ständige Wechselwirkung. Wenn man weiß, dass man schreibt und dieses Material danach inszenieren wird, überlegt man sich die ganze Zeit: Wie mache ich das dann am Set? Ich spreche mir die Dialoge laut vor, spiele manchmal sogar Handlungsabläufe durch. Ich habe einen anderen Blick darauf, wie ich Subtext in Dialogen vermittle oder wie ich die Charakterentwicklung signalisiere. Das ist der Vorteil. Wenn ich dagegen fremde Bücher inszeniere, muss ich mich erstmal in eine fremde Welt und fremde Figuren hineindenken. Aber auch das kann einen großen Reiz ausmachen.
Der Nachteil ist, wenn man schreibt und inszeniert, läuft eine strenge Zensurmaschine im Kopf mit. Ich weiß dann genau, dies oder das könnte später bei der Umsetzung ein finanzielles, technisches oder organisatorisches Problem werden. Natürlich würde kein Autor irgendwelchen Unsinn schreiben und sich denken: "Mir doch egal, wie die das drehen." Trotzdem, überspitzt gesagt: Wäre ich nicht die Regisseurin, könnte ich mir ausdenken "Und auf einmal explodiert das Sofa." Und wie man das mit dem vorliegenden Budget umsetzt und wie das aussehen soll, wäre nicht meine Sorge. Wenn ich aber Regisseurin bin, überlege ich mir zwei mal, ob ich nun auf solche Ideen kommen sollte oder eben besser nicht … (lacht)
Film und Fernsehen sind ja Teamarbeit – selbst dann, wenn Regie und Buch in einer Hand liegen. Welche Aspekte von «Die Protokollantin» waren beispielsweise Ideen oder gar Vorgaben von anderer Stelle?
Die Ursprungsidee kam von Friedrich Ani, der mal mit einer echten Protokollantin gesprochen hat und so auf den Gedanken kam, eine Serie mit einer Protokollantin als Hauptfigur zu erzählen. Sein Ansatz war aber humoristischer und spielte in München. Der Tonfall war letztlich eher der eines Heimatkrimis. Und als das an mich herangetragen wurde, sagte ich: "Spannende Grundkonstellation, aber lasst uns bitte in die komplett andere Richtung gehen: Eine dunkle Serie über eine dunkle Frau, die wir ernst nehmen. Was passiert mit jemandem, der Tag für Tag Gewalt protokollieren muss? Was für eine Frau ist das, die irgendwann beschließt, selber zur Tat zu schreiten? Welches Umfeld braucht so jemand?" Deswegen fand ich Berlin als Schauplatz besser als München. In dieser Stadt ist man nochmal anonymer und kann eher so einen Wandel durchmachen wie Iris Berbens Figur der Freya es in der Serie macht …
Eine weitere Hürde war es, den Sender davon zu überzeugen, Iris Berben in der Rolle zu besetzen. Man hat sie ja so noch nie gesehen, alt und grau und unscheinbar und eben eine Frau, die zur Täterin wird. Da hat auch geholfen, das Iris Berben selbst so für diese Rolle gekämpft hat. Aber nachdem alle überzeugt waren, lief es glatt. Dann gab es keine Einsprüche oder Kompromissvorschläge mehr. Zum Glück. Sonst wäre die Serie nicht so kohärent geworden, wie sie jetzt ist.
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Frauenfiguren wurden bis auf einige tolle Ausnahmen in Film und Fernsehen meistens stereotypisiert und klischiert. Niemand hat sich getraut, echte, ambivalente, widersprüchliche Frauenfiguren zu erzählen. Das blieb immer den Männern vorbehalten.
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Nina Grosse
Absolut, absolut! Das ärgert mich auch immer. Frauenfiguren wurden bis auf einige tolle Ausnahmen in Film und Fernsehen meistens stereotypisiert und klischiert. Niemand hat sich getraut, echte, ambivalente, widersprüchliche Frauenfiguren zu erzählen. Das blieb immer den Männern vorbehalten. Aber jetzt setzt endlich langsam ein Umdenken ein – und ich hoffe, dass das so weitergeht. Durch die #MeToo Debatte gab es gerade in der Filmbranche nochmal einen großen Emanzipationsschub und wir alle können davon nur profitieren.
Auch die Männer erkennen langsam, dass ein Umdenken nötig und auch kreativ wichtig ist. So werden neue Räume frei und es entstehen neue Geschichten und neue Rollen. Mit Männern hat man doch alles schon gesehen, aber eine Frau, die glaubwürdig und lebensnah durchdreht, wie Michal Douglas in «Falling Down», das ist zum Beispiel noch lange nicht auserzählt.
Bestes Beispiel für neue Frauenrollen, war für mich Frances McDormand in «Three Billboards outside Ebbing, Missouri»: Eine ältere, kluge, ranzig auftretende Frau, die extrem aggressiv ist – und dabei trotzdem nachvollziehbar und menschlich bleibt. Oder Isabelle Huppert in «Elle» – diese Figur tut nichts um verbindlich oder gar sympathisch zu sein, es fällt einem schwer, ihr Verhalten nachzuvollziehen. Trotzdem bleibt man an ihr dran, weil man begreift, dass sie einfach kein Opfer sein will. Das fand ich sehr mutig.
Auch das ist ja eine Form von Emanzipation: Endlich bekommen auch Frauen ambivalenten Rollen angeboten, die sonst Männer für sich beanspruchen. Freya in «Die Protokollantin» zähle ich da mit dazu. Mein Anspruch an mich selbst war, dass die Leute sagen: "Ich will, dass die damit durchkommt!" So wie bei Walter White in «Breaking Bad». Zumindest mir ging es so, dass ich ihm gewünscht habe, er soll in alle Ewigkeit weitermachen obwohl er zum Schluss nur noch ein kalter,Verbrecher ist. Das ist packendes Erzählen.
- © ZDF/Alexander Fischerkoesen
Freya (Iris Berben) sitzt im Haus ihrer Mutter an einem Tisch. Sie hält einen Brief in den Händen. Offenbar hat sie diesen kurz zuvor gelesen und schaut nun nachdenklich vor sich hin.
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Auch das ist ja eine Form von Emanzipation: Endlich bekommen auch Frauen ambivalenten Rollen angeboten, die sonst Männer für sich beanspruchen. Freya in «Die Protokollantin» zähle ich da mit dazu
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Nina Grosse
Ich bin sehr nahe an Freya dran geblieben und habe mir Mühe gegeben, ihr Umfeld, aber auch ihre Innenwelten zu visulisieren, wie sie zum Beispiel mit ihrer verschwundenen Tochter kommuniziert, Diese Trauer, diese Sehnsucht, die Tochter möge wieder auftauchen, versteht jeder. Der Zuschauer braucht eine Art Ariadnefaden, er muss irgendwie, irgendwo an einer Figur andocken können, dann geht er in jedes Labyrinth mit.
Vielen Dank für das Gespräch.
«Die Protokollantin» ist ab Freitag, dem 19. Oktober 2018, 10 Uhr in der ZDF-Mediathek zu sehen sowie ab Samstag, dem 20. Oktober, wöchentlich um 21.45 Uhr.
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