Interview

Stefan Titze: 'Die Sprache war ein Schlüssel zur Authentizität'

von

Wie lässt man junge Figuren authentisch sprechen? Und gibt es beim Schreiben eines Formats wie «How to Sell Drugs Online (Fast)» Sicherheitsnetz? Autor Stefan Titze verrät es im Quotenmeter.de-Interview.

«How to Sell Drugs Online (Fast)»-Infos

  • Vor der Kamera:
  • Maximilian Mundt als Moritz Zimmermann
  • Lena Klenke als Lisa
  • Danilo Kamperidis als Lenny Sander
  • Bjarne Mädel als Dealer Buba
  • Roland Riebeling als Jens Zimmermann
  • Damian Hardung als Dan Riffert
  • Luna Schaller als Gerda
  • Hinter der Kamera:
  • Produktion: btf GmbH
  • Showrunner: Philipp Käßbohrer und Matthias Murmann
  • Story: Philipp Käßbohrer, Stefan Titze, Sebastian Colley, Valérie Lassere, Felix Charin und Julian Gaupp-Maier
  • Drehbuch: Philipp Käßbohrer, Stefan Titze und Sebastian Colley
  • Regie: Lars Montag und Arne Feldhusen
  • Kamera: Armin Franzen
In «How to Sell Drugs Online (Fast)» sprechen die jugendlichen Figuren nur sporadisch in Slang und Anglizismen. Für mich war es eine sehr glaubwürdige Mischung – viele Filme und Serien lassen junge Sprache entweder völlig missen oder übertreiben es damit total ... 
Ja, manchmal wünsche ich mir bei Filmen und Serien über Jugendliche glatt, die Figuren würden wie Erwachsene reden. Das ist zwar genauso realitätsfern wie der Fall, dass sie die ganze Zeit Jugendslang sprechen, aber nicht so aufgesetzt. Uns war aber eine große Authentizität wichtig. Wir wollten eine Serie erzählen, die den Zeitgeist trifft. Und die Sprache war ein Schlüssel zur Authentizität, die uns auch in anderen Dingen wichtig war. Sei es, was die Jugend macht, oder welche Medien sie nutzen.

So habe ich erfahren, dass man nicht mehr über Facebook schreibt. Okay, point taken. Sowas war uns sehr wichtig. Ich bin jetzt 24 und damit ja quasi Teil der Generation Z. Und dennoch habe auch ich gemerkt, dass ich komplett den Anschluss verloren habe. Da verändern sich Dinge sehr schnell, weshalb wir uns da schon informieren mussten, was der aktuelle Stand ist ... 

Wie kann ich mir da den Schreibprozess vorstellen? Gab es statt des letzten Korrekturlesens eine Runde "So, nun muss ich mal schauen, dass ich die normal geschriebenen Dialoge mit authentischer Jugendsprache versehe"?
Nein, so etwas gab es nicht. Es gab keinen 'Jugendsprache Draft'. Auch wenn das durchaus eine Idee gewesen wäre. Wenn, dann gab es einen 'Comedy Draft', um hier und da die Pointen zu schleifen. Aber das Ziel war es, die Dialoge von vornherein so zu schreiben, wie wir sie hören wollen.  Es gab vorher eine ausgiebige Recherchephase. Nicht nur, was die Jugendsprache und den jugendlichen Umgang mit Medien angeht. Sondern auch über das Darknet. Wir haben mit Dealern gesprochen. Mit Polizisten. Lehrern. Mit Schülern. Es gibt doch auch nichts schlimmeres als diese «Tatort»-Vorstellungen eines „Hackers", der im Kapuzenpulli im Dunklen sitzt und in die Matrix schaut. Unsere Codes sind alle echt. In der Hinsicht kann man den Titel der Serie tatsächlich wörtlich nehmen.

Ein früher Charaktermoment in der Serie zeigt, wie Moritz überlegt, ob er sich ins Facebook-Konto seiner Freundin hacken soll. Dadurch, dass er hadert und es zunächst nicht tut, werden seine moralischen Grenzen aufgezeigt, Moritz gewinnt spätestens in dem Augenblick unsere Sympathie. Wie entstehen Szenen wie diese? Geht es dir primär um die Funktion einer solchen Szene und du suchst nach einer Möglichkeit, dies mit den Figuren plausibel zu erreichen? 
Netflix hat uns von Anfang an eingetrichtert, dass wir figurenbasiert erzählen sollen. In Deutschland neigt man dazu, dass die Story die Figuren bestimmt, und Netflix hat uns früh vermittelt, dass die Figuren den Vorrang haben sollten. Das ist als Ansatz internationaler, und ich finde, dass wir von der Sichtweise profitiert haben.

