Filmfacts: «Der Nussknacker und die vier Reiche»
- Regie: Lasse Hallström und Joe Johnston
- Produktion: Mark Gordon, Larry Franco
- Drehbuch: Ashleigh Powell, Tom McCarthy
- Story: Ashleigh Powell; frei nach "Nussknacker und Mausekönig" von E. T. A. Hoffmann und "Der Nussknacker" von Marius Petipa
- Darsteller: Keira Knightley, Mackenzie Foy, Eugenio Derbez, Matthew Macfadyen, Richard E. Grant, Misty Copeland, Helen Mirren, Morgan Freeman
- Musik: James Newton Howard
- Kamera: Linus Sandgren
- Schnitt: Stuart Levy
- Laufzeit: 99 Minuten
- FSK: ohne Altersbeschränkung
Dieses Walt Disney Pictures sollte in den folgenden Jahren langsam Platz machen für eine neue Disney-Realfilmsparte. Eine, deren Filme größer, schneller, höher, weiter sein sollten. Familientauglichkeit wurde neu definiert – auf eine "nerdige, geekige" Art. Und in Zeiten dieses epischen Disneys, in denen die bombastische Fantasykomödie «Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln» mit ihrem Budget von 170 Millionen Dollarn zu den kleineren Projekten gehört, kommt ein weihnachtlich angehauchtes Filmmärchen daher. Mit schlanken 99 Minuten Laufzeit. Und mit einem relativ überschaubaren Budget von 132,9 Millionen Dollar, das noch kleiner ausgefallen wäre, hätte man nicht über einen Monat an Nachdrehs vorgenommen, um den Film feinzuschleifen.
Dieses kurze, ohne Altersbeschränkung freigegebene Wintermärchen, greift weitaus weniger nach Jugendlichen und im Gemüt jugendlich gebliebene Filmfans als die neue Disney-Norm. Es ist für die Dauer mehrerer Akte so grazil-naiv, wie es Disneys Realfilmsparte schon lange nicht mehr war. Es greift nach der gemeinschaftlich ins Kino gehenden Familie, und es blickt auf eine Zukunft mit einem Kinderpublikum, das sich mit ihm am heimischen Bildschirm die Wartezeit auf die Bescherung versüßt. Es ist im Herzen und im Geiste ein Relikt aus einer anderen Disney-Ära – mit Anflügen des modernen Disney-Prunks, die im Marketing massiv überbetont werden. Und es ist ein Film, der den Schneid hat, mittendrin die Handlung anzuhalten – für ein kunstvoll-verspieltes Ballettstück. Und eben dieser Tänzer zwischen den Disney-Epochen ist, wer hätt's gedacht, «Der Nussknacker und die vier Reiche» …
So groß und doch so klein
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In dieser Zauberwelt, in der ihr als Prinzessin die Thronfolge zusteht, herrscht derzeit Unruhe: Während das Land der Schneeflocken, das Blumenland und das Naschwerkland in Frieden leben, geht vom Land der Spielzeuge eine Bedrohung aus, weshalb sich die anderen Reiche von ihm abgekoppelt haben. Können Clara, die sie unterstützende Zuckerfee (Keira Knightley) und der treue Nussknacker Phillip (Jayden Fowora-Knight) den Untergang der friedvollen Reiche verhindern?
