Die Kritiker

«Amokspiel»

von

So undurchdacht und wirr wir Sebastian Fitzeks Romanvorlage gerät auch dessen Event-Verfilmung von Sat.1: eine Verhackstückelung beliebiger Thriller-Motive, schlecht geplottet, stillos geschrieben.

Cast & Crew

Vor der Kamera.
Franzsika Weisz als Ira Samin
Kai Schumann als Jan May
Emilie Neumeister als Kitty
Johann von Bülow als Oberstaatsanwalt Faust
Nicki von Tempelhoff als SEK-Mann Götz
Eko Fresh als Radiomoderator Timber
Christian Tramitz als Innenminister Hartzer

Hinter der Kamera:
Produktion: TV60 Filmproduktion GmbH
Drehbuch: Christoph Busche
nach einem Roman von Sebastian Fitzek
Regie: Oliver Schmitz
Kamera: Bernd Fischer
Produzenten: Sven Burgemeister, Andreas Schneppe und Andreas Bareiss
Bei der Psychologin Ira Samin (Franziska Weisz) klingelt das Telefon. Es meldet sich ein Geiselnehmer – an sich kein ungewöhnlicher Vorgang, schließlich verdient sich Ira mit dem Führen von Geiselverhandlungen ihre Brötchen. Doch der Verbrecher klingelt diesmal direkt auf ihrem Privatanschluss durch und beeindruckt seine Gesprächspartnerin mit üppigem Detailwissen zu ihrem Leben, insbesondere zu ihrer verstorbenen Tochter, die sich vor einem Jahr das Leben genommen hat.

Schnell stellt sich heraus, dass der Mann in der übertrieben hippen Redaktion eines Berliner Lokalradiosenders einen Haufen Geiseln genommen hat. Ausgerüstet mit einer Pistole und jeder Menge Sprengstoff um den Bauch samt Dead Man’s Switch kapert er das Call-in-Spiel des Senders: Einmal pro Stunde wird er eine beliebige Nummer aus dem Telefonbuch der Hauptstadt anrufen. Wenn beim Angerufenen die von ihm vorgegebene Parole fällt, lässt er eine Geisel frei; wenn nicht, wird er eine erschießen.

Doch die Perversion eines telefonischen Roulette-Spiels um das Leben seiner Opfer – immerhin eine Idee, die wohl nicht einmal 9Live zu seinen niederträchtigsten Zeiten aufgegriffen hätte – ist nicht seine eigentliche Motivation für den ganzen Wahnsinn: Ira Samin, die er mit Geheimnissen aus dem Leben ihrer verstorbenen Tochter malträtiert, soll eine gewisse Leonie Gregor herschaffen. Doch die ist seit einem halben Jahr tot, wie die Polizei schnell recherchiert hat.

Nun wird es vollends konfus: Denn der Geiselnehmer – inzwischen enttarnt als Jan May (Kai Schumann), ein obsessiver polizeibekannter Psychologe, der schon länger so durchdreht, dass ihm kürzlich die Zulassung entzogen wurde, – behauptet felsenfest, dass seine geliebte Leonie noch lebt. Hinter ihrem Verschwinden stecke ein krudes Komplott aus Strafverfolgungsbehörden und organisierter Kriminalität, und diese Geiselnahme sei der letzte Strohhalm, die Verschwörung zu enttarnen.

Was nach paranoider Schizophrenie klingt, ist in einem Film wie «Amokspiel» natürlich die tatsächliche Realität: Der Oberstaatsanwalt legt ein Geständnis ab, nachdem ihm der Anführer der Verschwörung einen Stich in den Bauch versetzt hat, während der Obergauner samt finster dreinblickendem Helfershelfer sich bereits perfekt getarnt zum Ort der Geiselnahme begeben hat. Fehlt eigentlich nur noch, dass Iras noch lebende Tochter gerade ein Praktikum beim gekaperten Radiosender macht und eine der Geiseln ist.

So literarisch wertlos wie Sebastian Fitzeks Romanvorlage ausfällt, so unbeholfen bleibt die Dramaturgie auch in dieser fernsehfilmischen Adaption: Der Stoff begnügt sich mit dem Abklappern Thriller-hafter Allgemeinplätze und einer Aneinanderreihung halbgarer Wendungen und Verwicklungen, während er am tiefergehenden Innenleben seiner Charaktere so desinteressiert ist wie an in sich logischen Abläufen.

Doch so kann kein packender Thriller entstehen. Wenig verwunderlich also, dass «Amokspiel» zur lauen Verhackstückelung von Beliebigkeiten verkommt. Das Trauma von Geiselverhandlerin Ira Samin, die Verrücktmachung des ähnlich traumatisierten Psychologen, der jetzt mit Bombe und Knarre im Radiosender steht, das Psychospiel um die mörderischen Telefonanrufe, die ausladende Verschwörung von Staat und Verbrechern: alles Plot Devices. Nichts davon findet dieser Film für sich genommen interessant, sondern nur im Hinblick auf die nächste Abzweigung im Handlungsgeflecht, den nächsten überkandidelten Schockmoment, die nächste bizarre Enthüllung, den nächsten flotten Gag. «Amokspiel» ist ein Film ohne eine Geschichte, runtergekurbelt auf Basis der belletristischen Vorlage eines Autors, der sich gerade dadurch auszeichnet, dass er nicht erzählen kann. Was bleibt, ist ein wüster Verhau aus diffusen Ideen und eingängigen Motiven, schlecht geplottet, desinteressiert geschrieben. Ein Telefon-Thriller, der es besser macht: Joel Schumacher, «Nicht auflegen!» («Phone Booth», USA 2002).

Sat.1 zeigt «Amokspiel» am Dienstag, den 27. November um 20.15 Uhr.

Kurz-URL: qmde.de/105453
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