Aber klar. Das Opening der Serie hat viele Aufgaben, und die darf das Publikum gerne alle entschlüsseln. Eine davon ist: Wir wollten sehr früh vermitteln, dass wir eine junge, schnelle Serie erzählen. Unser Motto war: "Unsere Serie soll ein Trip für alle sein, denen Drogennehmen zu krass ist." Und uns war sehr schnell klar: Um das zu erreichen, brauchen wir eine gewisse Toolbox, aus der wir uns bedienen. Teilweise auch sehr assoziativ. Wir wollen uns da nicht einengen lassen – was auch aus den Figuren heraus wächst. Moritz, unser Protagonist, der den Zuschauern die Geschichte erzählt, guckt ja auch «House of Cards», «Fleabag» oder «The Big Short». Warum also nicht assoziativ sein und hier mal in die Kamera gucken, da lieber aus dem Off erzählen und dort wieder was anderes machen? Diese Toolbox hat uns Spaß gemacht.

Es gibt ja den beliebten Trick, Storyschwächen mit Voice Overn oder anderen Stilelementen zu kaschieren. Ich finde, dass man beim Schreiben alles tun sollte, um es nicht so weit kommen zu lassen. Überhaupt darf man sich seine Toolbox an Stilelementen nicht als Sicherheitsnetz vorstellen.
Stefan Titze
Manche Autoren entwickeln für ihre Serien eine Art "Sicherheitsnetz", einen Subplot, eine Nebenfigur, ein Stilmittel, irgendwas, das im Zweifelsfall immer funktioniert. Gab es bei «How to Sell Drugs Online (Fast)» auch sowas?
Es gibt ja den beliebten Trick, Storyschwächen mit Voice Overn oder anderen Stilelementen zu kaschieren. Ich finde, dass man beim Schreiben alles tun sollte, um es nicht so weit kommen zu lassen. Überhaupt darf man sich seine Toolbox an Stilelementen nicht als Sicherheitsnetz vorstellen. Es geht nicht darum, dass man im Zweifelsfall ein Gimmick aus dem Hut zaubert.

Du hast also keinen "Lieblingssubplot", der immer dann dran kommt, wenn der Hauptplot Gefahr läuft, sich zu überdehnen?
Wir haben so viel Stoff zu erzählen und so wenig Laufzeit pro Folge, solche Gedanken können wir uns gar nicht erlauben. (lacht) Das war eh eine große Herausforderung, die wir aber auch sehr gemocht haben. Und Achtung, jetzt kommt ein prätentiöser Autoren-Interview-Klischee-Satz, aber wir haben da echt eine sehr spezielle Serie geschrieben. Mir ist tatsächlich keine halbstündige Serie mit einer derart horizontalen Erzählweise bekannt wie bei «How to Sell Drugs Online (Fast)». 30 Minuten sind ein klassisches Comedyformat, bei denen die Storybögen von Folge zu Folge geschlossen sind.

Und auch wenn es Serien gibt, wo sich die Figuren schleichend entwickeln und vielleicht im Hintergrund kleinere rote Fäden verlaufen, ist unsere Serie ja wie eine einstündige Dramaserie erzählt. Nur in der Hälfte der Zeit. Und das zwingt uns, wahnsinnig schnell und direkt zu sein. Das wird manchen vielleicht zu schnell sein, aber wir fanden es hier wichtig, um den Kern der Generation Z zu treffen. Und die reden halt manchmal, während sie schreiben, während sie Netflix gucken, während sie drei Podcasts hören und nebenbei diesen Artikel und den Wikipediaartikel über die Hugenottenkriege lesen.

War die Serie stets als halbstündiges Format geplant?
Nein, das hat sich erst so entwickelt. Es fing als 45-minütige Serie an, aber wir haben früh bemerkt, dass wir es rascher erzählen wollen, dass der Stoff geradezu danach verlangt. 

Vielen Dank für das Gespräch.
«How to Sell Drugs Online (Fast)» ist via Netflix verfügbar.

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