(Wann) Platzt die Netflix-Blase?
Die Unternehmen ziehen nicht nur ihre Programme von Netflix ab, sondern starten – wie Apple auch – insgesamt vier, mit Premium-Inhalten vollgepackte und sehr aggressiv finanzierte TV-Plattformen, die innerhalb des nächsten Jahres den Markt entern. Schon jetzt sprechen viele Beobachter nicht mehr darüber, ob die Netflix-Blase wohl bald platze, sondern wann. Nach wie vor ist Netflix mit 152 Millionen weltweiten Abonnenten Marktführer. Doch die weiter explodierenden Kosten bereiten Analysten Sorgen. In diesem Jahr wird Netflix wohl zwischen zehn und 15 Milliarden Dollar ausgeben, um Originalinhalte zu produzieren, die der kommenden Konkurrenz die Stirn bieten sollten. Netflix‘ Schuldenberg wird weiter steigen – schon jetzt umfasst er 12 Milliarden Dollar.
Netflix-Ausgaben für Original-Inhalte
2013: 2,4 Milliarden Dollar2015: 5 Milliarden Dollar
2017: 9 Milliarden Dollar
2018: 12 Milliarden Dollar
2019: 15 Milliarden Dollar
Netflix ist längst nicht mehr der Rebell
Ironischerweise handelte Netflix in der jüngeren Vergangenheit immer mehr wie die großen Studios, von denen sich das Angebot einst so unterschied. Der VoD-Dienst spielte lange Zeit ganz bewusst gegen die Regeln von Hollywood, veröffentlichte alle Episoden auf einen Schlag, hielt sich über Abrufzahlen bedeckt und überhäufte kreative Talente schon zu einem Zeitpunkt mit Geld, zu dem diese noch keine Zeile Drehbuch für eine neue Netflix-Show geschrieben hatten. Das sorgte bei den anderen Konzernen für Spannungen, Neid und einer steigenden Bereitschaft für ähnlich freizügige Ausgaben.
Mittlerweile liegt das Geld für Kreative aufgrund der großen Nachfrage nach ihnen auf der Straße und Netflix hat seine Faszination für Serien- und Filmschaffende verloren. Um wirklich Geschichten erzählen zu können, die sich über viele Staffeln erstrecken, suchen Serienschaffende tatsächlich auch wieder die Nähe zu Kabel- oder Privatsendern. Am Anfang lockte Netflix Kreative noch mit dem Versprechen, nicht unter Quotendruck arbeiten zu müssen. Doch die Wahrheit sieht anders aus, denn tatsächlich haben die meisten Netflix-Originale nur eine sehr begrenzte Lebensdauer. Selten erscheinen von einer Netflix-Eigenproduktion mehr als drei Staffeln – auch weil die Verträge Bonus-Zahlungen enthalten, die erst später ausgeschüttet werden.
Liefern Produzenten und Autoren Netflix wirklich einen großen Hit, werden sie dafür natürlich trotzdem gut entlohnt. Doch viele Entscheidungen sorgten auch für Frustration, denn zuletzt setzte Netflix häufig Kritikerlieblinge ab, was in Kombination mit den sehr raren Abrufzahlen oft auf Unverständnis stieß. Beispiele waren Serien wie «One Day at a Time» oder «Tuca & Bertie». Besonders letzteres Format wurde von vielen Medien als eine der besten Serien des Jahres bezeichnet. Laut Insidern muss ein Format „effizient“ sein, um von Netflix fortgesetzt zu werden. Will heißen: Das Verhältnis zwischen den Kosten der Show zur Zuschauerzahl muss stimmen, wobei Netflix vor allem neue Abonnenten locken oder bereits bestehende Nutzer halten will, falls diese Gefahr laufen, ihre Mitgliedschaft zu kündigen.
Netflix braucht eine Identität, um mitzuhalten
Zeitlicher Konsum von Netflix-Originalen und Fremdware im Vergleich
- 2-11 Jahre: 22% (original) / 78% (fremd)
- 12-17 Jahre: 23% / 77%
- 18-34 Jahre: 25% / 75%
- 35-49 Jahre: 31% / 69%
- 50-64 Jahre: 33% / 67%
- 65+: 33% / 67%
Original / fremd (Nielsen SVOD Content Ratings)
Überhaupt wirkt Netflix in Sachen Umsatz neben Disney, Apple oder AT&Ts Warner wie ein Zwerg. Selbst wenn Netflix der Konkurrenz zumindest inhaltlich vorerst weiter den Rang abläuft, haben die Dienste der großen Konzerne finanziell gesehen den längeren Atem und deutlich mehr Spielraum, was Misserfolge angeht. Hinzu kommt das Problem von Netflix, dass viele Mitarbeiter, die die vergangenen Jahre einen guten Job gemacht haben, Begehrlichkeiten geweckt haben. Sie sind Experten darin, für ein Streaming-Angebot zu arbeiten und deshalb attraktiv für offene Stellen bei kommenden Diensten.
Nachdem Netflix Jahre lang vom Trend des kabellosen Fernsehens profitierte, bewegt sich gerade der US-Markt derzeit auf eine Sättigung zu. Für Netflix steht seit Längerem fest, dass das Wachstum des Unternehmens international fortgeführt werden muss. Dafür braucht Netflix, das jahrelang von fremden Hits wie «Friends» oder «The Office» profitierte, eine stärkere Identität, denn während eine HBO-Show häufig klare Charakteristika in sich vereint, lässt sich dieser Tage eine Netflix-Serie nicht unbedingt von einer Prime-Video-Serie abgrenzen. HBO steht für Hochglanz und Zügellosigkeit, Disney für Familienfreundlichkeit. Ein ähnliches Alleinstellungsmerkmal muss Netflix finden – wenn es dafür nicht schon zu spät ist…
Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
11.09.2019 21:32 Uhr 1
12.09.2019 09:00 Uhr 2
Gerade die neuen Anbieter werden nicht nur versuchen Netflix Kunden abzugraben, sondern auch Leute ansprechen, die noch nicht streamen.
Netflix hat ca. 140 Mio. Kunden weltweit, ist aber in allen Ländern außer China verfügbar. Amazon hat 100 Mio. Prime Kunden bei ebenfalls nahezu weltweiter Verfügbarkeit. Die Überschneidung wird ebenfalls nicht zu knapp sein, in Summe vielleicht 200 Mio. Menschen. Die Obergrenze weltweit liegt natürlich nicht bei den 1,6 Mrd. TV Haushalten, denn Internet und Einkommen und Sprachkenntniss muss ja auch ausreichend verfügbar sein, aber verdoppeln oder verdreifachen kann sich der Streamingmarkt schon noch denke ich.
Hier müssen die Anbieter wie Disney und Apple ansetzen, da sie ja nicht die Kernzielgruppe von Netflix bzw. der VOD First Mover (jung, eher männlich, internetaffin, eher bessere Bildung) ansprechen wollen, sondern sich neue Zielgruppen erschließen wollen.
Letztendlich wird der Kuchen also immer größer, der unter den Anbietern aufgeteilt wird. Aber sicher wird das kein friedlicher Kindergeburtstag sondern ein Hauen und Stechen und es wird auch Verlierer geben