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Konsequenterweise verzichtet «Der Nussknacker und die vier Reiche» zudem auf den in der familienorientierten Fantasy zuletzt arg überreizten "Chosen-One"-Erzählkniff. Clara ist nicht die Auserwählte, die dazu bestimmt ist, die vier Reiche zu retten. Sie fühlt sich schlicht dazu verpflichtet, diesen Welten aus einer misslichen Lage zu helfen. Das grenzt die Geschichte etwa von Tim Burtons und Disneys krampfhaft auf Epik zurechtgebogenen «Alice im Wunderland»-Realfilm ab und schafft einen persönlicheren Grundkonflikt. Gleichwohl ist die oben getätigte Bezugnahme auf «Santa Clause 2» nicht beliebig gewählt: Denn genauso wie Disneys Weihnachtskomödie aus dem Jahr 2002 hat «Der Nussknacker und die vier Reiche» auf Handlungsebene ein unerwartetes politisches Element, das sich erst sukzessive enthüllt, und das vergnügt mit groben Pinselstrichen arbeitet. Das verleiht dieser Wintermär komödiantischen Schneid, ist in seiner süffisanten Direktheit jedoch auch ebenso verblüffend, wie es aus dem sonst so nostalgischen Film hervorragt.
- © Disney
Zuckerbäcker-Spielzeug-Weihnachten
Bildästhetisch ist die eingangs ungeplante, allen bisherigen Berichten zufolge jedoch sehr harmonische Kooperation zwischen Lasse Hallström («Madame Mallory und der Duft von Curry») und Joe Johnston («Rocketeer») quasi das stilistische Bindeglied zwischen alten Disney-Realfilmmärchen und modernen Disney-Fantasyepen. Hallström sowie Johnston setzen stärker auf Haptik als die digitalen Effektgewitter «Maleficent – Die dunkle Fee», «Die fantastische Welt von Oz» oder die beiden «Alice im Wunderland»-Filme, gleichzeitig nehmen sie computeranimierte Elemente stärker in den Fokus als Kenneth Branaghs gezielt altmodisch umgesetzter «Cinderella»-Realfilm.
Diese Gratwanderung gelingt zu weiten Strecken: Von wenigen kurzen Einstellungen ausgenommen, in denen einzelne Figuren halbseiden vor einen rein digitalen Hintergrund eingefügt werden, kaschiert «Der Nussknacker und die vier Reiche» mit seinem Zuckerbäcker- und Aufzieh-Spielzeug-Produktionsdesign die Übergänge zwischen bewusst cartoonesken Computertricks und gewollt altbackenen Kulissen. Im Zusammenspiel ergibt sich so eine kohärent ausgestaltete, fabelhafte Filmwelt, die fotorealistischen Bombast gegen eine gigantisch aufgeblasene Spielzeug-Fantasie eintauscht, die Kameramann Linus Sandgren («La La Land») in satten Farben festhält. Dieser gekünstelte Stil gewinnt aber dadurch an Plastizität, dass Sandgren auf Zelluloid dreht, statt die digital ergänzte Zauberwelt mit einer Digitalkamera festzuhalten.
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Wenigstens hallt es lange durch den Film. Denn nicht nur während des Balletts bedient sich «Der Nussknacker und die vier Reiche» auf musikalischer Ebene ausgiebig bei Tschaikovskys «Nussknacker»-Komposition. «Der Schatzplanet»-Komponist James Newton Howard adaptiert die Vorlage behutsam und verwebt sie elegant mit sanften, neuen Melodien.
Zuckerschock-Schauspiel, mal mit Freude, mal mit Zahnweh
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Mackenzie Foy unterdessen hält sich in ihrer Rolle (quasi als Korrektiv) arg zurück und legt Clara als neugierige Beobachterin an, die im Traum nicht daran denken würde, sich in den Vordergrund zu spielen. Jayden Fowora-Knight ist als Nussknacker Philip solide und Helen Mirren wird als ominöse Mutter Ingwer kaum gefordert, macht aber wenigstens einen interessierten Eindruck.
Fazit: Ein bisschen politisch, ein bisschen bombastisch, ein bisschen kunstvoll, ein bisschen albern und sehr märchenhaft-heimelig: «Der Nussknacker und die vier Reiche» ist ein etwas hölzern geratener Winterfilm mit schöner Musik und einer überdrehten Keira Knigthley.
«Der Nussknacker und die vier Reiche» ist ab sofort in vielen deutschen Kinos zu sehen. In 3D sowie in 2D.
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